Soziales Netzwerk oder Absolvententreff? Wirft man einen Blick in die eigene Facebook-Timeline, bekommt man schnell den Eindruck mit einem Haufen Harvard-Absolventen befreundet zu sein – ohne selbst studiert zu haben. Lisa hat gerade ihr erstes Start-Up gegründet («Wir wachsen stetig»), Robert designed futuristische Anzüge («ecofriendy & unisex»), Diego lebt jetzt als Digitaler Nomade halbjährlich in Myanmar – und arbeitet ganz nebenbei als Consultant («Wo ich will, wie ich will»).
Es war noch nie so einfach, digitalen Beiklatsch zu ergattern und andere live am eigenen Erfolg teilhaben zu lassen. Das «Ich», es ist längst zum Projekt verkommen, das man beschützen, vermarkten und promoten muss. Dabei die Arbeit in den Vordergrund zu stellen, macht durchaus Sinn. Sie ist weniger privat als Liebesangelegenheiten und steht in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaften für ein erfolgreiches Leben. Dafür, etwas im wahrsten Sinne des Wortes, geschaffen zu haben.
Dass es hinter den Kulissen eines Selfies nicht immer pastellrosafarben aussieht, weiss jeder, der Freunde hat. Oft passt das, was man online beobachtet so gar nicht mit dem zusammen, was eine Person beim Feierabendbier erzählt. Prägende Negativsituationen, die einen auch mal am eigenen Verstand haben zweifeln lassen, sind spannend – und werden online bewusst ausgespart. Man liest nicht, wie Lisa Anträge ausfüllt, Robert an der dritten Massanfertigung scheitert und Diego trotz Palmen seine Heimat vermisst. Das Image muss gewahrt werden, um «likeable» zu wirken.
Wo zieht man die Grenze zwischen Angeberei, Selbsttäuschung und intrinsischer Motivation, wenn im Eifer des Postens keine Zeit für die Reflexion bleibt? Wo hört Freiheit auf, wenn man akribisch dabei ist, diese zu dokumentieren? Wenn man nicht mehr wirklich arbeitet – aber dank permanenter Onlinepräsenz auch nie mehr gar nicht arbeitet?
Einerseits gibt es laut dem Politologen Sebastian Herkommer eine Reihe verschiedenster Individualisierungsmöglichkeiten, andererseits findet infolge einer erhöhten Austauschbarkeit von Personen eine sogenannte Entindividualisierung statt. Dadurch, dass sich viele um dieselben hippen Jobs streiten, entsteht eine neue Ökonomie des Selbst. Sie begreift den Menschen als Profit Center, als Ich-AG. Eine Wortschöpfung, die durch die deutsche Hartz-Kommission geprägt wurde und die Selbstausbeutung als Mittel der Krisenbewältigung auf dem Arbeitsmarkt erfasst. Frei nach dem Motto: Wer laut genug schreit, wird es schon irgendwie schaffen.
Wo Follower und Shares als Währung gelten, sehen sich Kreative und Entrepreneurs verpflichtet, ihre beruflichen Erfolge in sozial teilbaren Häppchen unter die Anhänger zu bringen. Auch vermeintliche Aussteiger wie Digitale Nomaden nehmen das Konzept der Selbstvermarktung in Anspruch, um wirtschaften zu können. Sie arbeiten zwar von «überall aus» – müssen dort angekommen aber genauso Präsenz zeigen und Aufträge lukrieren.
Die neoliberale Sichtweise ist deshalb so erfolgreich, weil sie die Verschleierung der Wirklichkeit mithilfe einer kapitalistischen Totalität («Wer brav arbeitet, wird erfolgreich!») als Entwicklung zu mehr Freiheit darstellt. Wer selbst zum Produkt wird, fühlt sich selbstständig, ist aber genauso von den Spielregeln des Marktes abhängig.
«Bild a brand» – zeige Gesicht, äussere dich zu Themen, die zu deinem Fachbereich passen und solange man den lustigen Firmenausflug auf Snapchat inszeniert, war es ja nur halb so schlimm.
Bereits ab dem 19. Jahrhundert, so schreiben die Wissenschaftler Nina Degele und Christian Dries in ihrem Buch «Modernisierungstheorien», wurden Stimmen lauter, die vor zu viel Ich-Kult warnten und eine Isolierung des Individuums befürchteten. Dennoch hat sich bis heute eine optimistische theoretische Strömung erhalten, die auf die Vorteile verweist und die Risiken weitgehend unberücksichtigt lässt: Digitales Burn-Out. Angst, nicht an gelungene Projekte anknüpfen zu können oder weniger Likes zu generieren als die Konkurrenz. Der digitale Schwanzvergleich verblendet die Opfer, die man gebracht hat und stellt sie mittels analogem Filter in ein funkelndes Licht.
Von klugen Köpfen wie Lisa, Robert und Diego hätte man mehr erwartet. Zum Beispiel, dass sie sich nicht von Shares und Likes und Followern und Retweets verrückt machen lassen. Dass sie ihre Kunst auch mal einfach so ausüben – ohne alles gleich online stellen zu müssen.
Posten und andere an Projekten teilhaben zu lassen ist zu einem Automatismus geworden, der nicht mehr so einfach abgeschalten werden kann. Wer ist man denn noch, dann? Wenn man das Leben, das man führt, für sich behält? Nicht in der Minute der Anstellung seinen Arbeitgeber auf Facebook einstellt?
Manch Hardcore-Onliner vergisst, dass sich «Vorwärtskommen» nicht in beruflichen Positionen, bereisten Ländern oder abgehakten To-Do-Listen messen lässt. Vielleicht ist das der Haken.