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Ulrich Schmid hat genug. Der Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St.Gallen wird seit vier Monaten per E-Mail, Briefpost und auf sozialen Medien drangsaliert. Ausgangspunkt für die offenbar konzertierte Kampagne war eine Vorlesung, die er im November 2015 an der Kinder-Uni St.Gallen hielt. Titel:
Rund 600 Dritt- bis Sechstklässler sowie 100 Erwachsene sitzen an jenem Mittwochnachmittag im Audimax der Elite-Uni. Unter ihnen auch Anni Sasek, Frau von Sektenführer Ivo Sasek, der in seinen Büchern zur körperlichen Züchtigung von Kindern rät. Die Saseks organisieren zudem Vorträge, wo Holocaust-Leugner auftreten und betreiben den umstrittenen Internet-Sender Klagemauer TV, der hauptsächlich über Verschwörungstheorien berichtet. Dort erscheint zwei Tage nach der Vorlesung ein Beitrag, in dem Schmid und der Universität St.Gallen «parteiische Putin-Hetze» und «Anti-Russland-Propaganda» vorgeworfen wird.
Angemacht wird diese Kritik an angeblichen Aussagen Schmids, wonach Putin in der Ukraine «Krieg mache», die Krim «gestohlen habe» und das «Zarenreich wiederherstellen wolle». Als «Sahnehäubchen des Seriefeuers» wird dieses Titelbild der polnischen Zeitschrift «wprost» aus dem Jahr 2008 bezeichnet, das Schmid in der Vorlesung zeigte:
Einen Monat im Dezember später nimmt die deutschsprachige Ausgabe des staatlich-russischen Auslandsenders RT die Geschichte auf. Im Beitrag ist auch Anni Sasek zugeschaltet:
Professor Schmid hat die Vorlesung, von der weder ein Video noch ein Skript existiert, etwas anders in Erinnerung: «Ich war überrascht über die total verzerrte Darstellung meines Vortrags», sagt er auf Anfrage. «Wenn ich die Ukraine-Politik der Russischen Föderation kritisiere, wird daraus ‹Putin-Hetze›. Wenn ich sage, dass die Nato-Mitgliedschaft in den Baltischen Staaten von der Bevölkerung befürwortet wird, dann mache ich ‹Propaganda› für die Nato.»
Mit der Adolf-Putin-Titelseite aus der polnischen Zeitschrift habe er verdeutlichen wollen, wie Putins Drohgebärden in Russlands Nachbarstaaten aufgenommen werden. «Selbstverständlich ging es mir nicht darum, Putin mit Hitler zu vergleichen», so Schmid.
Im Plenum hat Sasek laut Schmid zudem keine Frage stellen können, weil Wortmeldungen von Erwachsenen während der Kinder-Uni nicht vorgesehen sind. Allerdings sei sie im Anschluss ans Rednerpult gekommen, um ihm Propagandamaterial ihrer Sekte auszuhändigen.
Sein Vortrag habe im wesentlichen aus der Besprechung von drei Thesen bestanden, die er zu Beginn vorgestellt habe:
Den Einwand, die russische Sicht ausgeklammert zu haben, lässt Schmid nicht gelten: «Ich hatte 45 Minuten Zeit für den Vortrag und vertrat darin jene Position, die auch von der akademischen Osteuropa-Forschung sowie von 28 europäischen Regierungen geteilt wird.» Auch die Auffassung, viele Menschen in der Ostukraine seien grundsätzlich pro-russisch eingestellt, teilt er nicht uneingeschränkt:
Bleibt die Frage, ob Kindern eine polarisierende Thematik wie der Ukraine-Konflikt sinnvoll zu vermitteln ist:
Die Universität St.Gallen geht von einer konzertierten Kampagne gegen Ulrich Schmid aus: «Alle Briefe basierten auf stereotypen, offensichtlich vorformulierten Ausdrücken und waren von Personen gezeichnet, die selbst gar nicht an der Kinder-Uni teilgenommen hatten», erklärt Kommunikationsleiter Marius Hasenböhler auf Anfrage. Man habe zudem Kenntnis von «E-Mails aus dem Umfeld der Sasek-Gemeinde an diverse Medien». Auch watson hat ein solches E-Mail erhalten, in dessen Formatierung ein gewisses Mass an Copy/Paste auffällt.
Die Universität St.Gallen glaubt auch das Ziel hinter der Aktion zu kennen:
Einschüchtern lässt die sich Universität St.Gallen nicht, wie ein Blick ins Programm der Kinder-Uni zeigt. Auch dieses Jahr wird ein sehr kontroverses Thema behandelt: «Kinder auf der Flucht: Warum Karim und Samira nach Europa kommen».