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Die Vorwahlen in den USA sind vorbei. Am Dienstag gewann Hillary Clinton die letzte Runde in der Hauptstadt Washington. Mehr als vier Monate hat der Zirkus gedauert, und er sorgte für handfeste Überraschungen. Im vermeintlich hochkarätigen Feld der Republikaner setzte sich ausgerechnet der «chancenlose» Schreihals Donald Trump durch. Bei den Demokraten hingegen musste die klare Favoritin Hillary Clinton gegen Bernie Sanders weit härter kämpfen als erwartet.
Nun werden sich Trump und Clinton am 8. November um den Einzug ins Weisse Haus duellieren. Erwartet wird ein Wahlkampf, der so heftig und schmutzig verlaufen dürfte wie nie zuvor. Oder kommt doch alles anders? Im irrationalen Wahljahr 2016 scheint vieles möglich. Sicherlich aber werden wieder diverse Mythen von den Medien durchgekaut, die einer genauen Betrachtung nur bedingt standhalten.
Der Oberste Gerichtshof hat 2010 mit Berufung auf die Meinungsfreiheit fast alle Schranken bei der Wahlkampffinanzierung niedergerissen. Seither fliessen enorme Summen in die US-Politik. Die Präsidentschaftswahl 2012 hat 1,3 Milliarden Dollar allein an Direktspenden verschlungen. In diesem Jahr wurden laut der nationalen Wahlkommission bereits knapp 800 Millionen gespendet. Die berüchtigten Super PACs sind in dieser Auflistung nicht berücksichtigt. Sie machen Werbung für Kandidierende, dürfen aber nicht mit ihnen verbunden sein.
Konservative Superreiche wie der Casinomogul Sheldon Adelson oder die Brüder Charles und David Koch haben hunderte Millionen Dollar zugesichert, um republikanischen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Doch die Macht des Geldes hat Grenzen. Vor vier Jahren konnten sie die Wiederwahl von Barack Obama nicht verhindern. In der Vorwahl 2016 sind die Favoriten der Geldgeber wie Jeb Bush und Marco Rubio durchgefallen. Auch sonst gibt es viele Beispiele von Kandidaten, die trotz grossem finanziellen Einsatz erfolglos blieben.
Begierig werden sich die Medien auf die Umfragen stürzen, vor allem wenn sie ein enges Rennen verheissen. Als Donald Trump kürzlich gleichauf oder sogar vor Hillary Clinton lag, wurde prompt der Panikmodus ausgerufen. Jetzt liegt sie wieder deutlich vorne, doch bis zur Wahl wird sich dieses Schauspiel wiederholen. Dabei sind Umfragen ein schlechter Indikator für den Wahlausgang, und das nicht nur wegen des speziellen Wahlmänner-Systems.
Eigentlich gibt es nur ein zuverlässiges Prognosemodell, jenes des Statistikers Nate Silver. Es hat bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen eine hervorragende Trefferquote erzielt. Auch dieses Jahr hat es sich bewährt. Bei der demokratischen Vorwahl in Kalifornien deuteten einige Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Clinton und Sanders hin. Nate Silvers Fivethirtyeight-Modell hingegen sah Hillary klar vorne. Sie gewann die Wahl deutlich.
Nach gewonnener Vorwahl werde sich das Grossmaul aus New York mässigen – so lautete die Erwartung oder vielmehr Hoffnung der Republikaner und vieler ihrer Anhänger. Bislang aber zeigt Donald Trump keine Anzeichen einer Wandlung zum Staatsmann. Einen Bundesrichter, der ein Verfahren wegen Betrugsvorwürfen gegen eine einstmals von Trump betriebene «Universität» leitet, beschimpfte er wegen seiner mexikanischen Herkunft.
