Der Bass hämmert, die Menge hüpft! Die Hände in der Luft und die Augen geschlossen, lassen sich mehr als 100 Leute von den elektronischen Klängen mitreissen. Die Party ist in vollem Gange, als der DJ zum Mikrofon greift:
Die Menge johlt.
Die Menge pfeift.
Sie formieren sich auf Anleitung zu einem Kreis und umarmen sich alle wild im Kreis hüpfend.
Der DJ schreit:
Die Leute sind ausser sich. Und das, obwohl sie nüchtern sind – und es 7 Uhr morgens ist.
Die Party, an der ich bin, ist keine normale Party. Sie heisst «Daybreaker», beginnt um 7 Uhr morgens und endet zwei Stunden später. Statt Alkohol gibt es Smoothies, statt Drogen Proteinriegel. Die Anwesenden sind deswegen nicht minder gut drauf. Mehrheitlich Frauen im Alter von etwa 30 Jahren tanzen sich hier die Seele aus dem Leib, bevor sie danach ihrem Alltag nachgehen. So wie die 30-jährige Amy, die unter schweren Depressionen leidet:
Für richtige Lerchen gibt es vor der Tanzparty ein Sportprogramm, das um 6 Uhr früh beginnt. Da Yoga ausgebucht ist und das Mark Fisher Fitness mir zu albern scheint, entscheide ich mich fürs Aerobic. Auch recht albern, wie sich bald herausstellen sollte. Überhaupt fühle ich mich ziemlich mies, als ich mich kurz vor 5 Uhr morgens aus dem Bett quäle, um rechtzeitig nach Manhattan zu kommen.
Als ich es zum Luxuskaufhaus Saks Fifth Avenue schaffe, wo die Party heute stattfindet, werde ich von einer Liveband und herzlichen Umarmungen empfangen. Wer mich kennt, weiss, dass ich ein ausgesprochener Morgenmuffel bin. Da braucht es schon mehr, um mich heiter zu stimmen. Der versprochene Kaffee war im Kaufhaus leider nicht zu finden, dafür viele Fitness-Wütige, massenhaft Kokosnusswasser und andere Superfood-Leckereien. Da machten sich die 40 Franken für die Party und Aerobic-Stunde immerhin bezahlt. Dennoch würde ich lieber zu fortgeschrittener Stunde meinen üblichen Kakerlaken- und Hundekot-Spiessrutenlauf durch die Strassen New Yorks absolvieren, als um diese Uhrzeit Sport zu treiben.
Nun gibt es aber kein Zurück mehr. Wir greifen uns alle Kopfhörer und lauschen den Anweisungen der Aerobic-Lehrerin. Ich weiss nicht, wie viele Gojibeeren-Smoothies sie bereits intus hat, aber bei so viel Elan muss sogar ich mitturnen.
«Ich hab eine Idee: Lasst uns nach Aspen skifahren gehen!», schreit sie in ihr Headset und wackelt dabei mit ihren Hüften, als stünde sie auf Brettern. «JK», fügt sie an, für «just kidding» (nur Spass). Wer spricht, wie er Textnachrichten schreibt, ist mir suspekt, aber ihr Enthusiasmus ist bemerkenswert und die Menge lässt sich gerne mitreissen. Eine Stunde und etliche alberne Kommentare später («Oh shiiit! Hört ihr dieses Lied? / Und jetzt lasst schön den Kiefer hängen und lasst eure innere Diva raus!») sind alle schweissgebadet und aufgewärmt für den eigentlichen Anlass: die Tanzparty.
«Wir wollen wieder lernen, zu spielen!», sagt Radha Agrawal, die Mitgründerin von «Daybreaker». Sie und Matthew Brimer haben den Event vor vier Jahren ins Leben gerufen; ganz einfach, um wieder mehr Spass beim Ausgehen zu haben.
«Alle schauen aufs Telefon, sind betrunken und niemand tanzt mehr», so erlebte sie die Clubszene und hat kurzum eine Party organisiert, die gegenteiliger nicht sein könnte. Nüchtern, in aller Herrgottsfrühe und ohne Dresscode – nur Spass soll es machen. Was der 38-Jährigen zudem sehr wichtig ist:
Ganz im Sinne dieser Philosophie endet die Party mit einer rührseligen Szene: Es werden Flyer verteilt, auf denen steht:
Die Antwort darauf ist ein Zitat von Audrey Hepburn. Am Boden sitzend, lesen wir es alle laut zusammen vor:
Ich schwanke zwischen Entzücken und Fremdscham, aber als ich um mich blicke, sehe ich lauter glückselige Gesichter. Und spätestens als die Band Frank Sinatras «New York, New York» anstimmt, bin ich wieder versöhnt und schunkle mit meiner neu gefundenen Gemeinschaft im Takt.