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Depression: Warum du den Begriff nicht leichtfertig verwenden solltest

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Bild: Shutterstock
Rund um Gsund

Hört bitte auf, so leichtfertig von «Depressionen» zu sprechen!

Hurra, hurra, der November ist da! Die Zeit, in der Depressionen Hochkonjunktur haben. Das schreibe ich extra so flapsig. Denn die locker-flockige Verwendung des Begriffs zeigt, dass unsere Gesellschaft die Depression noch immer nicht als «echte» Krankheit wahrnimmt.
05.11.2023, 11:0705.11.2023, 14:08
Sandra Casalini
Sandra Casalini

Eins vorweg: Laut Expertinnen gibt es sie tatsächlich, die Winterdepression. Offiziell heisst sie «saisonal bedingte Depression» und tritt wiederholt zum immer gleichen Zeitpunkt auf. Allerdings ist sie erstens eher selten und zweitens meist in einem geringen Schweregrad.

Grundsätzlich hat eine Depression im medizinischen Sinn andere Ursachen als trübes Wetter. Laut Stiftung der deutschen Depressionshilfe ist sie «eine ernste Erkrankung, welche Denken, Fühlen und Handeln tiefgehend beeinflusst, mit Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht.»

Depressionen sind nicht nur psychisch

Dass ich so empfindlich reagiere, wenn jemand einen Spruch wie «Du meine Güte, bei dem Scheisswetter wird man ja depressiv» fallen lässt, hat Gründe. Ich kenne mehrere Betroffene – wie vermutlich alle von euch auch, schliesslich leidet laut Statistik jede und jeder Fünfte einmal im Leben an einer Depression. Vor allem aber kenne ich mehrere Menschen, welche die Depression nicht überlebten. Sprich: Sie begingen Suizid. Sie haben eines gemeinsam: Sie liessen sich nicht behandeln, oder brachen die Behandlung ab.

Lass dir helfen!

Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.

Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch

Was wir oft nicht begreifen: Eine Depression ist nicht ausschliesslich eine psychische Krankheit, sondern hat auch eine neurobiologische – also am Ende eine körperliche – Seite. Beide Komponenten ergänzen sich. Auf der psychischen Seite steht zum einen die Anfälligkeit, zu erkranken. Das kann Vererbung sein, aber auch traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Zum anderen stehen da tatsächliche Auslöser, welche nicht einmal wahnsinnig dramatisch sein müssen. Wenn die Voraussetzungen gerade «günstig» sind, reicht es auch mal, sich einfach überfordert zu fühlen.

Auf der neurobiologischen Seite stehen Veränderungen im Gehirn, also Ungleichgewichte von Botenstoffen und Hormonen – die Biester machen einem ganz grundsätzlich ständig das Leben schwer! Was aber erklärt, warum man in der Pubertät und in den Wechseljahren – also in Zeiten, in denen die Hormone Achterbahn fahren in uns – anfälliger ist für Depressionen. Und es ist auch die Erklärung dafür, dass sich die Krankheit eben tatsächlich mit Medikamenten behandeln lässt, kombiniert mit einer Psychotherapie.

«Da ist nichts. Kein Gefühl»

Soviel zur Theorie. In der Praxis ist es wohl unmöglich, eine Depression nachzuvollziehen, wenn man noch nie eine hatte. Die unendlichen schwarzen Löcher, in die der Mann meiner Freundin Claudia regelmässig fiel, waren für sie schwer zu begreifen, und immer schwerer zu ertragen. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, mit jemandem zu leben, der es einfach nicht schafft, glücklich zu sein», sagte sie mir einst. Und den nichts und niemand glücklich machen konnte. Auch nicht seine Frau, seine beiden Kinder, sein toller Job, seine vielen Freunde, sein scheinbar perfektes Leben.

«Ich weiss, ich sollte glücklich sein», vertraute er mir nach der Geburt seines zweiten Sohnes an. «Aber da ist nichts. Kein Gefühl.» Manu hat Claudia von Anfang an von seiner Krankheit erzählt, war in psychologischer und psychiatrischer Behandlung. Was ihn dazu bewogen hat, eigenmächtig die Antidepressiva abzusetzen, weiss niemand. Er nahm sich das Leben, als seine Kinder gut drei und ein Jahr alt waren. «Ich sehe, wie ihr alles versucht, mich glücklich zu machen, und ich enttäusche euch immer und immer wieder», schrieb er in seinem Abschiedsbrief. «Ich mache auch euch unglücklich, und ihr habt es verdient, glücklich zu sein.»