Nach dem Massaker in Orlando agierte er nicht als Versöhner, sondern als Brandstifter. Vielen Republikanern, die sich angesichts seines Vorwahlerfolgs notgedrungen hinter ihn scharten, wird bereits Angst und Bange. Ein Berater des gescheiterten Jeb Bush brachte es in der «New York Times» auf den Punkt: «Man sagt über ihn: Sehr her, er ist zivilisiert, er isst mit Messer und Gabel. Eine Stunde später nimmt er die Gabel und sticht sie jemandem ins Auge.»
In ihrer Zeit als Aussenministerin von 2009 bis 2013 hatte Clinton ihre gesamte Mailkorrespondenz über einen privaten Server abgewickelt. Sie behauptete, nicht gegen Vorschriften verstossen zu haben, doch ein Bericht des Ministeriums kam kürzlich zum gegenteiligen Schluss. Ausserdem untersucht das FBI, ob über den Server auch vertrauliche Informationen verschickt wurden. In diesem Fall droht der demokratischen Kandidatin sogar eine Anklage.
Trump schlachtet die Affäre weidlich aus. Bei seinen Auftritten erklärt er, «Gauner-Hillary» gehöre ins Gefängnis. So weit wird es kaum kommen, aber die Affäre könnte zu einer Belastung im Wahlkampf werden. Sie unterstreicht das ohnehin wenig vorteilhafte Image Clintons als einer Frau, die sich nicht an die Regeln hält. Wer jedoch glaubt, der Mailskandal werde zu Clintons Stolperstein, unterschätzt das Stehvermögen der ehemaligen First Lady.
Angesichts der Schwäche ihres eigenen Kandidaten hoffen viele Republikaner, die Gegenpartei werde sich selbst zerfleischen. Tatsächlich hat der kauzige Senator Bernie Sanders auch nach dem Ende der Vorwahlen kaum Anstalten gemacht, sich aus dem Rennen zu verabschieden. Der selbst ernannte Sozialist, der mehr Direktspenden erhalten hat als alle anderen Bewerber, verweist darauf, dass er in den Umfragen gegen Trump besser abschneidet als Clinton.
Dennoch wird es Sanders kaum auf einen Showdown am Parteikonvent im Juli in Philadelphia anlegen. Er hat sich mit Barack Obama und Hillary Clinton getroffen. Die Mehrheit der Demokraten wollen die Reihen hinter der designierten Präsidentschaftskandidatin schliessen. Bernie Sanders dürfte sich dieser Logik grummelnd fügen. Er hat wiederholt betont, dass seine Priorität die gleiche ist wie die der Partei: Einen Wahlsieg von Donald Trump zu verhindern.
Seit der Republikaner Ronald Reagan in den 1980er Jahren mit den Stimmen vieler weisser, traditionell demokratisch gesinnter Arbeiter zweimal die Wahl gewann, gilt dieses Segment als wichtiger Machtfaktor. Bill Clinton konnte diese «Reagan-Demokraten» in den 90ern zurückholen. Auch die so genannten Soccer Mums spielten bei seinen Wahlsiegen eine wichtige Rolle.
Die Zeiten aber haben sich geändert. Die Arbeiterschaft ist mit dem Niedergang der Industrie geschrumpft. Gleichzeitig ist Amerika bunter geworden. Ohne Rückhalt bei den Latinos hat kaum jemand eine Chance, Präsident zu werden. Barack Obama konnte darauf zählen, während ihn viele Reagan-Demokraten ablehnten. Donald Trump hat zwar viele unterprivilegierte Weisse unter seinen Fans. Seine Ausfälligkeiten gegen Einwanderer aus Lateinamerika aber sind eine schwere Last für ihn.
Präsident Gerald Ford sagte 1976 in der TV-Debatte mit seinem Kontrahenten Jimmy Carter, es gebe «keine Vorherrschaft der Sowjetunion in Osteuropa». Damit machte er sich zum Gespött, doch es ist zweifelhaft, dass er deswegen die Wahl verloren hat. Der texanische Gouverneur Rick Perry leistete sich in der republikanischen Vorwahl 2012 einen Aussetzer, als er die Ministerien nicht mehr nennen konnte, die er abschaffen wollte. Kurz darauf zog er sich zurück.
