Supercars interessieren mich nicht die Bohne. Wieso? Weil ich nicht mehr zwölf Jahre alt bin.
Das Idolisieren von Ferrari, Lamborghini und Co. fällt genau in jene kurze Lebensphase zwischen dem Moment, in dem man aufgehört hat, Autöli am Boden rumzuschieben und dabei «brumm brumm» zu machen, und dem Moment, in dem man sich für Mädchen zu interessieren beginnt. Ein paar kurze Jahre lang werden in Bubenrunden die relativen Vorzüge des Pagani Zonda gegenüber des Hennessy Venom debattiert (obwohl man beide selbstredend noch nie in echt gesehen hat, geschweige denn gefahren ist). Top-Trumps-Quartettspiele sind ebenfalls eine wichtige Währung, denn wenn der Lamborghini die 100 km/h in 0,2 Sekunden schneller als der Ferrari erreicht, dann ist der Lambo das bessere Auto. Punkt.
Und dann wird man erwachsen und merkt, dass der Unterschied zwischen 5 und 4,5 Sekunden von 0 auf 100 so was von egal ist, da beides saufuckingschnell. Und Spitzengeschwindigkeiten von über 300km/h ... seriously? Wann jemals? Und wo? Und würde sowas überhaupt Spass machen? Gewiss, die Technik, die in so einem Supercar steckt, ist und bleibt faszinierend. Maximalen Respekt vor den Ingenieuren, ja.
Aber bald mal wird jegliches verbliebenes Interesse an Supercars von deren Klientel zunichte gemacht. Sorry, aber man kann beim besten Willen keine Bewunderung für eine Autoklasse mehr aufbringen, die einzig und alleine von den überprivilegierten Macho-Idioten des berüchtigten einen Prozents gefahren wird. Verzeihung, sagte ich «gefahren»? Nö, fahren können die sowieso nicht. Gibt mal einer ordentlich Gas, kommt es öfters als nicht zu einem Unfall. Vielleicht wird mal ein Mitglied des niederen Pöbels dabei überfahren und getötet. Selbstredend mit Fahrerflucht.
So. Nun aber das hier:
Gordon Murray Automotive T.50, allerseits.
Ein paar Fotos und ein paar Erklärsätze vom Konstrukteur und es hat mir den Ärmel reingenommen. Lasst mich mal erklären ...
Zuerst mal: An was erinnert uns das? Richtig, an den legendären McLaren F1 aus den Neunzigerjahren, dem wohl einflussreichsten Supercar der Autogeschichte.
Und das mit gutem Grund: Designer beider Vehikel ist ein gewisser – aha, deshalb der Name! – Gordon Murray.
Der Gordon Murray nämlich, der jahrelang Designer von Formel-1-Rennwagen war. Zuerst bei Brabham (1969-1986), später bei McLaren (1987-1991). Der in Südafrika geborene Schotte verhalf legendären Fahrern wie Ayrton Senna und Alain Prost zu ihren Weltmeistertiteln. Während Murray immer wieder mit innovativen Tricks und Kniffs das Formel-1-Reglement auszureizen verstand, beschloss er, als er Anfang der Neunziger mit der Entwicklung eines Strassenautos begann (übrigens mit tatkräftiger Unterstützung von Ex-Beatle George Harrison), den Fokus komplett auf den Fahrer und das Fahrerlebnis auszurichten.
So war der McLaren F1 ein Dreisitzer mit dem Fahrersitz in der Mitte. Ebenfalls war Murray unnachgiebig in seinem Beschluss, einen naturally aspirated motor (Saugmotor) zu verwenden, um Zuverlässigkeit zu erhöhen und Fahrkontrolle zu optimieren. Denn während Turbos und Kompressoren die Leistung zwar erhöhen, machen sie alles auch einiges komplexer, was sich auf die Zuverlässigkeit auswirkt und zusätzliche Aspekte der Latenz und des Rückkopplungsverlusts mit sich bringen. Bis heute bleibt der McLaren F1 mit seinen 1998 gemessenen 386,4 km/h das schnellste Saugmotor-Auto der Welt, da alle späteren Rekorde von Fahrzeugen mit Turboschnickschnack gebrochen wurden.
Nun, 2020, ist der «einzige logische Nachfolger» (O-Ton Murray) des McLaren F1 da. Inzwischen unter eigenem Markennamen, hat der Gordon Murray Automotive T.50 vieles, das beim F1 gut war, übernommen. Und vieles verbessert, da nun doch gut 30 Jahre Automobilentwicklung geschehen sind. Etwas ist aber geblieben: Der Fokus aufs Fahrerlebnis. Wieder ist der Fahrersitz in der Mitte. Die Schaltung ist manuell. Old school. Mit Kupplungspedal und Ganghebel. Ja, elektronische Automaten und jene gfätterligen Wippschalter wären schneller. Aber das ist egal. Nochmals: Alles ist dem Fahren untergeordnet – dem Fahren, notabene, nicht dem Rennfahren.
