Nach einem Monat in beinahe totaler Isolation habe ich mich dazu entschieden, Spanien zu verlassen und in die Schweiz zurückzukehren. Obwohl ich in meinem letzten Artikel geschrieben habe, dass ich – komme, was wolle – in Spanien bleiben werde.
Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, da die Rückreise für mich bedeutet, mein Leben in Spanien hinter mir zu lassen. Denn: Niemand weiss, wie lange das alles noch andauert und welche Einschränkungen danach folgen.
In Spanien wird gemunkelt, dass der sogenannte «Estado de alarma» (Alarmzustand) noch zweimal verlängert wird – bis etwa Mitte Mai. Im Grunde wäre dies für mich kein Problem. Die vier Wochen in Quarantäne vergingen schnell. Ich war in guter Gesellschaft und wir hatten eine Terrasse, auf der wir uns immerhin ein bisschen bewegen konnten.
Jedoch bange ich etwas um meine Arbeitsstelle. In Spanien erhält man praktisch keine unbefristeten Arbeitsverträge. Mein Vertrag war demnach nur bis Anfang Mai gültig. Zu wenig Sicherheit, um abzuwarten und auf bessere Zeiten zu hoffen.
Also fasste ich den Entschluss, das Land zu verlassen und in die Schweiz zurückzukehren. Aber wie kommt man eigentlich von Barcelona nach Zürich in Zeiten von Corona? Und wie verläuft diese Reise?
Tatsächlich fliegt momentan noch die Airline Vueling mit einem Direktflug von Barcelona nach Zürich – einmal in der Woche. Ich buche den nächsten Flieger und habe eine knappe Woche Zeit, meine Arbeitsstelle und mein WG-Zimmer zu kündigen. Beide Verträge haben eine Kündigungsfrist von nur 15 Tagen – und bei der Arbeit stehen mir noch Ferientage zur Verfügung.
Da man in Spanien praktisch keine Taxis mehr auf der Strasse antrifft, weil Arbeiter in nicht essenziellen Bereichen zu Hause bleiben müssen, buche ich mir meinen Flughafentransfer online.
Generell war ich immer ganz nervös, wenn ich meine Wohnung verlassen musste, um einkaufen zu gehen. Besonders, weil in Spanien derzeit alles kontrolliert und überwacht wird. Überall befinden sich Polizisten. Zudem kann man Drohnen und Helikopter am Himmel beobachten.
Auf dem Weg zum Flughafen beobachte ich, wie die Polizei Auto- und Motorradfahrer kontrolliert. Wer derzeit in Spanien ein Fahrzeug benutzt, braucht ein von der Regierung unterzeichnetes Dokument. Auch fliegen darf man nur, wenn es absolut notwendig ist – das werde ich später noch zu spüren kriegen.
Am Flughafen sticht mir diese Anzeigetafel ins Auge:
Das sind nicht die Flüge der Stunde, sondern die des ganzen Tages. Drei Inlandflüge und mein Flug nach Zürich. Zu normalen Zeiten gab es alleine nach Zürich von Barcelona aus vier Flüge. Mindestens. Aber wir leben nicht in einer normalen Zeit.
Mir bleibt noch etwa eine Stunde bis zum Abflug. Nur ein einziger Check-in-Schalter ist geöffnet, doch das reicht vollkommen. Vor mir in der Schlange warten genau zwei weitere Personen. Der Schalter ist mit einer Plastikscheibe geschützt, so dass man ohne Maske miteinander kommunizieren könnte.
Auf einer Anzeigetafel wird darauf hingewiesen, dass man einen Meter Abstand einhalten sollte und dass Reisen nur in Ausnahmesituationen erlaubt ist.
Und das wird konsequent kontrolliert: Nach der Gepäckabgabe befragt mich die Polizei, wieso ich ausreisen möchte, was ich in Spanien gemacht habe und ob ich plane, wieder einzureisen. Zudem prüft der Grenzpolizist nicht nur meine Aufenthaltsbewilligung und meinen Pass, sondern er dokumentiert auch alles. Sogar die Namen meiner Eltern will er wissen.
