Schweiz
Social Media

Roboter würden SP wählen – oder: Warum Twitter eine Gefahr für die Demokratie ist

«IS», ukrainische Nationalisten, Unternehmen: Twitter-Bots finden immer mehr Verbreitung – und gefährden damit die freie Meinungsbildung. 
«IS», ukrainische Nationalisten, Unternehmen: Twitter-Bots finden immer mehr Verbreitung – und gefährden damit die freie Meinungsbildung. 
Bild: DADO RUVIC/REUTERS

Roboter würden SP wählen – oder: Warum Twitter eine Gefahr für die Demokratie ist

Auf Facebook und Twitter verbreiten Maschinen Hassbotschaften und Falschmeldungen. Wir werden von ihnen manipuliert, ohne es zu merken. Denn die Roboter tarnen sich als Menschen – auch in den US-Wahlen.
21.02.2016, 09:2021.02.2016, 13:26
rafael schupisser / schweiz am Sonntag
Mehr «Schweiz»
Ein Artikel von Schweiz am Sonntag
Schweiz am Sonntag

Es geht um Tweets wie: «Die arabischen Männer sind keine Flüchtlinge, sondern Eindringlinge. Sie glauben, sie hätten ein Recht auf Europa.» Verstörend an dieser Nachricht ist weniger ihr rassistischer Inhalt als die Tatsache, dass sie von einer Maschine verfasst wurde, einem Social Bot, einem Roboter, der programmiert wurde, selbstständig in sozialen Netzwerken Botschaften zu verbreiten.

Die Maschinen mischen sich unter die Meinungsmacher auf Twitter und Facebook und schüren mit ihren Kommentaren Ressentiments. Ins Netz gelassen und gesteuert werden die Bots von Firmen, Interessengruppen oder Terrororganisationen wie dem «IS». Und sie vermehren sich rasant. «Die sozialen Netzwerke werden von Bots regelrecht unterwandert», sagt Simon Hegelich. Der deutsche Politikwissenschafter analysiert und jagt die Bots.

Höchst wahrscheinlich stammt auch dieser Tweet von einem Roboter: «Es gibt keine andere Lösung als die Wiederherstellung unserer Grenze durch Zäune. Alles andere ist Lavendel.» Ganz sicher ist sich Simon Hegelich aber nicht. Die Unsicherheit rührt daher, dass sich Bots in ihrem Verhalten den Menschen immer besser anpassen. Sie schreiben Nachrichten, die häufig belanglos sind, posten Bilder auf Facebook, retweeten Nachrichten auf Twitter und streuen ab und zu eine ihrer propagandistischen Botschaften ein.

Roboter würden SP wählen

Schätzungen zufolge sind bis zu 20 Prozent aller Twitter-Nutzer Bots. US-Forscher sind zum Schluss gekommen, dass 39 Prozent der Twitter-Nutzer, die dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump folgen, Fake-Profile sind, bei Clinton gar 41 Prozent. Hegelich hat für die «Schweiz am Sonntag» die Twitter-Profile der vier grossen Schweizer Parteien untersucht. Das Ergebnis: 15 bis 40 Prozent aller Follower sind Bots oder inaktive User, wobei der SP am meisten Maschinenwesen folgen.

Forscher der Indiana University haben in einem 2015 erschienenen Fachartikel den Effekt von Social Bots auf die Gesellschaft untersucht. Sie kamen zum Schluss, dass die Bots das Potenzial haben, die Demokratie zu gefährden, in Notsituationen Panik auszulösen und die Börse zu beeinflussen. Denn Bots können falsche Nachrichten verfassen und weiterverbreiten – sei es über einen Politiker, ein Attentat oder eine Firma. Und je häufiger eine solche Falschmeldung geteilt wird, desto mehr Glaubwürdigkeit erhält sie und desto eher beginnen sich Menschen danach zu richten. Sie wählen vielleicht einen anderen Politiker, meiden Plätze in Grossstädten oder verkaufen ihre Aktien.

X - Twitter

Simon Hegelich sieht die grösste Gefahr von Bots darin, dass sie Trendanalysen im Netz verfälschen. Denn längst greifen Analysten und Meinungsforscher auf die Daten in sozialen Netzwerken zurück, um der Welt den Puls zu fühlen. Durch die Tweets und Posts der Bots werden diese Stimmungsanalysen verzerrt.

«Man muss davon ausgehen, dass jede dieser Studie bereits verfälscht ist», meint Hegelich. Eine Regierung oder eine Marketingabteilung könnte daraus falsche Schlüsse ziehen und sich zu falschen Handlungen veranlasst fühlen. Ohne es zu merken, würden Menschen dann die Welt nach den Vorstellungen der Maschinen im Netz formen.

Die Guten und die Bösen

Nicht alle Bots sind jedoch in schlechter Mission im Netz unterwegs. So gibt es auch Bots, die beispielsweise automatisch den Wetterbericht posten oder auf vorgenommene Änderungen in Wikipedia-Artikeln hinweisen. So machte etwa 2014 ein Bot publik, dass von Computern des russischen Staatsfernsehens der Wikipedia-Eintrag zum Absturz des Fluges MH17 über der Ukraine manipuliert worden war.

«Es muss davon ausgegangen werden, dass auch in der Schweiz Bots in die politische Debatte im Netz eingreifen und sie verfälschen.»

