So entfährt es spontan meiner Chefin Madeleine, als ich ihr die Prämisse dieser Story erzähle.
Und ähnlich erging es hunderttausenden Autofans, als die Nachricht die Runde machte, Mike Burroughs von Stanceworks würde den V8-Motor seines 1981er-Ferrari herausreissen und den mit einem Honda 4-Zylinder-Motor ersetzen. Das Autoportal Jalopnik sprach davon, dass «the news broke the car internet».
Aber erstmal von vorne:
Da wäre also Herr Mike Burroughs, ein bekannter Querkopf in der Tuning- und Custom-Car-Szene der USA. Seine Firma Stanceworks hat schon etliche mehrfach preisgekrönte Custom Builds konstruiert. Grosses internationales Echo gab es unter anderem für diesen Ford Model A Hot Rod:
Und, logisch, in der Custom-Szene hat niemand ein Problem damit, dass man an einem Ford aus den Dreissigerjahren alles, aber auch alles, verändert – angefangen beim Motor. Wenn ein Hotrodder aber genauso denselben Ansatz bei gewissen anderen Automarken verwendet ... uiuiui!
‹Gewisse Automarken›? Ach, ihr wisst gewiss, worauf ich hier anspiele. Einen alten Jaguar modifizieren ... neeeeein! Einen alten Porsche ... Sakrileg!! Ein alter Ferrari verbasteln ... TOD UND TEUFEL!!!
Doch ebendieser Mike Burroughs erstand einen 1981er-Ferrari 308 GTBi ... mit der erklärten Absicht, diesen zu einem 1000-PS-starken Timeattack-Auto zu modifizieren. Ja, er mochte das Design dieses Modells schon immer, sagt er, und, ja, das von ihm gekaufte Exemplar war in einem gar nicht so schlechten Zustand. Doch ein Hotrodder wie Burroughs sieht in einem Vehikel stets eines: Potenzial. Bei jedem Auto ist noch viel Luft nach oben.
Bei besagtem Ferrari nicht zuletzt beim Motor, der, gelinde gesagt, etwas unimposant daherkommt. Nun könnte man den 2,9-Liter Ferrari-Block in stundenlanger Kleinarbeit auseinanderschrauben, durchputzen, optimieren und am Schluss hätte man vielleicht ein paar Pferdestärkchen mehr herausgekitzelt. Oder man verwendet einen moderneren, leichteren, effizienteren und vor allem PS-stärkeren Motor. Einer, der sich dank moderner Motorsteuerung einfach tunen lässt, damit sich der Wagen genau seinem Zweck entsprechend eingesetzt werden kann. Der K24-Honda-Vierzylinder, etwa. Und ein paar Turbolader.
Burroughs spart Gewicht, das Handling wird besser (der Verbrauch übrigens auch – obwohl's hier gewiss nicht darum geht) – und es hört sich auch noch grossartig an. Am Ende hat er ein massiv besseres Auto.
Aber, eben, mit dieser Aktion hat er das car internet gegen sich aufgebracht. Bei der Vorstellung, dass unter einer Ferrari-Motorhaube auf dem Motorblock Honda geschrieben steht, schreien die Leute Zeter und Mordio.
Kleinliche Snobs sind das, allesamt.
In diesem Fall bewundere ich Burroughs' Pragmatismus und Erfindergeist mehr als die Ikonenhuldigung eines hochkarätigen Ferrari-Restaurators. Mitunter auch, weil dies nur das neuste Beispiel eines Jahrzehnte währenden Kulturdisputs der Autokultur ist.
Auf der einen Seite waren da die europäischen Edelmarken – Ferrari als Extrembeispiel –, die seit je her einen Expertenstatus für sich beanspruchen. Letzteres nicht zu Unrecht, denn ihre Autos konnten sich sehen lassen und auch die Rennerfolge vorweisen, die ihnen recht gab. Auf der anderen Seite waren die quirligen Konstrukteure, die von Enzo Ferrari verachtungsvoll garagisti genannt wurden – Garagen-Malocher, gewissermassen: Leute wie Carroll Shelby, der einem englischen Sportwägelchen einen amerikanischen Ford-V8 verpasste ... und damit Ferrari die Hölle heiss machte. Ha! Gesehen? Motor ausgewechselt! Mike Burroughs Ansatz mit seinem aktuellen Projekt ist genau gleich wie der von Carroll Shelby mit seinem AC Cobra.
Die europäische Motorsportgeschichte war lange Zeit von der europäischen Gesellschaftsstruktur der Zwischenkriegsära geprägt. Die Rennfahrer dieser Anfangsjahre waren exzentrische Adelige (denn Rennsport war damals schon sauteuer). Somit widerspiegelt europäische Sportwagentradition das europäische Klassensystem. Sportwagen waren Spielzeuge der Upper Class. Die US-Motorsporttradition, hingegen, Büezer-History, Populärkultur. Die Autoindustrie baute PS-starke Autos, die bereits ab Fabrik so konfiguriert waren, dass sie getunt werden konnten. Schon in den frühen Sechzigerjahren bauten Chevrolet und Ford Autos, die Ferrari-Leistung aufwiesen, aber einen Bruchteil kosteten.
Das Bestehen darauf, einen Ferrari nicht zu verändern zu dürfen, ist somit Huldigung veralteter Klassenstrukturen. Man attestiert der Marke den Nimbus eines Aristokraten, gewissermassen. Mike Burroughs, hingegen, verneigt sich vor keinem automobilen Gessler-Hut. Land of the free, home of the brave und so – kännsch? Pursuit of happiness. Sein 1000-PS-Ferrari wird Hammer, wartet nur.
Hey, Leute, versteht mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen typengerechte und historisch korrekte Autorestauration. Im Gegenteil. Es gibt kaum was Schöneres, als einen 3,8-Liter-Jaguar-Motor, etwa. Eine historisch korrekte Vollrestauration ist wie die Renovation eines Kunstwerks. Hier soll Kulturerbe für die Nachwelt erhalten bleiben. Es ist der Blick zurück in die Vergangenheit. Restomods und Hotrods stellen den Blick nach vorn dar; die Erschaffung eines komplett neuen Kunstwerks. Beide Ansätze können nebeneinander bestehen. Und hey – bei Mike Burroughs Gefährt wird keine automobile Rarität verschandelt. Es handelt sich nicht um einen 288GTO oder Daytona, sondern um ein Exemplar der sehr verbreiteten 308-Modellreihe. Da gibt's genug 308er in Originalzustand und mit Originalmotor. Dieses eine Frankenstein-Exemplar wird niemandem etwas wegnehmen.
Um auf Madeleines Aussage zurückzukommen: Nein, Autos haben keine Seele. Sie sind Maschinen. Die Menschen, aber, die Autos fahren, entwerfen, konstruieren – sie alle haben sehr wohl eine Seele. Wichtig ist, wie das Auto den Fahrer sich fühlen lässt. Das ist Seele. Und dieser Honda-Ferrari fühlt sich bestimmt grossartig an.