Das Stigma ist immer noch riesig

Auch wenn meine Wut auf Manu unendlich war und wohl nie ganz vorbeigehen wird, verstehe ich durch ihn ein kleines bisschen mehr, was Depressionen sind. Auch wenn mir bewusst ist, dass die Bandbreite riesig ist und – zum Glück – nicht alle Depressionen im Suizid enden oder mit Suizidgedanken einhergehen. Das Gefühl der Leere ist mir durchaus bekannt – aber der Gedanke, emotional nicht mal mehr auf meine Kinder zu reagieren, ist mir total fremd.

Ich weiss nicht, ob es in Manus Fall etwas geändert hätte, wenn das Stigma um Depressionen (und allgemein um psychische Krankheiten) nicht so gross wäre. Claudia aber hätte sicherlich nicht zusätzlich noch mitbekommen müssen, wie hinter vorgehaltener Hand Sprüche fielen wie: «Sich das Leben nehmen wegen chli Depressionen. Mit zwei kleinen Kindern. Geht ja gar nicht.» Das Ganze ist schon eine Weile her, Claudias Söhne sind mittlerweile Teenager. Aber sie zuckt immer noch zusammen, wenn jemand Dinge sagt wie «bei dem Nebel kriegt man ja Depressionen». Und ich auch.

Übrigens: Claudia und Manu heissen nicht wirklich so, ich habe auch ihre Lebensumstände etwas abgeändert. Und ja, Claudia weiss, dass ich hier über sie schreibe. Wie dies immer der Fall ist, wenn ich so über Personen schreibe, dass man sie theoretisch erkennen könnte. Einfach, damit sich in den Kommentaren niemand darüber aufregen muss.

Habt auch ihr Erfahrungen mit dem Thema? Teilt sie mit uns in den Kommentarspalten.

Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker
bild: Lucia Hunziker

Über die Autorin:

Sandra Casalini schreibt über mehr oder weniger alle und alles, was ihr über den Weg läuft – immer gnadenlos ehrlich und mit viel Selbstironie. Genau so geht sie auch den Blog «Rund um Gsund» an, der ab sofort alle zwei Wochen auf watson erscheinen wird. Bei dem Thema Gesundheit verhält es sich bei Sandra gleich wie mit der Kindererziehung: Sie ist keine Expertin, aber kommt mit beidem irgendwie klar. Manchmal mit Hilfe, manchmal ohne.

Casalinis Texte erscheinen regelmässig im Elternmagazin «Fritz und Fränzi» und der «Schweizer Illustrierten». Bei der SI gewährt sie zudem wöchentlich Einblick in ihr Leben mit pubertierenden Kids im Blog «Der ganz normale Wahnsinn».

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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Stezba
05.11.2023 11:37registriert August 2015
Man muss nicht nur lernen, mit den Depressionen zu leben, sondern auch damit, dass sich fast das ganze Umfeld nichts darunter vorstellen kann und ein depressives Tief mit ihren eigenen Erfahrungen abgleicht. Nur ist, was für die meisten ein "normales Tief " ist (aka "ich bi grad chli depro"), für uns Betroffene gerade mal die Kellertüre. Das Nichts, das sich dahinter verbirgt, ist unbeschreiblich.
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ILikeTheRain
05.11.2023 11:54registriert Oktober 2020
"Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter." Hat mir irgendwie oft geholfen in der Akutphase. Eine Umarmung an alle, die noch mittendrin stecken. Es gibt Licht am Ende des Tunnels, holt euch Hilfe, euch kann geholfen werden!!
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Manfred Mueri
05.11.2023 11:29registriert November 2022
Beruflich durch eine Depression selbst betroffen, ist bei vielen Leuten die Meinung die Betroffenen seien Simulanten und Arbeitsscheu noch immer vorherrschend. Auch ich dachte immer "das passiert Dir doch nicht", mit 61 ist es halt doch passiert. Einen Vorteil hat eine Depression, es zeigt sich welche Menschen echte Freunde sind und welche nicht.
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