Leben
Digital

Kleinkinder mit Tablets: Alltag vs. Pädagogik.

Mein 3-Jähriger liebt sein iPad, na und?

Als verantwortungsbewusster Erziehungsberechtigter wahrgenommen zu werden, schliesst anscheinend aus, sein Kind mit neuer Technologie vertraut zu machen.
23.02.2017, 11:5623.02.2017, 12:38
Mehr «Leben»
Wieso ist jetzt alles mint?

Liebe User, herzlich willkommen zu unserem neuen watson-Blog mint! Ihr findet hier die Themen:

«Flair&Fair» (Design, Streaming, Reisen, Foodwaste)
«Fit&Food» (Katzen-Yoga, Rezepte, fein! – und gesund)
«Fuck&Feel» (selbsterklärend)

In mint schreiben watson-Autoren und freie Autoren aus aller Welt. Die Geschichten erkennt ihr auf der watson-Startseite an einem «m.» im Bild. So, und nun: Viel Spass. :)

17 Uhr 30 in einer Zürcher Strassenbahn:

Mit dem Rest der Stadt befinde ich mich auf dem Heimweg. Neben mir sitzt ein kleines Kind, guckt fragend zu mir hoch. Ohne zu zögern greife ich in meine Tasche und zücke mein Handy. Der Junge loggt sich ein, findet rasch seine App und beginnt Alligatoren, Gorillas und Häschen zu piksen. Mein lächelnder Blick wandert hoch, bleibt an der älteren Dame uns gegenüber hängen und erstarrt. Eiseskälte und Verachtung schlägt mir entgegen ... Was habe ich falsch gemacht? Hosenladen offen? Popel an der Backe? 

Viel schlimmer: Ich habe mein Kind gegenwartsgetreu behandelt und ihm nicht, was sozial adäquat gewesen wäre, ein Holzspielzeug in die Hand gedrückt. 

Mein Sohn ist grade mal drei Jahre alt und gewisse Dilemmas liegen glücklicherweise noch in einer effektiv ausgeblendeten Zukunft. Doch die Fettnäpfchen lauern hinter jeder Ecke. Falltüren, wo man hinblickt.

Der Zwerg tanzt und singt gerne, ist – eventuell etwas zu – empathisch, hat viel Phantasie, kann laufen, zwei Sprachen sprechen und findet mit dem Löffel seinen Mund. Zumindest meistens. Alles gut? Mitnichten. 

Denn er gehört zu jener Generation, die vermutlich nicht mal mehr wissen wird, was Fernsehwerbung ist. Und zwar, weil er noch nie einen Fernseher gesehen hat. Und über Kassetten und Bleistifte brauchen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Was er allerdings hat, ist ein eigenes iPad. Das Teil wurde liebevoll BabyBär getauft. Und er kommt wunderbar damit klar. Er kennt den Code, spielt seine Spiele, weiss wie er auf Netflix an seine Serien rankommt und wie man einen Videoanruf annimmt. 

Aber dass Technologie der Teufel ist, scheint bereits Allgemeinwissen zu sein, wenn man denn nach den Blicken geht, die mir sicher sind, wenn ich meinem Kleinen im Bus mein Handy reiche, damit er sich auf Netflix seine Lieblingsserie angucken kann.

Ich könnte mir genauso gut im Café eine Zigarette anzünden oder im Fahrstuhl einen fahren lassen. Meinem Umfeld scheint klar zu sein: Ich komme in die Hölle.


Mein Handy, mein Tablet sind integraler Bestandteil meines Alltags. Zeitungen, Magazine, Mail, Nachrichten, Telefonieren, Videochat, Texten, Karten, Tickets, Hotelbuchungen, Übersetzungen, Notizen, Arbeitspläne ... es gibt kaum noch Bereiche, in denen ich nicht auf die kleinen Superrechner vertraue. Und während ich es zu jeder Gelegenheit zücke; wie und vor allem warum verdeutliche ich meinem Sohn, dass er das natürlich nicht dürfe? Dass er lieber im Garten spielen sollte, während es hier die dritte Woche in Folge regnet? Dass er in der Strassenbahn lieber aus dem Fenster gucken soll oder die grauen Nasen studieren, die sich mit der Faust im Gesicht durch den Pendlerverkehr drängeln? 