Dann entfernt sich der Polizist plötzlich und telefoniert aufgeregt.
Mir wird heiss und tausend Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum: Werden sie mich nicht ausreisen lassen? Wo soll ich dann hin? Wann kann ich dann meine Familie wieder sehen? Gedanken, die mir einmal mehr zeigen, dass wir gerade nicht in normalen Zeiten leben.
Der Polizist gibt schliesslich Entwarnung.
Auf dem Flughafen herrscht nicht nur gähnende Leere, sondern auch eine eher traurige Stimmung – und das in einem Land, welches bekannt für seine Lebensfreude ist. Man wird fast so behandelt, als würde man gerade etwas Verbotenes tun. Ein bisschen fühle ich mich wie eine Verbrecherin – und das nicht, weil ich vermummt am Flughafen herumgeistere.
Herumgeistern beschreibt mein Tun übrigens ganz gut. Der Flughafen ist ausgestorben und es herrscht eine unheimliche Stille.
Alle Läden sind geschlossen und der grösste Teil des Flughafens abgeriegelt. Die Zeit totschlagen kann man sich nur mit Schaufensterangucken.
Von weitem sehe ich eine Maschine. Es ist die einzige, die weit und breit zu sehen ist. Zum Glück ist es mein Flieger!
Vor meiner Abreise war ich alles andere als sicher, dass mein Flug tatsächlich stattfinden wird. Jetzt beginnt tatsächlich das Boarding.
Die Leute bilden etwas verunsichert eine Reihe. Ich stelle mich dazu und nerve mich über den Mann hinter mir, der sich mir immer mehr nähert.
Im Flugzeug befinden sich um die 30 Leute. Jedem steht eine ganze Reihe für sich alleine zur Verfügung. Die meisten Leute setzen sich ans Fenster.
Etwas melancholisch starre ich aus dem Fenster. Auf dem Mittelmeer sieht man: nichts. Kein Boot und kein einziges Schiff sind zu entdecken. Besser könnte mir nicht vor Augen geführt werden, wie klein wir Menschen eigentlich sind – und was für aussergewöhnliche Zeiten wir gerade erleben.
Ich lese ein paar Zeilen in meinem Buch und schlafe ein – bis ich vom Piloten geweckt werde. Wir werden in Kürze landen. Jede Reihe soll gestaffelt aussteigen, sodass die Abstandsregel gewährleistet ist. Wir beginnen bei der ersten Reihe.
Auch auf dem Flughafen Zürich herrscht gähnende Leere. Es fühlt sich an wie auf einem privaten Landeplatz – oder gar wie auf einem anderen Planeten.
Ausser Polizisten, sehr sehr vielen Polizisten, befindet sich sonst niemand am Flughafen. Der Boden ist reihenweise mit Abstandsregel-Klebern übersät.
Bei der Grenzkontrolle werde ich freundlich mit einem «Willkomme i de Schwiz» begrüsst. Nachdem ich meinen Pass gezeigt habe, muss ich rasch meine Maske unters Gesicht ziehen und darf weitergehen.
Als ich bei der Gepäckabgabe ankomme, warten auch schon meine Koffer auf mich. So ungewohnt schnell ging das noch nie.
Beim Empfangsbereich wartet mein Vater auf mich. Sonst wartet praktisch niemand.
Als wir nach Hause fahren, knipse ich noch schnell ein Bild vom fast leeren Rollfeld. Was ich bis jetzt gesehen habe, gleicht dem Bild, das ich aus Barcelona kenne. Doch das sollte sich schlagartig ändern.
Auf dem Heimweg sehe ich herumlaufende Leute auf der Strasse. In Gruppen! Für mich fühlt sich das an wie ein Kulturschock.
In Spanien wurde man sogar gebüsst, wenn man nur kurz Klopapier kaufen gehen wollte. Erlaubt waren da nur Grosseinkäufe.
Es sind wirklich keine normalen Zeiten, in denen wir gerade leben. Aber nach einem Monat Lockdown in Barcelona kann ich euch sagen: Wir können uns hier wirklich sehr glücklich schätzen, überhaupt ein bisschen frische Luft im Freien schnuppern zu dürfen.