Die Corona-Krise spaltet das Land. Und lässt viele kalt.
Wie sonst ist zu erklären, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger bewusst auf die nationale Warn-App verzichten, die zur Eindämmung der Seuche lanciert wurde?
Erhebungen des Bundes zeigen, dass die im Juni lancierte SwissCovid-App inzwischen auf 1,2 Millionen Smartphones läuft. Das ist wenig für ein aufgeklärtes, wohlhabendes Land mit über 6 Millionen kompatiblen iPhones und Android-Smartphones. Viel zu wenig.
Dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) als Herausgeberin der App ist es bislang nicht gelungen, die breite Bevölkerung zu überzeugen. Der digitale Graben zieht sich quer durch die Sprachregionen, Kantone und Altersgruppen. Er reicht von Schaffhausen über die Innerschweiz bis ins Wallis und betrifft Junge, Mittelalterliche und Senioren-Influencer.
Woran das wohl liegt?
Covid-19 ist eine Gefahr für die Gesundheit und unsere Gesellschaft. Aber wie gross ist das persönliche Risiko? Und wie weit sind wir bereit, andere zu schützen?
Der Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider erklärte einem Republik-Journalisten, warum die Risikoabwägung bei Covid-19 völlig anders sei als bei Aids.
Für junge User: In den 1980er-Jahren verunsicherten Berichte über die Ausbreitung der unheilbaren Immunerkrankung die hiesige Bevölkerung. Das HI-Virus wurde zum Schreckgespenst. Mütter kochten die Blockflöten ihrer Kinder aus. Und öffentliche WCs galten als Gefahrenzone.
Damals herrschte übertriebene Angst. Und heute?
Heute nerven wir uns über – zugegeben – üble Kommunikations-Pannen beim Bund, Versäumnisse der Kantone und das Fehlverhalten Dritter. Und wir verlieren uns in Diskussionen über Corona-Detailfragen, statt beim eigenen Verhalten anzusetzen und konsequent zu sein bei den von den Fachleuten empfohlenen Vorsichtsmassnahmen.
Wie viele Schweizerinnen und Schweizer glauben, dass ihnen SwissCovid keinen echten Nutzen bringt? Oder schlimmer noch, sie befürchten deswegen Nachteile?
Gegenfrage: Warum sollte man auf ein einfaches Hilfsmittel verzichten, das nichts kostet und vergleichsweise sehr sicher ist, wie IT-Experten übereinstimmend sagen?
Das Problematische bei den App-Verweigerern ist, dass sie einer selbsterfüllenden Prophezeiung Vorschub leisten: Die vorgesehene Durchschlagskraft erreicht die App erst, wenn sie von vielen genutzt wird. Läuft SwissCovid hingegen weiterhin auf relativ wenigen Geräten, hält sich der gesellschaftliche Nutzen in Grenzen. Und damit sehen sich die Zweifler bestätigt: «Die App bringt nichts. Haben wir ja gesagt!»
Die entscheidende Frage zu SwissCovid, nämlich die Wirksamkeit der neuartigen Technik, lässt sich bislang nicht beantworten. Wir stecken noch mitten in der Pandemie und ein Ende ist nicht in Sicht, auch wenn wir Corona-müde sind und am liebsten gar nichts mehr davon hören möchten.
Fakt ist: Bundesbern kann und wird uns nicht vor Covid-19 bewahren. Wir alle sind gefordert – und stehen in der Pflicht. Die Zauberworte für das erfolgreiche Bewältigen der Corona-Krise lauten Eigenverantwortung und Selbstdisziplin.
Weil du bis hierhin gelesen hast (und nicht nur den zugegeben provokativen Story-Titel), will ich ehrlich sein:
Eigentlich müssen wir hoffen, dass SwissCovid auf lange Sicht kein durchschlagender Erfolg wird. Denn viele Leute würden die App wohl erst installieren, falls sich die Lage extrem verschlechtert und eine Überlastung der Spitäler und andere gravierende Konsequenzen drohen.
Dieser «Worst Case» scheint heute weit weg. Und darum versprüht SwissCovid weiterhin den trockenen Charme eines sozialwissenschaftlichen Massenexperiments.
Allerdings ist der Hintergrund todernst. Und wir tun gut daran, herauszufinden, was eine solche Anwendung für uns persönlich und unsere Gesellschaft leisten kann und ob unsere Smartphones zur Seuchenbekämpfung taugen.
PS: Die SwissCovid-App muss man nur einmal «zur Hand nehmen», um sie zu aktivieren, und kann sie dann getrost vergessen. Das liegt beim Kondom definitiv nicht drin. 😉
Was für die SwissCovid-App spricht:
Nach dem Abwägen sämtlicher Vor- und Nachteile ist völlig logisch, dass wir es probieren sollten. Oder nicht?