Instagram ist der Ort für hübsche Fotos. Doch der Schönheitswahn zeigt sich dort auch von seiner hässlichen Seite. Abgemagerte Frauen inszenieren mit erschreckenden Bildern ihre Essstörung. Instagrams Richtlinien zum Schutz scheitern am Erfindergeist der Nutzerinnen.
Beine, so dünn wie Streichhölzer. Dutzende Fotos von Beinen, so dünn wie Streichhölzer. «Ich wünschte, das wäre ich», steht darunter. Oder: «Ich möchte weinen, sie ist so perfekt.» Die Hüftknochen stehen hervor – weit hervor. Auf Instagram glorifizieren Mädchen und junge Frauen ihre Essstörung, eifern sich gegenseitig nach, stacheln sich mit immer extremeren Fotos an.
«Pro-Ana» nennt sich das – kurz für Pro-Anorexie. «Pro-Ana», das ist eine Bewegung von Magersüchtigen oder Bulimiekranken im Netz. Die Mitglieder leiden in der Regel selbst an einer Essstörung. Ihr Ziel ist es, weiter abzunehmen. Immer weiter.
Die Erkrankung wird idealisiert, ein extremes Schönheitsideal steht im Zentrum – eine Art Wettbewerb unter den meist jungen Frauen. Betroffene tauschen sich auf speziellen Webseiten aus – oder eben immer häufiger auf Instagram.
Dass gerade junge Frauen auf Instagram Selfies von sich posten, sich von ihrer schönsten Seite im Netz präsentieren wollen – das ist kein Geheimnis. «Es scheint normal, dass man als junges Mädchen so aussehen muss», kritisiert Andreas Schnebel, Vorsitzender des deutschen Bundesfachverbands Essstörung.
Befeuert werde der Schönheitswahn durch Gefällt-mir-Angaben und eine wachsende Zahl an Followern, also quasi Fans. Für Mädchen mit Essstörung ist das besonders fatal: «Sie werden von anderen Nutzern so in ihrer Erkrankung noch bestärkt.»
Instagram hat vor einigen Jahren seine Richtlinien angepasst, um die Glorifizierung der Erkrankung zu verhindern. Unter Betroffenen beliebte Hashtags wie #probulimia oder #proanorexia können über die Suchfunktion nicht länger gefunden werden. «Hashtags, die Essstörungen glorifizieren, werden ohne Warnung gelöscht», erklärte das Unternehmen auf Anfrage.
Bei anderen Hashtags, die eine Essstörung nicht zwingend anpreisen, werde ein Warnhinweis eingeblendet, bevor die Ergebnisse angezeigt werden. So zum Beispiel der Hashtag #ana.
«Für viele Instagrammer, die unter einer Essstörung leiden, ist es eine grosse Hilfe, sich auf Instagram mit anderen Betroffenen während ihres Heilungsprozesses auszutauschen», verteidigt Instagram dieses Vorgehen. Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes seien bestimmte Hashtags deshalb weiterhin über die Suche zu finden.
Doch viele Betroffene lassen sich weder von Warnungen noch Sperren abschrecken. Häufig verbreitet sind Abwandlungen der gelöschten Hashtags. Aus #bulimia wird etwa #bulima, aus #thin wird #thynn. Und darunter finden sich wieder extreme, teils verstörende Fotos von abgemagerten Körpern.
Anders ist Amalie Lees Account. Die 21-jährige Britin ist auch dünn – doch sie war mal viel dünner. Mit 17 bekam sie eine Essstörung. Auf Bildern von damals kann man sehen: Auch Amalies Beine sahen aus wie Streichhölzer, mager, zerbrechlich. Amalie macht heute viele Selfies von sich und ihrem Körper – und von Essen. Auf Instagram dokumentiert sie ihren Weg zurück – ihre Heilung.
«Es fühlte sich gut an, online einen Ort zu finden, wo man offen mit seinem Kampf mit der Essstörung umgehen konnte», sagt sie. Über Instagram sei sie mit Menschen verbunden, die das Gleiche durchmachen.
Doch auch hier gebe es Gefahren, ein «zweischneidiges Schwert» sei das. «Menschen mit Essstörung können sehr wetteifernd sein», erklärt sie. «Sie fühlen sich, als seien sie nicht krank genug, um Heilung zu verdienen, wenn andere kränker sind als sie.»
Ausserdem gebe es einige Accounts, die sich zuerst rund um Heilung drehen – und dann vor allem einen unrealistisch trainierten Körper anpreisen. Lee sagt heute: «Ich zähle keine Kalorien, wiege mich nicht, mache keine Diät.» Das Leben sei mehr als nur Zahlen.
(sda/dpa)