Der Ärztemangel in der Schweiz spitzt sich zu. Besonders gesucht sind derzeit Allgemeinmediziner. Weil über die Hälfte der Hausärzte in den nächsten Jahren pensioniert wird, fehlen bereits in drei Jahren 2000 Praktiker. Doch auch für Spitäler ist es schwieriger, vakante Stellen zu besetzen. Der Grund dafür: Weniger deutsche Ärztinnen und Ärzte wollen hierzulande arbeiten.
Doch genau die Deutschen haben uns bis anhin aus der Misere geholfen. Das ändert sich nun. «Die Schweiz hat an Anziehungskraft verloren», sagt Julia Balensiefen von B-plus, einem Spezialisten für die Suche und Vermittlung von Ärzten.
Noch sind in hiesigen Spitälern und Praxen 6240 deutsche Mediziner tätig. Doch ihr Anteil unter den ausländischen Ärzten nimmt ab. Bei 56 Prozent liegt er aktuell, vor fünf Jahren betrug er noch knapp 60 Prozent. Als Grund für diese Entwicklung nennt Balensiefen die veränderten Arbeitsbedingungen in Deutschland. So hätten deutsche Spitäler eine Arbeitszeitbeschränkung eingeführt, das Feriensaldo aufgestockt und die Löhne erhöht. «Herumgesprochen hat sich aber auch, dass Deutsche in der Schweiz nicht nur willkommen sind», sagt sie. Insbesondere die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative habe viele enttäuscht und teilweise zur Rückkehr veranlasst. «Sie ist auch heute oftmals ausschlaggebend, dass es sich Deutsche zweimal überlegen, einen Job in der Schweiz anzunehmen.» Vor allem Ärzte mit Familien seien zurückhaltend. «Sie möchten ihren Kindern Anfeindungen ersparen.»
So stellt die Kadervermittlung B-plus fest, dass es anspruchsvoller wird, Ärzte aus Deutschland zu rekrutieren. Und zwar nicht nur Nachwuchsleute, sondern auch solche für Chefarztpositionen. Die Universitätsspitäler in der Deutschschweiz bestätigen diese Entwicklung. «Es ist grundsätzlich schwieriger geworden, Deutsche in die Schweiz zu bewegen», sagt Gregor Lüthy, Leiter Unternehmenskommunikation des Universitätsspitals Zürich. Besonders gross sei die Herausforderung bei den erfahrenen Fachärzten. «Die Kompensationspackages in der Schweiz haben gegenüber Deutschland an Attraktivität eingebüsst.»
Über ein Drittel der Ärzte am Unispital Zürich sind Deutsche. Am Unispital Basel sind es knapp 40 Prozent. Dessen Sprecher Martin Jordan sagt: «Wir sind zwingend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.» Zwar ist der Anteil der Deutschen stabil, es fragt sich allerdings wie lange noch. Eine Ersatz-Nationalität, die dem Ärztemangel entgegenwirkt, zeichnet sich nicht ab. «Zwar erhalten wir Bewerbungen aus ganz Europa und auch aus Drittstaaten wie den USA, Russland oder Indien, doch Voraussetzung für eine Anstellung ist, dass sich jemand problemlos mündlich und schriftlich auf Deutsch verständigen kann.»
Am Inselspital Bern sind derzeit 52 Stellen im ärztlichen Bereich offen. «Die Situation hat sich über die vergangenen Jahre kontinuierlich verschlechtert», sagt Sprecherin Monika Kugemann. «Es wird immer schwieriger, die offenen Stellen fristgerecht zu besetzen.» Unlängst hat sich Gesundheitsminister Alain Berset dahingehend geäussert, dass er die Zulassung, den Numerus clausus, lockern möchte. «Es braucht eine gewisse Öffnung bei der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten an der Universität.» Doch Jürg Schlup, Präsident des Ärzteverbands FMH, ist überzeugt: «Mit einer Abschaffung des Numerus clausus haben wir noch keinen einzigen neuen Studienplatz.»
Über 5000 junge Menschen haben sich dieses Jahr für ein Medizinstudium gemeldet, doch nur 1683 werden Mitte September tatsächlich die Bank an einer Schweizer Universität drücken. Mehr Studienplätze gibt es schlicht nicht. Der Numerus clausus beschränkt die Zulassung. Die Folge: Jeder dritte berufstätige Arzt hat ein ausländisches Diplom – vor fünf Jahren war es noch jeder vierte.
Für Jürg Schlup ist diese Situation unhaltbar. «Unsere medizinische Versorgung kann nur dank ausländischen Ärztinnen und Ärzten aufrechterhalten werden», sagt er. Bei den Hausärzten wie auch bei den Spezialisten sei die Schweiz auf die Zuwanderung angewiesen. «Wir bilden seit Jahren viel zu wenige Ärzte aus.» Der Bundesrat will deshalb in den nächsten vier Jahren in die Ärzteausbildung investieren. Ziel ist es, die Zahl der Abschlüsse zu erhöhen. Nur 890 Medizinstudenten gingen vergangenes Jahr erfolgreich von der Universität ab. Künftig sollen gemäss Bundesrat 1300 Mediziner pro Jahr diplomiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es allerdings mehr Studienplätze. Die FMH schätzt, dass rund 1800 nötig sind.
Zwar erhöhen die Universitäten seit Jahren stetig die Plätze, doch die Schweiz hinkt im internationalen Vergleich noch immer hinterher. Knapp zehn Ärzte bilden wir pro 100 000 Einwohner aus. In Österreich sind es fast vierzehn und in Deutschland zwölf.