
Sag das doch deinen Freunden!
Er
beleidigt Frauen, hetzt gegen Latinos und Muslime, findet
Waterboarding zu harmlos, erwägt den Einsatz von Atomwaffen gegen den «Islamischen Staat» und redet überhaupt jede Menge Müll. In einem
halbwegs normalen Land hätte ein solcher Typ keine Chancen auf
höchste politische Weihen. In den USA aber ist Donald John Trump,
69-jähriger Immobilientycoon aus New York, drauf und dran, sich die
Nomination als Kandidat der Republikaner für das Weisse Haus zu
sichern.
Nach
dem «Ausrutscher» in Iowa hat er diese Woche bei der Vorwahl in
New Hampshire einen Triumph eingefahren und die parteiinterne
Konkurrenz regelrecht deklassiert. In South Carolina, wo am nächsten
Samstag gewählt wird, liegt er in den Umfragen ebenfalls an der
Spitze. Als «The Donald» im Sommer ins Rennen stieg, wurde er
belächelt und als Kurzzeit-Phänomen abgetan. Den Spöttern von
damals ist das Lachen inzwischen vergangen.
Bei
den Demokraten existiert ein ähnliches Phänomen. Bernard «Bernie» Sanders, ein 74-jähriger Senator aus dem Bundesstaat Vermont, heizt
der vermeintlich unschlagbaren Favoritin Hillary Clinton mächtig
ein. In Iowa unterlag er hauchdünn, in New Hampshire siegte er
überlegen. Vor allem die Jungen feiern den alten Mann, der die
Ungleichheit beseitigen, den Mindestlohn erhöhen und die
Studiengebühren abschaffen will und nichts weniger verspricht als
eine Revolution.
Weder
Trump noch Sanders wirken mehrheitsfähig, trotzdem haben sie Erfolg.
Beide rebellieren auf ihre Art gegen das System und treffen damit den
Nerv zweier sehr unterschiedlicher Segmente der amerikanischen
Bevölkerung. Hier die weissen Wutbürger, die dem wütenden Donald
zujubeln, weil ihnen das heiss geliebte Land
zunehmend fremd wird. Dort die jungen Bernie-Fans, die ihre
Ausbildung mit hohen Schulden bezahlen und trotzdem um einen lukrativen Job
kämpfen müssen.
Gemeinsam
ist ihnen das Gefühl, der amerikanische Traum sei unerreichbar
geworden. Die Überzeugung, dass man es mit Fleiss und Talent
schaffen kann und es jeder Generation besser geht als derjenigen der
Eltern, hat sich in den letzten 15 Jahren zunehmend als Illusion
erwiesen. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und mehr noch
die Finanzkrise von 2008 und die Grosse Rezession haben den
unerschütterlichen Optimismus ins Wanken gebracht.
Vom
vermeintlichen Aufschwung der letzten Jahre spüren viele Amerikaner
gar nichts. Vor allem die Mittelklasse muss kämpfen, um ihren
Lebensstandard nur schon zu halten. Viele gut bezahlte Jobs haben
sich in Luft aufgelöst. Die Leute arbeiten mehr und verdienen
weniger als in den «goldenen» 90er Jahren. Selbst eine gute und
in der Regel sehr teure Ausbildung ist kein Garant mehr für
beruflichen Erfolg, was den Frust der jungen Sanders-Wähler erklärt.
Hinzu
kommt die Enttäuschung über Präsident Barack Obama,
der einen Wandel versprochen hat, auf den viele bis heute warten. Die
Ungleichheit hat in den sieben Jahren seit seinem Amtsantritt
zugenommen. Gleichzeitig hat er die Wall Street und ihre
Abzocker-Mentalität mit Samthandschuhen angefasst. Kein einziger
Topbanker wurde für die Machenschaften während der
Finanzkrise (dargestellt im Film «The Big Short») juristisch zur
Rechenschaft gezogen. Mit Tiraden gegen die Wall Street punktet Sanders besonders gut.
