Nicht mal ganz am Ende der Sendung kann es sich Kurt Fluri verkneifen: Bei der eigentlich gänzlich unpolitischen Abschlussfrage von Moderator Jonas Projer, ob die Gäste in ihrer Kindheit jemals ein Osternest nicht gefunden hätten, schiesst der FDP-Nationalrat noch einmal mit Verve gegen die Selbstbestimmungsinitiative der SVP: «Diese Initiative kommt mir vor wie ein Osternest! Man weiss jeweils nicht, ob irgendwo noch ein Osternest versteckt ist und genauso wenig weiss man bei dieser Initiative, um was es eigentlich geht.»
Es ist das Kernargument der Gegner der Selbstbestimmungsinitiative, und SVP-Nationalrat Hans Ueli Vogt hat in dieser Sendung alle Mühe, dagegen anzukommen. Kein Wunder, Vogt kämpft auch praktisch allein für das Anliegen aus dem Hause SVP: Seinen Gast zur linken, Ex-Botschafter Paul Widmer, versteht man weder akustisch noch inhaltlich, er bringt zwar Fallbeispiel um Fallbeispiel, aber nichts auf den Punkt. Moderator Projers Urteil nach einer guten halben Stunde: «Ich fürchte, Herr Widmer, Sie hängen das Publikum ab.»
So viel zur Ausgangslage Vogts. Dafür, dass sie so miserabel ist, bleibt der Zürcher erstaunlich standhaft, doch die immerhin vier Gegner, die von allen Seiten an Vogts Rednerpult sägen, sind am Ende dann doch zu viel für den SVP-Nationalrat.
Geht es um Rechtsfragen lässt Maya Hertig, Professorin für Verfassungsrecht der Universität Genf, im Prüfstand kaum eine Aussage Vogts unwiderlegt. Economiesuisse-Geschäftsführerin Monika Rühl warnt eindringlich vor den wirtschaftlichen Konsequenzen, Kurt Fluri wird nicht müde zu betonen, die Initiative sei genauso «schludrig» und problematisch wie die MEI und Schriftsteller Lukas Bärfuss bringt nicht nur einen Unterhaltungsfaktor in die teilweise sehr technische Diskussion, sondern auch Vogt Stück für Stück an den Rand der Verzweiflung:
Die SVP verhalte sich wie ein querulantischer Mieter, der sich nicht an die Hausordnung halten wolle, sagt Bärfuss. Das gebe wieder «ein Riesenpuff wie bei der MEI». Der Schriftsteller bringt mit seinem Votum den Kern der Debatte auf den Punkt: Für die Gegner von Vogt ist klar, dass die Selbstbestimmungsinitiative darauf abzielt, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu kündigen, ohne dass das im Initiativtext explizit formuliert wird. Die SVP ihrerseits stellt es in Abrede, dass die EMRK bei einer Annahme der Initiative gekündigt werden müsse.
Vogt bleibt auf Bärfuss' Anekdote nicht viel mehr, als zu sagen, die Initiative sei «klarer geschrieben als jedes Buch, dass der Herr Bärfuss schon geschrieben hat.» Das bleibt nicht der einzige eher verzweifelt wirkende Seitenhieb von Vogt. Nachdem Economiesuisse-Geschäftsführerin Rühl die Selbstbestimmungsinitiative für «einfach unnötig» erklärt hat, spielt Vogt wieder auf Bärfuss' Schriftstellertum an. Er solle ihm jetzt mal zuhören, sagt Vogt, auch wenn das ein Schriftsteller, «der den ganzen Tag allein vor sich hinschreiben kann», sonst nicht müsse. Bärfuss kontert unbeeindruckt Vogts Argumente, Fluri unterstützt gewohnt souverän:
Auch die beiden Gäste im Expertenstand bringen Vogt in Bedrängnis. Rühl fordert von den Befürwortern der Selbstbestimmungsinitiative, sie sollen sagen, dass sie die Konvention kündigen wollten. Rühl: «Sagt doch klar, was eure Haltung ist.» Rechtsprofessorin Hertig doppelt nach: Sowohl im Extrablatt der SVP als auch im Argumentarium von Vogt werde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte thematisiert. Der Initiativtext sei «massgeschneidert auf die EMRK.» Wenig später nimmt Hertig erneut Vogt in den Schwitzkasten – der wiederum mit einem anschaulichen Vergleich von Bärfuss mundtot gemacht wird. Vogt käme ihm vor wie ein schick angezogener Verkäufer, der ihm etwas unterjubeln wolle.
Es ist wieder Hertig, die, nachdem sich Fluri und Widmer in eine Diskussion um die MEI verwickelt haben, die Diskussion auf den Kern zurückführt: Der Stimmbürger, so Hertig, würde bei der Annahme der Initiative schon jetzt zustimmen, dass Verträge einfach gekündigt würden. Das sei nicht annehmbar. Rühl leistet Hertig Schützenhilfe und bohrt nach: Es sei ehrlicher, wenn man sage, man sei mit einem internationalen Vertrag nicht einverstanden. Dann könne das Volk konkret entscheiden.
Das Netz um Vogt zieht sich zu, doch der gibt nicht nach. Wiederholt betont er, die Initiative ziele nicht auf die EMRK. Man wolle auch den EGMR nicht aufheben. Trotzdem wirft Vogt erneut die Frage auf, warum es ein ausländisches Gericht brauche. Warum die fremden Richter den Einzelfall besser entscheiden könnten. Doch kurz darauf wird der SVP-Nationalrat auch noch von einem Studenten aus dem Publikum in Bedrängnis gebracht.
Vogt verzweifelt zunehmend. Es brauche eine rote Karte, die die Schweiz gegen den EGMR zücken könne. Dieser befasse sich längst nicht mehr nur mit Fällen, bei denen es um Menschenrechte ginge. Vogt: «Dieses Gericht ist out of control!». Als Rühl wenig später auch noch eindringlich davor warnt, die Schweiz würde wirtschaftliche Beziehungen gefährden, scheint Vogt langsam aber sicher die Fassung zu verlieren.
Mit Vehemenz fordert er Klarheit bei Volksabstimmungen, die internationale Verträge gefährden könnten. Ausgerechnet. Schliesslich haben das seine Gegner während der ganzen Sendung von ihm ein Zugeständnis verlangt, dass die Selbstbestimmungsinitiative genau das tun würde. Darauf geht Bärfuss nicht ein, doch der Schriftsteller holt nach diesem Votum zu seinem letzten und wohl härtesten Schlag aus.
Und bringt Vogt damit endgültig zum schweigen.