Leben
Schweiz

Chop Records aus Bern schliesst. Jürg Trindler macht weiter.

Jetzt stehen wir ganz ohne Chop da: Der beste Plattenladen im Land macht dicht

Jürg Trindler bei der Arbeit: Brücken bauen. Bild: Mint.Mag
Chop Records in Bern schliesst seine Tore. Ein letzter Besuch im besten Plattenladen der Schweiz.
30.03.2017, 08:3501.04.2017, 09:39

Ich muss vorausschicken, dass ich in dieser Angelegenheit nicht objektiv bin, nicht mal ein bisschen: In Bern aufgewachsen, habe ich hunderte Stunden zwischen den Regalen des Chop Records verbracht. Noch bevor die Algorithmen von Apple Music und Spotify uns die ganze Arbeit abnahmen, habe ich Booklets studiert, Musikernamen querreferenziert und mit Verkäufern gesprochen, die Plattenkritiken der Magazine am Original überprüften. Meist mit der maximal erlaubten Zahl von zehn Scheiben auf einmal bin ich zur Theke gegangen, um mir dann eine nach der anderen von vorne bis hinten anzuhören.

Freunde von mir spielen in Bands, die Chop-Chef Jürg Trindler durch die Gegend gefahren hat.

Ehemalige Mitarbeiter des Chop buchen Bands in Lokalen, die ich gut finde, weil sie gute Bands buchen. 

Chop Records hat in meiner musikalischen Grunderziehung einen massgeblichen Anteil. Und hinter dem Chop stand schon immer Jürg Trindler. Ich mag den Chop und ich mag den Trindler. 

Jürg Trindler, Chop Records
Wirklich gerne fotografiert wird er zwar nicht ...Bild: Mint.Mag

David Bowie ist tot, Leonard Cohen ist tot. Und jetzt geht der Chop zu. Hatte ich also nochmal einen Grund, zurück nach Bern zu fahren, die Luft zu schnuppern und mich ausführlich mit Jürg zu unterhalten:

Jürg ist ja eigentlich Lehrer. Jürg sagt, er sei damals ja eigentlich Lehrer gewesen. Den «Semer» habe er gemacht. Damals, als er aber auch jeden zweiten Tag in den Kisten des besten Plattenladens der Hauptstadt, des Roxy, wühlte. Damals, das war inmitten der 80er. Und er wühlte so intensiv und regelmässig damals, dass er naheliegenderweise gebeten wurde, kurz auszuhelfen, als ein Angestellter des Roxy erkrankte.

Nur wenige Monate später ging das Geschäft buchstäblich in Flammen auf. Dadurch entstand eine Lücke im kulturellen Gewissen der Stadt. Der Sog dieses Vakuums sollte der Impuls werden, der schliesslich fast drei Jahrzehnte musikalische Grund- bis Delikatessenversorgung bewirkte. 

29 Jahre später werden jetzt die letzten CDs verramscht, wird die Weihnachtsdeko in Kisten verpackt und der Aschenbecher nochmal geleert.

Jürg Trindler, Chop Records
Es ist Zeit, zu gehen.Bild: Mint.Mag

Dazwischen hat Jürg Trindler die Schweizer Musikszene nachhaltig geprägt.

Im schlimmsten Fall sind Lehrer Erzieher. Im besten sind sie Brücken.

Jürg war schon immer eine Brücke. Er hatte schon immer einen Hunger nach neuer Musik, schier endlosen Appetit auf Bands, die sich was trauen. Und er wird nie müde, seine Entdeckungen zu teilen. Deshalb stellte er auch immer Gleichgesinnte in seinem Laden ein. Niemals Verkäufer. Nur Fanatiker. Musikfanatiker. Und deshalb lief im Chop auch schon immer ohrenbetäubende Musik. Schon 1988 im kleinen, ruhigen Bern. Damit auch ganz bestimmt keiner missversteht oder vergisst, wo er ist. Im Chop Records ging und geht es um Musik. Immer und an erster Stelle.

