Nichts für ungut, aber Ferien haben sich früher irgendwie anders angefühlt. Urlaub, das war ein zeitlich genau begrenzter Ausnahmezustand zwischen Übelkeit auf der Autorückbank, schlecht verschmierter Sonnencreme und gemeinschaftlich geteiltem Pfirsich-Vodka aus dem Supermarkt am Strand von Bibione – Zusammenhang nicht ausgeschlossen. Nichts, das man nebenbei erlebte, ohne vorhin wochenlang darauf hinzufiebern.
Wer länger als vier Wochen in die Ferien fuhr, hat sich erstmal mit einer Party in der nächstgelegensten Dorfdisko von seinen fünf besten Freunden verabschiedet, weil klar war: Den nächsten Monat hört man erstmal nichts mehr voneinander und wenn man zurückkommt, ist Lara nicht mehr mit Päde zusammen oder umgekehrt und die kleine Schwester hat ein neues Nasenpiercing.
Es war okay so, irgendwie, es gab ein paar Tränchen zum Abschied am Bahnhof (komme nur ich mir alt vor, während ich das hier schreibe?), bevor sich der Schleier der Distanz mit jedem gefahrenen Kilometer ein Stück weiter ausbreitete und eine kommunikationsspezifisch nicht zu überwindende Kluft hinterliess, zwischen den Fortgefahrenen und Dagebliebenen.
Es sei denn, man war bereit 70 Rappen pro SMS zu zahlen – und das waren die meisten Eltern definitiv: nicht.
Ferien fühlten sich jedenfalls sehr aufregend an, selbst wenn man nur vier Autostunden von zuhause entfernt im Strandkorb sass und Scrabble spielte. Der neue Ort wurde genauestens inspiziert, man verschaffte sich am ersten Abend per Fussweg einen Überblick über die fünf teuersten Touri-Restaurants (Pizzapreisschwankungen +/- drei Franken) und den am nächsten Morgen sicherlich überlaufenen Strand – aber hey:
Heute ist der erste Move am neuen Ort – ihr wisst es bereits – die Frage nach dem Wlan-Passwort.
Und selbst das ist seit 2017 nicht mehr notwendig. Wer eine Landesgrenze innerhalb Europas überschreitet, hat dank der meisten Handyverträgen und der Abschaffung der Roaminggebühren inzwischen im Ausland integriertes Datenvolumen. E-Mails, WhatsApp und Co. trudeln also genauso stetig ein, als ob man zuhause im Büro sitzen würde. Genial!
Die praktischen Seiten dieser Errungenschaft sollten gar nicht kleingeredet werden: Plötzlich weiss man genau, wo der nächste Supermarkt, das nächste hippe Café, der nächste Club und vielleicht sogar das nächste Date ist.
Aber liegt nicht genau hier das Paradox, sich im Urlaub 2017 ein bisschen zu sehr wie zuhause zu fühlen?
Dass alles ständig verfügbar ist, hat Auswirkungen auf die Reisequalität. Aufs Runterkommen, Abspannen – ist es nicht das, was wir wollten? Es geht gar nicht darum, das Smartphone prinzipiell zu verdammen. Wir alle wissen, dass «Digital Detox» ein leerer, euphemistischer Begriff ist, der uns vorgaukelt für kurze Zeit «frei von Technik» zu leben, obwohl sie schon längst in die Grundfeste unserer Gesellschaft vorgedrungen ist. Smartphone an oder aus, hin oder her.
Es ist vielmehr eine Beobachtung, dass Urlaub früher einfach einfacher war. Dass es die Option der digitalen Beobachtung durch andere schlichtweg nicht gab, während man seine Mähne am Strand schwenkte oder den nächsten Berg erklomm. Niemand musste darüber nachdenken, ob er sich täglich bei jemandem melden muss, zuhause, ob und vor allem: was er oder sie von der Reise teilen möchte. Es ging nicht. Genauso wenig wie es heute möglich ist, Technologie unsichtbar zu machen. Der Gedanke an sie bleibt.
Es soll Menschen geben, die ihren Sommerflirt bereits vortindern (ist das Wort schon im Duden?), damit die Sommerromanze auch «ganz sicher» stattfinden kann – zumindest potenziell, in der Vorstellung.
Wer mit solch einem Freund oder solch einer Freundin verreisst, kann sich die netten Abende zu zweit beim Italiener ums Eck abschminken. Lieber werden Locals gedatet, die dann nach drei Tagen Turtelei – surprise, surprise – doch nicht mit nach Deutschland oder in die Schweiz ziehen werden.
Danke, abgeschaffte Roaminggebühren. Jetzt haben wir die ganzen elektronisch-bedingten Scheissprobleme auch da, wo wir eigentlich mal wieder ein ganzes Buch zu Ende lesen wollten und nicht nur bis Seite 24, weil dann wieder eine Instagram-Benachrichtigung eintrudelte.
Diesen Sommer wurde ich erstmals der Stille meiner idyllischen Zweitheimat beraubt. An einem abgelegenen Ort in der Slowakei, an dem es weder fliessend Wasser noch ein richtiges Klo gibt, hatte ich auf einmal Internet. Ich will, ich wollte das nicht! Aber was soll eins tun? Natürlich, wird einer jetzt sagen, man kann doch das Handy abdrehen. Aber wie bei anderen Suchterkrankungen auch ist die Abstinenz nicht so einfach für das Hirn.
Vor allem nicht, wenn man eigentlich jederzeit die Hand ausstrecken und das Ding wieder einschalten kann. Drei Tage habe ich ausgehalten und Paul Auster gelesen, dann wollte ich «doch mal kurz nachschauen». Für was? Dass die Nachricht, auf die ich eigentlich gewartet habe, nicht da war? Es blieb alles ein bisschen anstrengend.
Schliesslich habe ich einen radikalen Ausweg für mich gefunden: einfach so lange Musik runterladen, bis kein im Ausland verfügbares Datenvolumen mehr übrig ist.
Aber ich sag euch eines: Sich im Strudel der unbegrenzten
Möglichkeiten einer lästigen Angewohnheit entledigt zu haben, hat sich sowas von gelohnt. Ich habe meine entdigitalisierte Illusion der Gartenhütte gemeinsam mit der Entspannung zurückbekommen, ganz so, als ob ich wieder in den Neunzigern leben würde und die internetbedingte Unruhe hinter mir gelassen hätte. Selbst wenn dieser Zustand nur für ein paar Tage galt.
Urlaub soll verdammt nochmal Ausnahmezustand bleiben.