Sie gehören zu einem heissen Sommertag wie die Schweisstropfen, die das Baumwoll-Shirt an den glühenden Rücken kleben, wie der Schoggi-Hut auf die Raketenglacé oder die Sonnencreme auf die Nasenspitze. Die Rede ist von Freibädern. Denn auch wenn der Besuch der örtlichen Badi manchmal anstrengend und ziemlich oft sehr ungemütlich ist, haben die Badeanstalten in der Schweiz Kultstatus.
Aber das war nicht immer so. Denn noch während der Eröffnung des Marzilibades in Bern 1782, einem der ersten Schweizer Freibäder, galt Schwimmen noch als blasphemischer Ungehorsam. Fünf Rappen musste man damals abdrücken für den Zulass in eine der zwei sichtgeschützten Anlagen am Berner Aareufer. Männer und Frauen hielten sich separiert auf. Abkühlen konnte man sich in einem tümpelartigen Weiher. In den Fluss ging man nicht. Das Publikum bestand mehrheitlich aus selbsternannten Naturalisten.
Was diese Naturalisten im späten 18. Jahrhundert im Marzili trieben, weiss niemand so genau. Was sicher ist: Es widerspiegelte auf keinen Fall den gesellschaftlichen Grundtenor der damaligen Zeit.
Hätte der Schweizer Gelehrte Nikolaus Wynmann sein Buch «Colymbetes, Sive De Arte Natandi», das weltweit erste Werk über die Schwimmkunst, im alten Griechenland verfasst, hätte er wahrscheinlich eine Auszeichnung für hochstehende karitative Arbeit gewonnen. Denn wer in der Antike weder schreiben noch schwimmen konnte, galt als Barbar.
Aber Wynmann schrieb sein Buch im 16. Jahrhundert. Und damals beherrschte statt platonischer Philosophie restriktive Kirchenpolitik den Common Sense. Dass sich der Mensch, die Krone der göttlichen Schöpfung, ein Beispiel an einer schmierigen Amphibie nehmen soll, empörte die Kirche derart, dass sie Wynmanns Buch auf den Index setzte.
Es vergingen über zweieinhalb Jahrhunderte, bis das Thema Schwimmen wieder im grösseren Stil aufs Tapet kam. Jährlich ertranken Tausende Menschen in Flüssen, Seen, ja sogar in Bächen. Aufklärer wie Locke und Rousseau machten sich als allererste wieder für das Schwimmen als Körperertüchtigung und Überlebenstaktik stark. Im deutschen Sprachraum brach der Philanthrop und Gründervater der Turnbewegung Christoph Friedrich Gutsmuths das Schweigen über die menschliche Fortbewegung im Wasser.
«Kleines Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterrichte» hiess der Band, in dem Gutsmuths 1798 folgende Aussage festhielt:
«Soll denn das Schwimmen nicht auch bei uns Mode werden? Als Sport, Vergnügen und Notwendigkeit?», fragte der deutsche Pädagoge weiter. Und das wurde es auch. Zuerst für die Oberschicht, dann für Männer und schleichend scheu auch für Frauen.
Badehütten schossen im Zuge dieser Säkularisierung aus den Ufern der Schweizer Flüsse und Seen. Niemand war mehr vom Baden abzuhalten. Der Schwimmkult wurde tatsächlich zur Mode. Auch für Frauen. Womit wir bei der nächsten nassen Problematik wären: Damen trugen zum Baden oft rockartige Schwimmgewänder aus Baumwolle, die ungünstigerweise die Eigenschaft hatten, mehr zu offenbaren als zu verhüllen.
In den Städten musste die Nachfrage des gemeinen Volkes nach dieser neuartigen Freizeitbeschäftigung deshalb besser organisiert werden: Das Kastenbad wurde erfunden. Mit geschlechtergetrennten Anlagen, versteht sich.
Weitere Bäder aus dieser Zeit:
Trotz separierter Frauenbadis versuchte man noch während des gesamten 19. Jahrhunderts, die Frauen auf verschiedenen Wegen vom Baden abzuhalten. In einem Schwimmratgeber für Frauen aus dem Jahr 1878 steht zum Thema «Eintauchen ins Wasser» beispielsweise Folgendes:
In den 1930er-Jahren – am Punkt, an dem die Entwicklung im obigen Bild endet – begann eine Revolution. Die Revolution der Lebensreform. Eine eher bürgerliche Art der Bewegung war der Badi-Boom. Es gehörte zum guten Ruf einer Stadt, ihren Bürgerinnen und Bürgern ein Freibad zur Verfügung zu stellen. Die Anlagen, die in dieser Zeit entstanden, sind die Grossmütter der Badi, wie wir sie heute kennen.
Doch für die Frauen, die aufgrund ihrer Rolle als Erzieherinnen zusammen mit den Kindern die grösste Zielgruppe der Badis bildeten, war das reine Angebot fürs öffentliche Baden noch nicht Befreiung genug. Im Gegenteil: Das Strandbad wurde zwar in dieser Zeit zu einer Art Statussymbol für Fortschritt und Moderne, für Frauen aber auch zu einem Ort, an dem allzu freizügiges Baden kontrolliert werden konnte.
So versuchte der Zürcher Stadtrat 1942 zweiteilige Badeanzüge als «nicht zulässig» zu taxieren. Proteste von Badenixen und der Textilindustrie liessen ihn die Übung jedoch abbrechen. Vier Jahre später stellte der Automechaniker Louis Réard im Pariser Piscine Molitor den Bikini zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor. Réard selbst ahnte, dass er mit dieser Präsentation eine Kulturbombe hochgehen liess. Deshalb wohl auch die Anspielung auf die Bikini-Inseln, auf denen fünf Tage vor Réards Präsentation einer der ersten Atombomben-Tests der USA durchgeführt wurde.
In der Schweiz konnte sich das stoffarme Badekleid aber erst in den 1960ern wirklich durchsetzen. Ausschlaggebend dafür war der Auftritt von Ursula Andress 1962 im James-Bond-Film «007 jagt Dr. No».
1974 führte die Stadt Zürich eine ausdrückliche «Oben-Ohne-Erlaubnis» ein, worauf Frauen in anderen Schweizer Städten sich diese Freiheit kurzerhand auch in ihrem örtlichen Freibad herausnahmen. Es fand ein regelrechter Freier-Busen-Boom in den Schweizer Badis statt. Die Badi mauserte sich zu einem Ort der salonfähigen Progression.
Heute wird die Nackte-Haut-Erlaubnis kaum mehr in Anspruch genommen. Die Badi wurde wieder zahmer: Kinder planschen immer im Becken, Frauen sonnen, baden, lesen Magazine. Männer auch. Alle tragen wenig Stoff, setzen sich ins Szene, machen Selfies. Und alle glotzen. Es ist friedlich, aber angespannt; schön, aber laut, eine Badi zu besuchen.
Und was ist mit den mittlerweile zu Omas Gewordenen? Den Badenixen, die den Frauenkörper ins Wasser gebracht und vom prüden Stoff befreit haben? Die sich das Freibad als Freiraum für sich und ihre Kinder (ohne Geschlechtertrennung!) erkämpft haben? Sie gehören zu den letzten, die immer noch ihre nackten Brüste der Sonne entgegenstrecken. Doch sie gehen den gaffenden, körperkritischen Blicken im Freibad aus dem Weg. Sie haben sich zurückgezogen. An den Anfang der Badikultur: in die noch übrig gebliebenen Frauenbadis.