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Putin und der Propaganda-Krake: SRF diskutiert das zweifelhafte Medienverständnis des Kremls

Putin und der Propaganda-Krake: SRF diskutiert das zweifelhafte Medienverständnis des Kremls

An den Fragen entzündet sich regelmässig erbitterter Streit: Wie fest versucht die russische Obrigkeit, mittels Eingriffen in die Medien die eigene Weltsicht – auch im Westen – zu propagieren? Und wie reagiert der Westen darauf? Das Magazin #SRFglobal ging diesen Fragen in der Sendung «Propagandagrüsse aus Moskau»nach.
02.03.2016, 06:0202.03.2016, 06:27
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Vielleicht muss man mit einem Tweet beginnen: 

Was das Magazin #SRFglobal «den Russen vorwirft», ist folgendes: Eine vom Kreml gesteuerte Propagandamaschinerie, eine Auslandsberichterstattung, die konsequent gegen westliche Deutungen anschreibt und eine Armada an Social-Media-Kommentatoren, die reflexartig alles, was sich gegen Russland richtet, vehement bekämpfen. 

Twitterer Geekex wäre aus der Sicht von Moderator Florian Inhauser das Paradebeispiel für Punkt 3. 

Der russische Journalist Konstantin Goldenzweig, angestellt beim kleinen, unabhängigen Nachrichtensender RTVi und Hauptgast der Sendung, drückte es ganz zu Beginn folgendermassen aus:« Entweder man nimmt Russland als gutes, oder als böses Land wahr». Schwarz oder Weiss. Ein Dazwischen existiert nicht. Russland, so scheint es, polarisiert in den Medien, in den Kommentarspalten und im gesellschaftlichen Diskurs so stark wie lange nicht mehr.

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Paradebeispiel «Fall Lisa»

Woher kommt das? Die Berichterstattung in den russischen Medien sei von der politischen Grosswetterlage geprägt, so Goldenzweig. Das sei etwa am Beispiel der russisch-deutschen Beziehung zu sehen. Parallel zur politischen Verstimmung zwischen Putin und Merkel verschärfte sich der Ton in den Zeitungsspalten und Fernsehbeiträgen.

Der Fall Lisa illustriert dies bestens: Das 13-Jährige Mädchen russischer Abstammung war im Januar als vermisst gemeldet. Schnell tauchten Gerüchte auf, wonach die 13-Jährige von Flüchtlingen vergewaltigt worden sei. Zwar dementierten die deutschen Behörden umgehend – es stellte sich später heraus, dass das Mädchen eine Falschaussage machte und eine Nacht bei ihrem Freund verbrachte – aber da hatten die russlandfreundlichen Medien bereits Blut geleckt. Mit an Hysterie grenzender Polemik beschuldigten sie die deutschen Behörden der Untätigkeit – und der gezielten, absichtsvollen Förderung solcher Vorfälle. Auf der Strasse verbrüderten sich Russlanddeutsche, Rechtsextreme und Pegida-Anhänger und bezichtigten die deutsche Regierung des Verrats an der eigenen Bevölkerung. Schliesslich warf sogar der russische Aussenminister Sergej Lawrow Deutschland vor, den Fall zu vertuschen. 

Der Westen als Feindbild

Es sei zweifellos der Fall, dass der Grossteil der russischen Nachrichtensender – mit einigen wenigen unbedeutenden Ausnahmen – am Gängelband des Kremls hänge, so Goldenzweig. Das Repertoire der Medien: Lügen, verschweigen, hetzen, aufbauschen und falsche Akzente setzen.

Aber welches Interesse verfolgt der Kreml mit der gelenkten Berichterstattung? Für Russland-Korrespondent Christof Franzen ist klar: die Propaganda dient dem Machterhalt der Putin-Clique. Die politischen Verwerfungen der letzten Jahre – der Arabische Frühling 2011, Massendemonstrationen in Moskau 2012 und vor allem der Maidan, der Aufstand in der Ukraine – hätten Putin verunsichert. Seine Reaktion: Die Erschaffung des Feindbild Westen. Damit sollte einerseits das Volk hinter der Kreml-Führung geschart werden und anderseits ein klarer Graben gezogen werden: hier das starke, unabhängige Russland mit seinen ewigen Werten, dort der schwache, dekadente Westen mit seiner falsch verstandenen Toleranz und seinem beliebigen Wertesystem. 

Goldenzweig unterstützte diese Sicht: Toleranz sei schon fast zum Schimpfwort im russischen Sprachgebrauch geworden. «Demokratische Werte, Rechtsstaat oder Liberalismus, das klingt alles zu naiv und albern für die vielen Zuschauer in Russland». 