Das Personal hatte vielleicht nicht immer Ahnung von Buchhaltung. Aber es konnte dir garantiert eine Liste mit den zehn besten Punkplatten aus dem Herbst 1977 in die Hand drücken. Oder den Backkatalog der Pixies rückwärts vorsingen.

Und weil ich nicht der einzige kleine Junge im kleinen Bern war, der mehr hören wollte als das Radio anbot, fanden immer mehr immer wieder ihren Weg zum Chop. Lernten und wurden beeinflusst. Nahmen die Begeisterung für Musik auf, wie sie verbreitet wurde. Ehemalige Mitarbeiter des Chop buchten und buchen jetzt Bands fürs Bad Bonn oder das ISC. Sie haben eigene Plattenläden aufgemacht. Und in fast jeder besseren Band im Raum Bern gibt es jemanden, der schon mal im Chop hinter der Theke stand. 

Jürg Trindler, Chop Records
Bild: Mint.Mag

Ja. Die CD-Verkäufe serbelten dahin. Streaming und Algorithmen übernahmen zusehends das Zepter.
Ja. Das zweite Wohnzimmer meiner Teenagerjahre schloss zwischenzeitlich seine Tore. 240 m2 und neun Mitarbeiter liessen sich mit Indie, Punk und Acid House einfach nicht mehr finanzieren. 

Doch Jürg hatte längst zum nächsten Schritt angesetzt und die Bands direkt in den Laden geholt. Angefangen bei Live-Konzerten zwischen CD-Regalen, entstand dann konsequenterweise ein eigenes Label. Aus dem Konserven-Dealer war ein Schatzmeister, Manager, Vertrauter von Bands wie den Kummerbuben, Dead Bunny oder My Heart Belongs to Cecilia Winter geworden. Ist noch irgendjemand erstaunt, dass Jürg dann auch mal den Bus fährt und beim Bühnenoutfit mitredet?

«In diesen Gruppen hat doch keiner einen Führerschein.»
Jürg Trindler kümmert sich

Das Ende des Ladens sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Die Citydisc-Mitarbeiter seien irgendwann jeden Freitag vorbeigekommen, um sich die Preise abzuschreiben  – und sie am folgenden Montag zu unterbieten. 

Jürg Trindler, Chop Records
Bild: Mint.Mag

Das geht an die Substanz: 

«Den Einen habe ich dann mal rausgeschmissen. Hochkant.»
Jürg Trindler

Und das war noch, bevor das Internet überhaupt erst in den Musikmarkt eintrat. 

Jürg Trindler, Chop Records
Bild: Mint.Mag

In kleinerem Rahmen, mit zwei seiner langjährigen Mitstreiter, Serge und Dani, versuchte er dem Fortschritt dann doch noch Paroli zu bieten. Auf kleinerem Raum, in einem Keller neben dem Bundeshaus, kehrte er zurück an die Front. Social-Media-Strategie, Bestellungen, Sortimentsselektion. Und wendete tatsächlich den Trend. Doch sein Label blieb dabei auf der Strecke. Alle sechs Monate sass er in seiner Wohnung auf dem Land und dachte sich: «Gut, ein halbes Jahr noch.» Wieder und wieder.

Und irgendwie ist jetzt auch mal gut. Jetzt werden Kisten gepackt und CDs für einen Franken das Stück rausgehauen. Die Möbel kriegt der Serge, weil der macht weiter. Einen Raum hat er zwar noch nicht, aber das kommt schon noch. 

Das Zuhause mitten in der Stadt wird Jürg vermissen, sicher. Aber richtig ruhig sitzen kann er ja doch nicht. Interessante Musik gebe es auch in der Schweiz genug, meint er. Und wenn er internationales Potential sehe, dann gibt es kein Halten mehr.

Jürg Trindler, Chop Records
Bild: Mint.Mag

Endlich habe er wieder mehr Zeit für das Label.

Suchst du den Kampf eigentlich, Jürg?