Ein Fehltritt kann eine Kandidatur negativ beeinflussen. Republikaner scheinen allerdings stärker davon betroffen zu sein als Demokraten. Ein heimlich gedrehtes Video, in dem Mitt Romney über jene 47 Prozent der Amerikaner herzog, die angeblich vom Staat abhängig waren, verfolgte ihn während des gesamten Wahlkampfs 2012. Umgekehrt überstand Bill Clinton gleich mehrere Skandale unbeschadet. Barack Obama lästerte im Wahlkampf 2008 über jene weissen Amerikaner, die sich «an Waffen und Religion klammern». Er siegte trotzdem.
Das ist grundsätzlich richtig. Der Wahlkampf konzentriert sich auf wenige Staaten, die zwischen den beiden Lagern hin und her schwanken. Besonders umkämpft sind Ohio und Florida, beide Bundesstaaten stellen relativ viele Wahlmänner. Gerne übersehen wird dabei, dass sich die politische Landkarte in den letzten Jahrzehnten zu Gunsten der Demokraten verschoben hat. Kalifornien war zu Bill Clintons Zeiten ein Swing State und ist heute eine Bastion der «Blauen».
Schon Barack Obama hatte 2012 deutlich mehr Optionen für den Wahlsieg als Mitt Romney. Auf Hillary Clinton trifft der gleiche Befund zu. Sie kann sich Niederlagen im einen oder anderen Wackelstaat leisten und dennoch erste US-Präsidentin werden, wie der konservative Publizist John Podhoretz in der «New York Post» anerkennen musste. Dieser Vorteil könnte sich in Zukunft weiter akzentuieren, dank der wachsenden Latino-Bevölkerung. In einem Interview meinte Hillary Clinton sogar, sie könne im November den Cowboy-Staat Texas erobern.
Auf den ersten Blick geht es der US-Wirtschaft gut. Sie hat die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise überstanden und befindet sich auf solidem Wachstumskurs. Die Arbeitslosigkeit ist stark gesunken. Bei genauer Betrachtung ist das Bild weniger schön. Viele gut bezahlte Jobs wurden ausradiert. Immer mehr Angehörige des Mittelstands kommen auf keinen grünen Zweig mehr. Ihr Frust befeuert die Kampagne von Donald Trump, der Amerika «wieder gross machen» will. Er wettert gegen den Freihandel und will Importe aus China mit Strafzöllen belegen.
Manche Beobachter geben ihm deshalb Siegeschancen in den traditionellen Arbeiterstaaten Michigan und Pennsylvania, die seit 1988 nie mehr einen Republikaner gewählt haben. Allerdings sehen die meisten Ökonomen beim Thema Wirtschaft Hillary Clinton im Vorteil. Ihr hilft der positive Trend ebenso wie die niedrigen Benzinpreise, ein wichtiges Argument im Autoland USA.
Dieses zynische Kalkül könnte aufgehen, denn Trump trifft mit seiner martialischen Rhetorik den Nerv vieler Menschen. Kommt es zu weiteren Massakern wie in Orlando, hat Trump eine Chance. Es ist jedoch keinesfalls sicher, dass er sie nutzen kann, denn er laviert zwischen Kriegstreiberei und Isolationismus. Die Amerikaner haben die Bush-Jahre mit den misslungenen Interventionen in Afghanistan und im Irak nicht vergessen, ihr Appetit auf neue Abenteuer hält sich in Grenzen. Daran könnte wohl nur ein Grossanschlag wie 9/11 etwas ändern.
Möglich, aber wenig wahrscheinlich. Es müsste schon sehr viel geschehen, damit es so weit kommt. Aber wie gesagt: 2016 ist kein normales Wahljahr.