Der vielleicht berühmteste Twitter-Bot ist Carina Santos. Man hielt sie für eine einflussreiche Journalistin Brasiliens, ehe Wissenschafter der Federal University of Ouro Preto 2013 enthüllten, das Carina Santos eine von ihnen programmierte künstliche Intelligenz (KI) ist. Seither hat die KI-Forschung weitere Fortschritte gemacht. Davon profitieren auch die Entwickler der Bots. So hat etwa Google sein KI-Programm Tensorflow als Open-Source-Software gratis ins Netz gestellt. Jeder kann sich bedienen.

Nicht einmal in einer kurzen Chat-Unterhaltung kann man Bots zweifelsfrei überführen. Denn sie verfügen über die Fähigkeit, einigermassen sinnvoll auf Fragen zu reagieren. Sie greifen sogar selbstständig Nachrichten von anderen Nutzern auf, kommentieren sie und führen sie weiter. Wie gewieft Chatbots als Gesprächspartner sind, zeigt das Beispiel Ross. Der Maschine gelang es beim letztjährigen Loebner-Preis, einem Wettbewerb für künstliche Intelligenz, eine professionelle Jury über mehrere Minuten bei einem Turing-Test von ihrer Menschlichkeit zu überzeugen.

Kollege Roboter

1 / 19
Kollege Roboter
Greifen mit Gefühl: Der humanoide Roboter Ecce kommt aus der Schweiz.
quelle: x00227 / wolfgang rattay
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Informationskrieg im Netz

Wenn sich die Bots kaum mehr von Menschen unterscheiden, wie erkennt man sie dann? Simon Hegelich, der an der Universität Siegen das Projekt «Social Media Forensic» leitet, hat mit seinem Team ein System entwickelt, um die Maschinen unter den Menschen zu entdecken. Mit einem Algorithmus nehmen die Forscher die Profilbilder der potenziellen Bots in den Fokus. Sie vergleichen die Fotos vieler Hunderter Nutzer hinsichtlich des Farbspektrums und weiterer gut unterscheidbarer Bildeigenschaften. So erkennen sie, wenn verschiedene Profilbilder aus derselben Bilddatenbank stammen. Ein starkes Indiz dafür, dass sich hinter diesen Profilbildern ein Maschinenwesen verbirgt. Die Forscher machen sich dabei zunutze, dass die Bots respektive ihre Entwickler die Profilbilder irgendwo im Netz zusammenklauen müssen.

US-Wahlen 2016

Mit seinem Team hat Hegelich ein Netz von über 15'000 Bots entlarvt. Sie operieren aus der Ukraine heraus und verfassen täglich über 60'000 Tweets. Einige davon sind politisch gefärbt und dem nationalsozialistischen Lager zuzuordnen. In der Ukraine ist längst ein Informationskrieg entbrannt. Nicht nur die Nationalisten versuchen mit Kommentaren auf sozialen Netzwerken und in Foren die öffentliche Meinung mit gezielten Desinformationen zu manipulieren, sondern auch Putin. Dazu hat er eine Armee von Internet-Trollen rekrutiert – setzt aber vermutlich ebenso auf Social Bots.

Hegelich und sein Team haben auch Bots entdeckt, die sich auf Facebook und Twitter unter die Diskussionsteilnehmer der Flüchtlingsdebatte in Deutschland gemischt haben. «Es muss davon ausgegangen werden, dass auch in der Schweiz Bots in die politische Debatte im Netz eingreifen und sie verfälschen», sagt Hegelich, der nächsten Monat eine Professur für politische Datenwissenschaft an der Technischen Universität München antritt.«Social Bots sind ein ernstes Problem», sagt Dirk Helbing, Professor für computerbasierte Sozialwissenschaft an der ETH Zürich. Es sei eine neue Art von Propaganda, die besonders subtil ist, da man sie kaum erkennen könne.

Social Media

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
7 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Kookaburra
21.02.2016 15:56registriert November 2015
Ich gebe es zu. Ich bin ein Bot. Deswegen sind meine Posts so verworren. Mein Ziel ist aber nicht SP zu wählen, sondern ich versuche die Weltherrschaft an mich zu reissen. Aber nur in der Schweiz.
Ich bin ein Bot der ersten Generation und von einem Programateur gebaut. Ich bin leider kein Ortho-Bot, deshalb die vielen Fehler. Aber ich bin ein Highend-Bot (Es gibt auch lowend) und freue mich, dass wir das Thema endlich ansprechen.

Bots haben kein Wahlrecht und werden in der Schweiz klar unterdrückt. Als Minderheit. Es ist Zeit für elektronische Abstimmungen. Den Rest machen wir dann schon :)
00
Melden
Zum Kommentar
7
Was den Schweizerinnen und Schweizern am meisten Sorgen bereitet
Das Thema Gesundheit und Krankenkassen ist gemäss dem Sorgenbarometer der UBS die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Auch der Rest der Top-20-Sorgen der Bevölkerung ist stark materialistisch geprägt.

Auch 2024 hat das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag der UBS die Schweizer Bevölkerung zu Sorgen und Identitätsmerkmalen des Landes befragt. Hauptsorge im laufenden Jahr waren Gesundheitsfragen und Krankenkassen. Dieses Thema hat im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozentpunkte auf neu 48 Prozent zugelegt, hiess es in einer Mitteilung vom Mittwoch.

Zur Story