Warum genau soll mein Kind nicht mit aktiver Geste unterschiedliche Tiere benennen? In mehreren Sprachen? Warum sollte er denn bitte nicht mit allen anderen Kindern im Spielabteil des Interregio im Kreis auf dem Boden liegen und seine Lieblingsserie teilen? 


Es mangelt nicht an Ratgebern, die vor der Schädlichkeit der neuen Geräte für die Entwicklung von Kleinkindern warnen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer ist ein vehementer Gegner von neuer Technologie in Kinderhänden und von speziell für Kinder designten Apps erst recht. Er mahnt, dass man einem Heranwachsenden erst zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr ein Tablet in die Hand geben sollte ... echt jetzt? Er wisse selber, dass das etwas lebensfremd wirke. Etwas?!

Wenn ich sehe, wie mein Sohn manchmal reflexartig über die Seiten seines Kinderbuches wischt, bis ihm einfällt, dass Blättern hier anders funktioniert, dann wird diese Ausblendung der Realität schlicht lachhaft.

Wo man nachliest, wird vor dem Zombie-Effekt gewarnt. Ohne zu bemerken, dass wir auch schon nicht ansprechbar waren, als wir damals mit Winnetou durch die Prairie ritten.  

Ratgeber vs. Realität

Mein Kind lacht und erfindet Lieder. Er tanzt und geht ohne Scheu auf Menschen zu. Er fliegt für sein Leben gern, hat sich eben erst eine neue Sprache ausgedacht und angefangen zu bouldern ... und er liebt Shawn, das Schaf. Er weiss, das Peppa gerne in Pfützen hopst und wo Nemo sich versteckt hält. Er kennt die Geräusche, die Tiere machen, kann bei Facetime den Ortsunterschied abstrahieren, malt neue Tiere ohne Buntstifte und spielt auf seinem BabyBär Instrumente, die physisch nicht denkbar wären. 

Sicher, es mag ungewohnt aussehen, ein Kleinkind durch Apps wischen zu sehen. Aber wartet erst mal ab, wie die Technologie aussieht, wenn diese Generation ihre Pubertät erreicht. Die lachen dann über euer iPhone 7s. 

Worin Kinder wirklich ganz miserabel sind: Im Verstecken

1 / 13
Worin Kinder wirklich ganz miserabel sind: im Verstecken

Blöder Anfängerfehler.