Sowieso gibt Gordon Murray keine Fahrleistungen bekannt. Weil die ihn schlicht nicht interessieren. Hey, das Ding hat mehr als 660 PS und wiegt 980 Kilo. Es wird sauschnell. Ob nun ein wenig schneller oder ein wenig langsamer als die Konkurrenz, ist vollkommen egal. Ein Aston Martin Valkyrie wurde einzig konstruiert, um die schnellste Runde auf dem Nürburgring zu fahren ... nur um kurz später vom diesem VW-Elektro-Ding geschlagen zu werden.
Hey, Leute, Nürburgring-Zeiten und Höchstgeschwindigkeiten interessieren längst nicht mehr. In der Supercar-Liga ist man längst in Leistungsregionen angekommen, in denen Fahrleistungen einzig eine Bremsübung geworden sind. Will heissen: Schnell sind alle. Am schnellsten ist dann der, der am spätesten bremst.
Und da macht ein Gordon Murray, der einige Formel-1-Konstrukteuren-Titel auf dem Buckel hat und somit wirklich niemandem mehr etwas beweisen muss, schlicht nicht mit. Und auch nicht bei jenen ostentativen, optisch ausufernden Designelementen, die jedem Betrachter die Botschaft von Geschwindigkeit einhämmern sollen: jene Flügel und Splitter und Diffusoren und Hektaren unlackierten Carbons, welche die Koenigseggs und Paganis kennzeichnen. Schaut mal hin: Der T.50 hat nicht einmal einen Spoiler vorne. Die Form wirkt aus einem Guss. Auch hat er keinen Heckflügel.
Dafür aber einen Ventilator.
Okay, über die ganzen technischen Details des T.50 lasse ich mich hier nicht aus, denn ehrlich gesagt verstehe ich davon viel zu wenig. Alleine schon der Motor ist ein technisches Wunderwerk – ein 3,9-Liter-V12 aus dem Hause Cosworth mit direkt montiertem Getriebe, das schier unglaubliche Drehzahlen zulässt –, das ein eigenes Kapitel verdienen würde.
Aber dieser Ventilator, der ist schon geil. Da greift Murray auf eine seiner legendäreren Ideen aus seiner Formel-1-Zeit zurück. 1978 waren Niki Lauda und John Watson mit dem Brabham BT46 unterwegs. Aufgrund des flachen, breiten Designs des Alfa-Romeo-V12s konnte Brabham keine Bodeneffekt-Autos konstruieren, wie das Lotus und die Konkurrenz erfolgreich machten. Gordon Murray montierte stattdessen einen Staubsauger.
Gewissermassen. Am Heck des BT46 wurde ein Ventilator montiert, der Luft vom Unterboden saugte und nach hinten hinaus blies. Dieses Verfahren sorgte für einen niedrigen Druck unter dem Fahrzeug, das somit vom äusseren Luftdruck gegen den Boden gepresst wurde. Um den Wagen regelkonform einzuschreiben, war das Gebläse offiziell ein Teil der Motorkühlung. Der Wagen wurde als BT46B für den Grossen Preis von Schweden 1978 zugelassen. Bereits im Training schrie die Konkurrenz Zeter und Mordio und setzte alles daran, den «sucker car» für illegal erklären zu lassen – was ihnen später auch gelang, da der Propeller eine verbotene «bewegliche aerodynamische Einheit» darstellte. Doch der GP von Schweden wurde gefahren – und von Lauda gewonnen. Gordon Murrays Konstruktion funktionierte.
Und dieses Konzept ist mitunter auch der Grund, weshalb der neue T.50 nicht wie eine Origami-Kreation aussieht, sondern ein schlichtes, aerodynamisches Design aufweist. Das Auto saugt sich an die Strassenoberfläche. Driver focus, wieder, also. Was aber mitnichten heisst, dass das eins dieser brettharten Minimalautos geworden ist, bei dem man auf jeglichen Komfort verzichtet hat der Leistung willen. Nein, der T.50 hat Klimaanlage und eine fette Stereoanlage und Navi selbstredend auch.
Aber es gibt keine Touchscreens und dergleichen. Alles, was der Fahrer wirklich braucht, liegt im direkten Zugriff im Bereich zwischen Lenkrad und Schaltknüppel. Hinter dem Lenkrad ein grosser analoger Drehzahlmesser, links und rechts davon zwei Funktionsdisplays – links für Motor- und Fahrzeugdaten, rechts für Navigation und Infotainment. Letzteres wird komplett vom eigenen Handy gespiesen.
«The last great analogue supercar», so Gordon Murray, hat also durchaus eine Portion Elektronik. Genug, um Common-Sense-Komfort zu ermöglichen. Wenig genug, um ein ungestörtes Fahrerlebnis zu ermöglichen.
Vom T.50 werden 2022 genau 100 Stück gebaut. Rund 70 sind schon verkauft – die meisten an Besitzer im Alterssegment von 30 bis 45 Jahren. Jene Generation also, die mit dem McLaren-F1-Poster an der Schlafzimmerwand aufwuchsen und nun feststellen, dass originale F1 inzwischen weit über 10 Millionen Dollar kosten. Da ist ein nigelnagelneuer Gordon Murray T.50 für 3 Millionen geradezu preiswert.