Kommentare am Fliessband

Und was ist mit den Trollen, die angeblich 24/7 das Netz durchstöbern, fieberhaft auf der Suche nach einem angeblich «russland-feindlichen» Artikel, um dann in der Kommentarspalte ihre vorgestanzten Propaganda-Sätze zu deponieren? #SRF-Global wirft erneut einen Blick in die zum Synonym russischer Netz-Propaganda gewordene sogenannte Troll-Fabrik. Hier arbeiten hunderte russischer Studenten tagein tagaus an der Deutungshoheit im den sozialen Netzwerken – für einen für russische Verhältnisse mehr als guten Lohn.

Der Einfluss der russlandtreuen Kommentarschreiber mache sich auch bei Schweizer Newsportalen bemerkbar – auch bei watson. In einem weiteren Beitrag verweist #SRFGlobal auf die erbittert geführte Debatte in den Kommentarspalten nach einem russland-freundlichen Artikel. 

Information über Desinformation

Der Westen steht der russischen Propaganda-Welle aber nicht tatenlos gegenüber. #SRFGlobal wollte von Brüssel-Korrespondenten Sebastian Ramspeck wissen, was die Europäische Union denn konkret gegen die Einflussnahme des Kremls im öffentlichen Diskurs unternehme – und damit gleichzeitig eine Antwort liefern auf die Frage, ob der Westen selber frei von Propaganda ist. Ramspeck verweist auf eine von der EU gegründete Task-Force, die im vergangenen September ihre Arbeit aufgenommen hat. Neun Personen erstellen dort wöchentlich eine öffentliche Liste über kreml-gesteuerte Propaganda. «Information über Desinformation», wie es Ramspeck nennt. 

Eine solche Institution sei natürlich Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker, die meinen, Europa wolle Putin stürzen, sagt Goldenzweig. Von einer europäischen Troll-Fabrik wollte er aber nicht sprechen. Dennoch: Auch bei europäischen Medien kommen Fehlinformationen und propagandistisch angehauchte Beiträge vor:  Exemplarisch erwähnt wird die ZDF-Dokumentation «Machtmensch Putin», die einem angeblichen russischen Soldaten in der Ost-Ukraine, das Wort erteilte und damit offenbar einem Betrüger aufgesessen ist. Die Episode stellt ein gefundenes Fressen für die sogenannten «Russlandversteher» dar. Dass es sich dabei um bewusst geschürte Desinformationen seitens des ZDF handelt, ist hingegen zu bezweifeln – vielmehr dürfte die journalistische Sorgfaltspflicht massiv verletzt worden sein.

Eine Frage, die #SRFGlobal kaum aufwirft, ist, wie dem Problem der Russlandpropaganda langfristig zu begegnen sei, Kreml hin oder her. Der russische Journalist Goldenzweig beantwortet sie trotzdem – und erteilt den Bemühungen des Westens um Aufklärung eine Absage: Keine deutschen, keine Schweizer Medien könnten die gesellschaftlichen Probleme in Russland lösen, eine Einmischung von aussen sei von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nur die russische Zivilgesellschaft sei in der Lage dazu, Pressefreiheit und unabhängigen Journalismus, zu garantieren. «Sobald sie [die Russen] das begreifen, werden sie es tun.»

Die Frage ist nur: Wann wird dies der Fall sein? (wst)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kusti
02.03.2016 10:00registriert März 2016
Ich fand die Sendung etwas plump gemacht. Zu Propaganda gibt es bessere Analysen, z.B. die hier: http://www.nachdenkseiten.de/?p=31487
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Petoman
02.03.2016 07:59registriert Mai 2015
Medien sind ein Machtinstrument und werden von West wie Ost genutzt:
Spannend war auch das mediale Bild von Ghadaffi. Über jahrzehnte war Ruhe. Dann, nach seiner Ankündigung die Trades nicht mehr in USD machen zu wollen wurde er umgehend demontiert. Kinderschändung, Massenmord etc. Im Nachhinein hat man den den Sturz des Regimes eingeleitet. Im Vergleich mit den Saudis war Ghadaffi wohl das kleinere Übel. Er war einfach nicht mehr in der Spur.
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rodolofo
02.03.2016 07:58registriert Februar 2016
Immer deutlicher wird, dass es -global gesehen- zwei gegensätzliche "Lager" gibt:
Die "reaktionären Kräfte", die das "Heil" in der Vergangenheit suchen, wo alles noch klar strukturiert war, mit deutlichen Grenzen und mit klaren Befehlen: "Tu dies! Dann tu das!" und so weiter. Die Werte von Disziplin und Gehorsam werden durch das Militär repräsentiert.
Diametral gegenüber stehen die "progressiven Kräfte", die ihr Heil in der Zukunft suchen, mit multikultureller Vielfalt und mit Diskussionen über Vor- und Nachteile von verschiedenen Erziehungs-Modellen. Ein Ideal gibt es nicht mehr.
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