Sind
seine Fans über Obama ernüchtert, so löst der erste schwarze
Präsident bei den Trump-Maniacs blanken Hass aus. Er dient
als Projektionsfläche für alles, was aus der Sicht dieser praktisch
rein weissen, eher älteren Wählerschaft schief läuft in Gottes
eigenem Land. Eine ausufernde Regierung, ein wirtschaftlich und
militärisch geschwächtes Land und nicht zuletzt der demografische
Wandel, von dem sie sich besonders bedroht fühlen. Denn in einer
nicht mehr fernen Zukunft wird es in den Vereinigten Staaten nur noch
Minderheiten geben.
Das
allein erklärt aber die Begeisterung nicht, die dem schrillen New
Yorker mit der schrillen Frisur entgegen brandet. Der «Washington
Post»-Kolumnist E.J. Dionne verweist in seinem neuen Buch «Why
the Right Went Wrong» auf die tiefe Enttäuschung vieler republikanischer Wähler über ihre Partei. Immer wieder versprach
sie, die Regierung herunterzufahren und die Werte der guten alten
Zeit zu restaurieren. Geschehen ist das Gegenteil. Unter dem letzten
republikanischen Präsidenten George W. Bush wucherte der
Staatsapparat, explodierten die Defizite.
Viele fühlen sich von den Republikanern regelrecht verraten und
sind anfällig auf die Verheissungen eines Maulhelden, der
verspricht, alles zu Kleinholz zu machen. Sie können oder
wollen nicht wahrhaben, dass Donald Trump, der Grosskapitalist und
einstige Befürworter des Rechts auf Abtreibung, keineswegs ein
überzeugter Konservativer ist, sondern ein schamloser Opportunist.
Trotzdem erzeugt sein Erfolg bei der Partei-Elite Albträume.
Anders als
2008 (John McCain) und 2012 (Mitt Romney), als sich jeweils früh ein
Favorit des Establishments herauskristallisierte, ist eine glaubwürdige Alternative derzeit nicht in Sicht. Heute kämpfen Jeb
Bush, der Bruder von «W.», John Kasich, der überraschende Zweite in
New Hampshire, und Marco Rubio um diese Rolle und beschädigen sich
dabei gegenseitig. Und im Hintergrund lauert der erzkonservative
Iowa-Sieger Ted Cruz, der vorab bei den Evangelikalen punktet und
darauf hofft, dass Donald Trumps Kandidatur doch irgendwann
implodieren wird.
Im
schlimmsten Fall wird der republikanische Kandidat erst am
Parteikonvent im Juli in Cleveland ermittelt. Dieser Prozess könnte
traumatisch verlaufen und die Partei irreparabel beschädigen. Und
wenn Donald Trump es schaffen sollte? Beobachter glauben, er werde
sich als gemässigter Macher neu erfinden. Wie er diesen
Rollenwechsel angesichts seiner bisherigen Exzesse schaffen will, ist
schleierhaft. Dem weit vernünftigeren Romney, der in den Vorwahlen ebenfalls weit nach rechts gedriftet war, gelang dieses Kunststück vor vier
Jahren nicht.
Bernie
Sanders hingegen dürfte es schwer haben, seine Anfangserfolge in der
langen Vorwahlkampagne zu bestätigen, denn er verlässt sich
ausschliesslich auf Kleinspenden. Die 68-jährige Hillary Clinton mag
in vielerlei Hinsicht eine Verkörperung des ungeliebten Systems
sein. Sie tut sich auch im Gegensatz zu Ehemann Bill schwer damit,
die Herzen der Menschen zu erobern. Aber sie hat das Geld, den
Apparat und das Stehvermögen, um ihr Ding durchzuziehen.
Trotzdem, ein Duell Sanders gegen Trump ist nicht auszuschliessen. Der frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg bringt sich bereits als mögliche Alternative in Stellung. Vielleicht kommt doch alles anders. Denn ungeachtet der Unzufriedenheit
läuft nicht alles schief in Amerika. Die USA sind immer noch das
kreative Epizentrum der Welt. Auch der gesellschaftliche Wandel verläuft schneller und
dynamischer als etwa im alten Europa.
Die
Chancen stehen gut, dass Amerika ein weiteres Mal die richtige Spur
findet. Derzeit aber dominiert der
Eindruck einer Nation, die sich abhanden gekommen ist. Die
Herausforderungen für die nächste Person im Weissen Haus werden nicht kleiner, wer auch immer das sein mag.