Der Präsident des Bezirksgerichts Lenzburg, Daniel Aeschbach (SVP), hat sich am Donnerstag zusammen mit seinem Richterkollegium zur Urteilsfindung hinter verschlossene Türen zurückgezogen. Die Urteilsfindung wird im Geheimen stattfinden.
Zusammen mit René Müller (SVP), Margrit Kaufmann (CVP), Marianne Bitterli (SVP) und Luca Cirigliano (SP) muss er eine angemessene Strafe für den Thomas N., den Angeklagten im Rupperswil-Prozess, finden. Dieser hat am 21. Dezember 2015 vier Personen getötet. Aeschbach ist ein erfahrener Richter: Er leitet die Verhandlung, bestimmt den Ablauf und stellt die meisten Fragen.
Doch wie läuft die Suche nach einem Strafmass überhaupt ab? Ein emeritierter Strafrechtsprofessor der Universität Zürich erklärt das Vorgehen wie folgt. Massgebend für die Strafe ist das Schweizerische Strafgesetzbuch.
Jeder Richter erstellt für sich den Sachverhalt, er prüft also, wie die Tat sich abgespielt hat oder sich abgespielt haben könnte. Dies geschieht bereits mit Blick auf eine Strafnorm. Für den Sachverhalt werden Beweise erstellt und gewürdigt, das heisst auf ihre Wichtigkeit hin geprüft.
Auf diese Weise erstellt jeder Richter – im Falle Rupperswil sind es fünf – ein Mosaik aus vorhandenen Einzelsteinen (Befragungen, Gutachten, Beweisen, etc.). So entsteht ein Gesamtbild eines Tathergangs mit mehr oder weniger Lücken. (Kann kein deutlich erkennbares Bild erstellt werden, gilt die Unschuldsvermutung – in dubio pro reo.)
Hat jeder Richter den Sachverhalt erstellt, wird dieser im Richtergremium diskutiert, bis man sich gefunden hat. Da sich das Richtergremium immer aus einer ungeraden Anzahl Personen zusammensetzt, ist ein Mehrheitsentscheid immer möglich.
Dann wird die Strafnorm diskutiert. Zum Beispiel: Handelt es sich um Tötung? Auch hier werden sich die Richter letztlich finden.
Danach wird das Strafmass diskutiert. Dieses besteht aus der Strafe für den Täter, zum Beispiel so und so viele Jahre Gefängnis. Nebenpunkte sind dann die Kosten: Wer hat für Gerichtsverfahren, Entschädigung oder Genugtuung aufzukommen? Es gibt weitere Punkte.
Schliesslich wird das Urteil gefällt und verkündet. Letzteres ist im Fall Rupperswil für Freitagmorgen um 10 Uhr angekündet. (Wir berichten live)
Wird das Urteil von einer Partei nicht anerkannt, kann es an die nächst höhere Gerichtsinstanz weitergezogen werden. Das wäre im Fall Rupperswil das Aargauer Obergericht. Die dritte und letzte Instanz ist das Bundesgericht. Dessen Entscheid wäre abschliessend.
Bei der Urteilsfindung geht es auch um eine lebenslange Verwahrung von Thomas N. Kann sie verhängt werden? Aufgrund der Einschätzungen der psychiatrischen Experten wohl nicht. Gleichwohl wird sie von der Staatsanwältin Barbara Loppacher gefordert.
Die Richter haben keine einfache Aufgabe, müssen persönliche Emotionen doch weitgehend verdrängt werden. «Rachegedanken dürfen keine Rolle spielen», erklärte Richterin Marianne Heer zum Rupperswil-Prozess.