«Nein, ich brauch' keinen Kampf. Aber weiter muss es gehen. Immer weiter. Und immer etwas bergauf.» 
Jürg Trindler kann nicht gut still sitzen

Der beste Plattenladen der Hauptstadt schliesst am 31. März 2017 seine Türen zum letzten Mal. Aber das macht nichts. 

Jürg Trindler, Chop Records
Bild: Mint.Mag

Serge Berthout bleibt am Ball. Und Daniel Fischer betreibt bereits einen eigenen Plattenladen. Ab 1. April erstmal den letzten richtigen Plattenladen der Stadt. Kein Witz. 

Gute Musik braucht kein Zuhause. Gute Musik braucht Brücken. Und die hat sie, immer mehr. Und auch Jürg Trindler wird uns erhalten bleiben.

Alles wird gut. 

Hillbilly Moon Explosion: Eine Zürcher Band auf Europa-Tournee

1 / 23
Hillbilly Moon Explosion: Eine Zürcher Band auf Europa-Tournee
Weshalb man die Strapazen auf sich nimmt? Deswegen – wegen diesem «Uaaarrrrgghh»-Moment.
quelle: facebook/hillbillymoon / fabien dubois
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Mehr zum Thema Leben gibt's hier:
15 Styles, die Ende 90er und Anfang 2000er der Shit waren
79
15 Styles, die Ende 90er und Anfang 2000er der Shit waren
von Madeleine Sigrist
Nach «Avengers: Endgame» – diese 7 kommenden Filme könnten auch die Milliarde knacken
34
Nach «Avengers: Endgame» – diese 7 kommenden Filme könnten auch die Milliarde knacken
Ich + Ich + Tattoo-Dirk à Paris
126
Ich + Ich + Tattoo-Dirk à Paris
von Emma Amour
«Game of Thrones»: Das war sie also, die grösste Schlacht der TV-Geschichte?!?!
345
«Game of Thrones»: Das war sie also, die grösste Schlacht der TV-Geschichte?!?!
von Pascal Scherrer
Dieses Model trägt als Erste einen Burkini auf der Titelseite der «Sports Illustrated»
19
Dieses Model trägt als Erste einen Burkini auf der Titelseite der «Sports Illustrated»
von Anna-Lena Janzen
«Avengers: Endgame» pulverisiert Kinorekord – und sorgt für Schlägerei
47
«Avengers: Endgame» pulverisiert Kinorekord – und sorgt für Schlägerei
«Meine Ehefrau hat mich jahrelang mit ihrer Jugendliebe betrogen»
154
«Meine Ehefrau hat mich jahrelang mit ihrer Jugendliebe betrogen»
von Emma Amour
Die vegane Armee
223
Die vegane Armee
von Camille Kündig
14 Comics, die das Leben als Mann perfekt auf den Punkt bringen
32
14 Comics, die das Leben als Mann perfekt auf den Punkt bringen
Die Jackson-Doku «Leaving Neverland» erhitzt die Gemüter – 6 Gründe, warum das so ist
111
Die Jackson-Doku «Leaving Neverland» erhitzt die Gemüter – 6 Gründe, warum das so ist
von Jodok Meier
Auf den Spuren meiner Urgrossmutter
8
Auf den Spuren meiner Urgrossmutter
von Benedikt Meyer
Regie-Legende Francis Ford Coppola: Neues Alter, neuer Film, neues «Apocalypse Now»
7
Regie-Legende Francis Ford Coppola: Neues Alter, neuer Film, neues «Apocalypse Now»
von Pascal Scherrer
«Mimimi» – Wie schnell bist du empört?
98
«Mimimi» – Wie schnell bist du empört?
von Anna Rothenfluh
Sterben am Schluss alle? Das verraten uns die 3 neuen Teaser zu «Game of Thrones»
7
Sterben am Schluss alle? Das verraten uns die 3 neuen Teaser zu «Game of Thrones»
So heiss, stolz und glücklich feierten die «Game of Thrones»-Stars Premiere
9
So heiss, stolz und glücklich feierten die «Game of Thrones»-Stars Premiere
10 lustige Antworten auf die dumme Frage: «Wann hast du entschieden, homosexuell zu sein?»
35