Auf Facebook teilenAuf X teilen
Mehr zum Thema Leben gibt's hier:
15 Styles, die Ende 90er und Anfang 2000er der Shit waren
79
15 Styles, die Ende 90er und Anfang 2000er der Shit waren
von Madeleine Sigrist
Nach «Avengers: Endgame» – diese 7 kommenden Filme könnten auch die Milliarde knacken
34
Nach «Avengers: Endgame» – diese 7 kommenden Filme könnten auch die Milliarde knacken
Ich + Ich + Tattoo-Dirk à Paris
126
Ich + Ich + Tattoo-Dirk à Paris
von Emma Amour
«Game of Thrones»: Das war sie also, die grösste Schlacht der TV-Geschichte?!?!
345
«Game of Thrones»: Das war sie also, die grösste Schlacht der TV-Geschichte?!?!
von Pascal Scherrer
Dieses Model trägt als Erste einen Burkini auf der Titelseite der «Sports Illustrated»
19
Dieses Model trägt als Erste einen Burkini auf der Titelseite der «Sports Illustrated»
von Anna-Lena Janzen
«Avengers: Endgame» pulverisiert Kinorekord – und sorgt für Schlägerei
47
«Avengers: Endgame» pulverisiert Kinorekord – und sorgt für Schlägerei
«Meine Ehefrau hat mich jahrelang mit ihrer Jugendliebe betrogen»
154
«Meine Ehefrau hat mich jahrelang mit ihrer Jugendliebe betrogen»
von Emma Amour
Die vegane Armee
223
Die vegane Armee
von Camille Kündig
14 Comics, die das Leben als Mann perfekt auf den Punkt bringen
32
14 Comics, die das Leben als Mann perfekt auf den Punkt bringen
Die Jackson-Doku «Leaving Neverland» erhitzt die Gemüter – 6 Gründe, warum das so ist
111
Die Jackson-Doku «Leaving Neverland» erhitzt die Gemüter – 6 Gründe, warum das so ist
von Jodok Meier
Auf den Spuren meiner Urgrossmutter
8
Auf den Spuren meiner Urgrossmutter
von Benedikt Meyer
Regie-Legende Francis Ford Coppola: Neues Alter, neuer Film, neues «Apocalypse Now»
7
Regie-Legende Francis Ford Coppola: Neues Alter, neuer Film, neues «Apocalypse Now»
von Pascal Scherrer
«Mimimi» – Wie schnell bist du empört?
98
«Mimimi» – Wie schnell bist du empört?
von Anna Rothenfluh
Sterben am Schluss alle? Das verraten uns die 3 neuen Teaser zu «Game of Thrones»
7
Sterben am Schluss alle? Das verraten uns die 3 neuen Teaser zu «Game of Thrones»
So heiss, stolz und glücklich feierten die «Game of Thrones»-Stars Premiere
9
So heiss, stolz und glücklich feierten die «Game of Thrones»-Stars Premiere
10 lustige Antworten auf die dumme Frage: «Wann hast du entschieden, homosexuell zu sein?»
35
10 lustige Antworten auf die dumme Frage: «Wann hast du entschieden, homosexuell zu sein?»
Böööses Büsi! Stephen Kings «Pet Sematary» ist wieder da
30
Böööses Büsi! Stephen Kings «Pet Sematary» ist wieder da
von Simone Meier
RTS zeigt GoT zeitgleich am TV. Und wir fragen: Wann wollt ihr dazu was von uns lesen?
34
RTS zeigt GoT zeitgleich am TV. Und wir fragen: Wann wollt ihr dazu was von uns lesen?
Ja, in der Schweiz gibt es Obdachlose – und so leben sie
91
Ja, in der Schweiz gibt es Obdachlose – und so leben sie
von Camille Kündig
«Krebs macht einsam» – wie Ronja mit 27 Brustkrebs überlebte
22
«Krebs macht einsam» – wie Ronja mit 27 Brustkrebs überlebte
von Helene Obrist
Coca Cola Life und 17 weitere Getränke, die (beinahe) aus der Schweiz verschwunden sind
262
Coca Cola Life und 17 weitere Getränke, die (beinahe) aus der Schweiz verschwunden sind
von Pascal Scherrer
US-Komiker Noah spricht über seine (Schweizer-)Deutsch-Erfahrungen – und es ist grossartig
32
US-Komiker Noah spricht über seine (Schweizer-)Deutsch-Erfahrungen – und es ist grossartig
Die Boeing 737 ist derzeit nicht sehr beliebt – wie dieser Litauer jetzt auch weiss
26
Die Boeing 737 ist derzeit nicht sehr beliebt – wie dieser Litauer jetzt auch weiss
«Leaving Neverland»: Brisante Jackson-Doku kommt am Samstag im SRF
2
«Leaving Neverland»: Brisante Jackson-Doku kommt am Samstag im SRF
Sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt: 7 Dokus zum 🐝-Sterben
21
Sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt: 7 Dokus zum 🐝-Sterben
von Pascal Scherrer
Der neue Schweizer Streaming-Dienst «Filmingo» will das Anti-Netflix sein
13
Der neue Schweizer Streaming-Dienst «Filmingo» will das Anti-Netflix sein
Tantra-Tina, ihre Latexhandschuhe und mein Orgasmus
76
Tantra-Tina, ihre Latexhandschuhe und mein Orgasmus
von Emma Amour
Ich machte bei GNTM mit – und so war's (empörend!)
16
Ich machte bei GNTM mit – und so war's (empörend!)
von Simone Meier
Mick Jagger braucht eine neue Herzklappe – und will bald wieder auf der Bühne stehen
Mick Jagger braucht eine neue Herzklappe – und will bald wieder auf der Bühne stehen
Nacktbild von Sohn löst Shitstorm aus – Sängerin Pink rastet aus
63
Nacktbild von Sohn löst Shitstorm aus – Sängerin Pink rastet aus
«Ich liebe meine Freundin, aber ich liebe auch schöne Frauen…»
169
«Ich liebe meine Freundin, aber ich liebe auch schöne Frauen…»
von Emma Amour
Ihre Produkte haben die Welt erobert – trotzdem wurden diese 5 Erfinder nicht reich
9
Ihre Produkte haben die Welt erobert – trotzdem wurden diese 5 Erfinder nicht reich
von Pascal Scherrer
Disney wird immer mächtiger – warum darunter vor allem Kinos und Zuschauer leiden
33
Disney wird immer mächtiger – warum darunter vor allem Kinos und Zuschauer leiden
von Pascal Scherrer
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
72 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Typu
23.02.2017 12:34registriert Oktober 2015
Berechtigte frage. Muss jeder für sich entscheiden wieviel oder wie wenig technologie.
Meiner wird 2 jahre alt. TV find ich scheisse für die kinder. Auch auf dem tablet. Das finde ich in jungen jahren total unnötig.
Spiele auf dem tablet? Naja, keine ahnung. Mit meinem sohn spiele ich eisenbahn, nehme bilderbücher in die hand, male oder baue klötzchen. Relativ klassisch.
Hat technologie platz in diesem alter? Vermutlich. Aber ich für mein teil versuche damit noch eine weile zu warten. Klassisches anfassen und bewegen finde ich förderlicher. Schon wegen der motorik wegen.
10
Melden
Zum Kommentar
avatar
Caprice
23.02.2017 21:59registriert April 2014
Ich finds erschreckend und hoffe / denke, dass der Autor hier etwas überzeichnet.... Gerade das Beispiel mit den Öv: JA, lasst die Kinder aus dem Fenster schauen. Da kann man gerade am lebenden Objekt "benennen" üben. Und wenn nicht: soll sich das Kind doch auch mal langweilen! Es kann doch nicht sein, dass man nicht mit ein bisschen Langeweile umgehen kann...
10
Melden
Zum Kommentar
avatar
forgOtten
23.02.2017 14:58registriert Februar 2016
Ehrlich gesagt macht mich dieser Artikel ein wenig sprachlos. Ich bin Anfang 20 und finde es gibt nichts Schöneres, als einfach in der Bahn zu sitzen und die Menschen, das Geschehen drumherum zu beobachten. Wenn ich solche Sätze wie
"Wenn ich sehe, wie mein Sohn manchmal reflexartig über die Seiten seines Kinderbuches wischt, bis ihm einfällt, dass Blättern hier anders funktioniert (...)"
lese, dann bin ich doch etwas besorgt...
20
Melden
Zum Kommentar
72
Pizza-Teilen verboten! Kein Gratis-Wasser! – Die grössten Restaurant-Ärgernisse
In der Beziehung zwischen Wirten und Gästen kommt es immer wieder zu Spannungen – aus verschiedenen Gründen, wie diese Auflistung zeigt.
Jüngst sorgte ein deutscher Wirt hierzulande für Aufregung. Sein Restaurant im deutschen Esslingen bei Stuttgart – etwa 180 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt – hat die getrennte Bezahlung der Beizen-Rechnung in seinem Gastrobetrieb verboten, wie die «Bild» berichtete.
Zur Story