Für Ruth Humbel ist klar: Wenn 80 Prozent der jährlichen Gesundheitskosten in der Schweiz auf nicht übertragbare Krankheiten wie etwa Herz-Kreislauf-Probleme entfallen, kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu.
Das Problem: «Das schweizerische Gesundheitswesen legt den Fokus auf das Kurieren von Krankheiten. Versicherungstechnisch gibt es heute keinen Anreiz, sich gesund zu verhalten», kritisiert die CVP-Nationalrätin.
Dabei wäre es so einfach. Wer ein Smartphone besitzt, der hat meist auch eine Gesundheits-App installiert. Besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang die Schrittzähler-Funktion. Zehntausend Schritte pro Tag sollen die Gesundheit angeblich nachhaltig verbessern. Und die meisten App können alle möglichen persönlichen Daten messen und verarbeiten.
Daraus folgert Humbel: Wer sich mittels einer App gesundheitsbewusster verhält, soll weniger bezahlen. Humbel schreibt dazu in ihrem Vorstoss: «Versicherte sollen belohnt werden, die nachweislich Massnahmen zur Erhaltung ihrer Gesundheit treffen (Schrittzähler, Blutdruckmessung) und die Daten in ihr elektronisches Patientendossier einstellen, sofern sie dies wollen und im Rahmen einer besonderen Versicherungsform wählen.» Humbel vermutet, «dass konkrete, messbare Massnahmen für einzelne Menschen wirkungsvoller sind als flächendeckende Präventionskampagnen.»
Voraussetzung sind also die Zustimmung zum elektronischen Patientendossier und ein entsprechendes Versicherungsmodell seitens der Krankenkassen. Für dies alles soll der Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Rechtsgrundlage vorlegen. Zudem soll er die Rechtsgrundlage schaffen, damit die Daten für wissenschaftliche Forschungen genutzt werden können.
Humbel weist in ihrem Vorstoss darauf hin, dass laut Krankenversicherungsgesetz schon heute ein Bonus-Malus-Modell als besondere Versicherungsform möglich sei. Die Prämien richten sich dabei allerdings danach, wie viele medizinische Leistungen ein Versicherter in Anspruch nimmt, nicht nach dem individuellen Verhalten.
Unterschrieben haben Humbels Vorstoss insgesamt 22 weitere Parlamentarier, einer davon ist FDP-Nationalrat Thierry Burkart. «Ich unterstütze Massnahmen, die die Eigenverantwortung der Versicherten stärkt und belohnt, deshalb habe ich die Motion unterzeichnet», sagt er. Die Digitalisierung biete ein grosses Verbesserungs- und Sparpotenzial im Gesundheitswesen. Der Einsatz von neuen Technologien müsse gefördert werden, sagt Burkart.
Mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre und der persönlichen Freiheit solle das Elektronische Patientendossier (EPD) im gesamten Gesundheitswesen optional bleiben. Es brauche aber zwingend Anreize, wie zum Beispiel neue, preiswerte Versicherungsmodelle, damit die digitalen Möglichkeiten intensiver genutzt würden. Die Einsparungen, die sich dank EPD ergeben würden, sollten laut Burkart «den Versicherten zugutekommen, welche sich für diese Modelle entscheiden».
Unterstützung findet das Anliegen von Ruth Humbel auch bei Ulrich Giezendanner (SVP), der ebenfalls in der Gesundheitskommission des Nationalrats sitzt. Giezendanner ist Vizepräsident des Verwaltungsrats der Krankenkasse KPT und sagt: «Wir verteilen schon seit einiger Zeit Fitness-Gutscheine an Kunden, die sich gesundheitsbewusst verhalten.» Versicherte mit tieferen Prämien oder Rabatten zu belohnen, sei aufgrund der aktuellen Gesetzeslage unzulässig oder zumindest umstritten.
«Ich begrüsse es sehr, dass sich dies mit dem Vorstoss von Ruth Humbel nun ändern soll», sagt Giezendanner. Der SVP-Politiker sieht mit dem vorgeschlagenen Modell keine Gefahr der Diskriminierung von Versicherten und auch keine Konflikte mit dem Datenschutz. «Versicherte müssen sich freiwillig für ein solches Modell entscheiden können, dann sind die Bedingungen für alle klar», hält er fest.
Auch von links gibt es Support für Humbels neuen Vorstoss. Yvonne Feri, SP-Nationalrätin und Mitglied der Gesundheitskommission, unterstützt die Stossrichtung. «Die persönliche Prävention ist wichtiger denn je, wissen wir doch, dass insbesondere chronische Krankheiten oft mit zu wenig Achtsamkeit gegenüber sich selber zu tun haben», sagt sie.
Wichtig ist Feri, dass dem Datenschutz hohes Gewicht beigemessen werde. Zudem fordert sie, dass alle Versicherten die Möglichkeit haben müssten, ein solches Modell zu wählen. Dafür brauche es ein flächendeckendes Angebot der Kassen, sonst drohe eine Zweiklassenmedizin.
«Prävention in Ehren, aber der Vorstoss widerspricht aus meiner Sicht dem Solidaritätsprinzip in der Krankenversicherung, deshalb werde ich ihn nicht unterstützen», sagt Grünen-Nationalrätin Irène Kälin.
Die junge Mutter und Gewerkschafterin sieht mehrere Probleme. «Einerseits dürfte es schwierig sein, genau zu definieren, was nun gesundheitsbewusstes Verhalten ist», sagt Kälin und fragt, ob zum Beispiel jemand Prämienrabatt erhalten könne, wenn er in einem Raucher-Elternhaus aufgewachsen sei. «Andererseits müssten Versicherte sehr private Gesundheitsdaten angeben, das halte ich aus Gründen des Datenschutzes für problematisch, auch wenn es freiwillig geschieht.» Die Daten seien dann im Elektronischen Patientendossier der Versicherten gespeichert, Missbrauch sei nie auszuschliessen, warnt die Grünen-Nationalrätin.