«Severe High Temperature Warning for Zurich» steht auf meiner Google-Startseite. Und ausgerechnet heute ziehe ich einen Anzug an?
Just diese Frage stellte mir in der Morgensitzung auch ein entgeisterter Leo Helfenberger, seines Zeichens Mitglied der Chefredaktion und Vertreter jener Gattung athletischer junger Herren, deren Oberkörper scheinbar allergisch gegen alles ausser T-Shirts sind.
Nun, es mag kontraintuitiv wirken, aber Fakt ist, dass ich in einem Herrenanzug weniger heiss habe als im T-Shirt und mit Shorts.
Zu dieser Feststellung kam ich kürzlich, als ich in Zürich – die Temperatur war weit über 30 Grad geklettert – zu Fuss von der Hardbrücke zum Hauptbahnhof ging, weil ich unterwegs etwas einer Freundin vorbeibringen musste. Wie in allen mitteleuropäischen Städten üblich, entledigen sich auch die Bewohner des Zürcher Kreises 5 des Grossteils ihrer Körperbedeckung, wenn die Temperaturen steigen. Tank-Tops und Flip-Flops, so weit das Auge reicht. Und ich Idiot war nicht nur mit langer Hose und Hemd unterwegs, sondern gar noch mit Tschope. Doch siehe da: Entgegen meinen Erwartungen war die Hitze mehr als erträglich. Und wie ich in den Folgetagen erfahren durfte, einiges erträglicher, als wenn ich in Badeshorts und T-Shirt zur Badi spazierte.
Okay, hier gehören ein paar Disclaimer hin: Ich rede hier natürlich nicht von einem dicken Wollanzug, sondern von einem typischen, leichtgewichtigen Sommeranzug. Auch trage ich ein Kurzarmhemd (eigentlich ein No-Go, da die Manschetten des Hemdes bei einer Anzugjacke sichtbar sein sollten) und zudem keine Socken (jaja – diese Diskussion hatten wir schon mal).
Aber trotzdem: lange Hosen, lange Ärmel, Jacke.
Bei über 30 Grad Hitze.
Nein, ich behaupte nicht, dass ich die Hitze gar nicht spüren würde. Aber sie ist irgendwie ... «besser verteilt»? Als ich heute Mittag über jene Beton-Bratpfanne namens Turbinenplatz ging, war die Hitze an genau einer Stelle des Körpers unerträglich: am Kopf. Am einzigen unbedeckten Teil des Körpers also. Da kommt einem spontan in den Sinn: Hmm, die Araber mit Kufiya und Aqal – die werden schon einen Grund haben dafür.
Ich bin kein Physiker und werde daher gar nicht versuchen, die hier wirkenden komplexen thermodynamischen Prozesse zu erklären. Kurz gesagt: Sich bei heissem Wetter zu bedecken, hält den Körper kühler, indem es die Wärmeaufnahme reduziert und die Flüssigkeitszufuhr aufrechterhält.
Wie bereits erwähnt – auf das Gewebematerial kommt es auch an. Leinen ist eine naheliegende Wahl für einen Sommeranzug (wenn es dir nichts ausmacht, dass es permanent zerknittert aussieht). Laut dem «Esquire»-Artikel How to Dress When It's Hot as Hell Outside gibt es – wiederum kontraintuitiv – auch Wollsorten, die speziell für Hitzekleidung geeignet sind: Tropical wool, high-twist oder fresco wool heissen jene. Bei meinem Anzug steht da was von «Wool-Silk-Linen» – ein Wolle-Seide-Leinen-Gemisch also.
Und nicht ganz unwichtig ist wohl auch, mal einen Gang herunterzuschalten. Ab einer gewissen Lufttemperatur dürfen wir uns alle mal etwas langsamer bewegen. Ja, vielleicht kann das bedeuten, dass ich die S-Bahn verpasse und auf die nächste Verbindung warten muss – na, selbst wenn. Dafür bin ich kein Stinktier, bis ich zu Hause angekommen bin.
Weiterhin einen schönen Sommer allerseits!