10 lustige Antworten auf die dumme Frage: «Wann hast du entschieden, homosexuell zu sein?»
Böööses Büsi! Stephen Kings «Pet Sematary» ist wieder da
30
Böööses Büsi! Stephen Kings «Pet Sematary» ist wieder da
von Simone Meier
RTS zeigt GoT zeitgleich am TV. Und wir fragen: Wann wollt ihr dazu was von uns lesen?
34
RTS zeigt GoT zeitgleich am TV. Und wir fragen: Wann wollt ihr dazu was von uns lesen?
Ja, in der Schweiz gibt es Obdachlose – und so leben sie
90
Ja, in der Schweiz gibt es Obdachlose – und so leben sie
von Camille Kündig
«Krebs macht einsam» – wie Ronja mit 27 Brustkrebs überlebte
22
«Krebs macht einsam» – wie Ronja mit 27 Brustkrebs überlebte
von Helene Obrist
Coca Cola Life und 17 weitere Getränke, die (beinahe) aus der Schweiz verschwunden sind
262
Coca Cola Life und 17 weitere Getränke, die (beinahe) aus der Schweiz verschwunden sind
von Pascal Scherrer
US-Komiker Noah spricht über seine (Schweizer-)Deutsch-Erfahrungen – und es ist grossartig
32
US-Komiker Noah spricht über seine (Schweizer-)Deutsch-Erfahrungen – und es ist grossartig
Die Boeing 737 ist derzeit nicht sehr beliebt – wie dieser Litauer jetzt auch weiss
26
Die Boeing 737 ist derzeit nicht sehr beliebt – wie dieser Litauer jetzt auch weiss
«Leaving Neverland»: Brisante Jackson-Doku kommt am Samstag im SRF
2
«Leaving Neverland»: Brisante Jackson-Doku kommt am Samstag im SRF
Sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt: 7 Dokus zum 🐝-Sterben
21
Sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt: 7 Dokus zum 🐝-Sterben
von Pascal Scherrer
Der neue Schweizer Streaming-Dienst «Filmingo» will das Anti-Netflix sein
13
Der neue Schweizer Streaming-Dienst «Filmingo» will das Anti-Netflix sein
Tantra-Tina, ihre Latexhandschuhe und mein Orgasmus
76
Tantra-Tina, ihre Latexhandschuhe und mein Orgasmus
von Emma Amour
Ich machte bei GNTM mit – und so war's (empörend!)
16
Ich machte bei GNTM mit – und so war's (empörend!)
von Simone Meier
Mick Jagger braucht eine neue Herzklappe – und will bald wieder auf der Bühne stehen
Mick Jagger braucht eine neue Herzklappe – und will bald wieder auf der Bühne stehen
Nacktbild von Sohn löst Shitstorm aus – Sängerin Pink rastet aus
63
Nacktbild von Sohn löst Shitstorm aus – Sängerin Pink rastet aus
«Ich liebe meine Freundin, aber ich liebe auch schöne Frauen…»
169
«Ich liebe meine Freundin, aber ich liebe auch schöne Frauen…»
von Emma Amour
Ihre Produkte haben die Welt erobert – trotzdem wurden diese 5 Erfinder nicht reich
9
Ihre Produkte haben die Welt erobert – trotzdem wurden diese 5 Erfinder nicht reich
von Pascal Scherrer
Disney wird immer mächtiger – warum darunter vor allem Kinos und Zuschauer leiden
33
Disney wird immer mächtiger – warum darunter vor allem Kinos und Zuschauer leiden
von Pascal Scherrer
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
9 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Papedipupi
30.03.2017 09:22registriert Oktober 2014
Schöner Artikel, danke!
10
Melden
Zum Kommentar
9
Bund empfiehlt Risikopersonen Impfung gegen Grippe und Covid-19
Risikogruppen sollten sich im Herbst gegen Atemwegserkrankungen wie Grippe, Covid-19 und RSV impfen lassen. Das empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit und erinnert an die erste nationale Impfwoche im November.
Zur Story