Und nun zurück zum Artikel.
Tiefschwarze Automobile der Marke Ford rollen über die Pflastersteine der Innenstadt. Es sind nicht unbedingt viele an der Anzahl, aber doch bedeutend mehr, als noch vor fünf Jahren, bemerken die mondän gekleidete Menschen, die in den Korbsesseln der neumodischen Strassencafés sitzen. «That's my Weakness Now!», summt die Stimme des charmanten Jack Smith aus den Grammophonen in die lustvollen 1920er-Jahre hinaus.
Grazil wippen junge Frauen im Takt der selbstironischen Chanson. Ihre «Weakness Now» – ihre «momentane Schwäche» – ist die Sucht nach Ausgelassenheit, nach Rausch und nach feurigem Tempo. «Nichts ist ewig, ausser der Moment», prosten sie sich lächelnd zu und stillen ihren Durst mit einem kräftigen Schluck Gin.
Sobald die Sonne den Horizont küsst, der Nachmittagsdrink leer getrunken und die Nase frisch gepudert ist, räumen die Cafés ihre Gartenmöbel von der Strasse. Die Schallplatte wird umgedreht und statt eines Chansons schallt jazziger Charleston durch die Lokale der Stadt.
Die ganze Nacht hinweg tanzt man zu betörenden Klängen von Trompeten und Saxophonen. Das Klavier klimpert bis zum Sonnenaufgang die selben vier Akkorde. Im Nebenraum wird um Geld gespielt; ein Qualmgemenge aus Nikotin und Opium liegt in der Luft.
Von Paris und Berlin über London bis nach New York und Los Angeles ist sie zu spüren: die tosende Stimmung der 1920er.
Es war ein unstillbares Streben nach Freiheit und Lebenslust, das durch die Gemüter der goldenen Zeit brauste. Jugendlichkeit, Moderne und Aufbruch waren die Schlagwörter der Stunde. Vor allem für die Frauen: Nachdem der Ersten Weltkrieg fast eine ganze Generation Männer ausgelöscht und traumatisiert hatte, brachen alte Werte und herkömmliche Strukturen auseinander. Die Frauen, die während des Kriegs die fehlende Arbeitskraft der Männer ersetzten, legten das Korsett ab und fanden zum ersten Mal wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Doch nicht nur das Leben des weiblichen Geschlechts hat sich in der goldenen Zeit massivst verändert: Die neuerfundene Industrieproduktion der Fliessbandarbeit sorgte für noch nie dagewesene Konsummöglichkeiten. Es waren nicht länger die politischen Machtführer, sondern Maschinen, Autos, Flugzeuge und das schnelle Geld an der Börse, die das rasante Tempo des Alltags vorgaben.
Die Wirtschaft boomte. Da die Produkte dank viel effizienteren Herstellungsmethoden günstiger wurden, stieg auch die Nachfrage jeglicher Güter an. Dies wiederum führte dazu, dass viel mehr Menschen Arbeit hatten, Geld verdienten und es eben auch ausgaben.
Man ging ins Kino, besuchte grosse Sportveranstaltungen oder traf sich in der Freizeit, um bei Zigaretten und Alkohol dem Rauschen des Radios zuzuhören. Auch wenn man sich bis zu zwölf Stunden am Tag abrackerte, das Vergnügen blieb in den 20ern nie auf der Strecke.
Man lebte in einem illusorischen Moment der Ewigkeit. Ein Weltkrieg war überstanden, man war alte Traditionen los und die Wirtschaft lief wie ein frisch geöltes Uhrwerk.
Wahrscheinlich wurden die Menschen in ihrer brennenden Lust auch ein bisschen naiv. Denn während sie ihre Wohnungen und ihre Körper in prunkvoll glamourösen Art-déco-Stil schmückten, bahnte sich eine monströse Wirtschaftskrise an, die die Roaring Twenties – die dröhnenden Zwanziger – auf einen Schlag zum Schweigen brachte.
Doch bis heute, fast 100 Jahre später, bleibt das schillernde Tosen der 20er wie eine Art Tinitus im kollektiven Bewusstsein des Westens zurück. Wir feiern Partys im Stile der ikonischen Flappers, tanzen im Glitzerröckchen oder im taillierten Smoking durch die Nacht und verspüren eine brennende Sehnsucht nach einer Zeit, in der man vor der Zukunft naiv die Augen verschliessen durfte.
Diese Sehnsucht nach der stilvollen Unbeschwertheit ist dann wohl unsere «momentane Schwäche».