Wo endet die Wahrheit, und wo beginnt die Lüge? Im Zeitalter der unendlich verfügbaren Informationen sind solche Fragen immer schwieriger zu beantworten. Spätestens mit den US-Wahlen im letzten November sind Fake News in den Fokus der politischen Debatte geraten. Und damit auch die Faktencheck-Organisationen, die Unwahrheiten als solche entlarven.
Eine führende Rolle spielt die Website snopes.com in San Diego (Kalifornien). Sie wurde bereits 1994 von David Mikkelson und seiner damaligen Frau Barbara gegründet, als das Internet noch alles andere als ein Massenmedium war. Diese Woche weilte Mikkelson in der Schweiz, auf Einladung der US-Botschaft in Bern. Im Gespräch mit Journalisten äusserte er sich zu seiner Arbeitsweise und dem Phänomen Fake News.
«Wir haben snopes.com vor mehr als 20 Jahren als Hobby gestartet. Wir schrieben über Urban Legends, von ‹Elvis lebt!› bis zum Hotelgast, der angeblich in Las Vegas mit einer fehlenden Niere aufgewacht ist. Damals arbeitete ich für eine Computerfirma. Wir waren im Internet zu einer Zeit, als die meisten Leute noch nicht wussten, dass es existiert. Es gab keine Suchmaschinen, man hat uns die Informationen zugeschickt. Politik spielte damals so gut wie keine Rolle, es ging um gefakte Warnungen vor Computerviren, Mails über vermisste Kinder, lustige Videos und Fotos.»
«Im Disneyland in Kalifornien gab es einen exklusiven Privatklub, von dem kaum jemand etwas wusste. Er hiess Club 33. Walt Disney baute ihn für seine Freunde, doch er starb, bevor er fertig war. Gerüchte über den Klub kursierten im Internet. Ich dachte mir, es müsse einen Weg geben, um hineinzukommen. Auf normalem Weg war es kaum möglich, also schaltete ich Inserate in den lokalen Zeitungen. Wir erhielten einige obszöne Telefonanrufe, aber am Ende fanden wir einen Autohändler, der Mitglied war und uns hineinbrachte. Ich war der Erste, der Bilder vom Club 33 im Internet veröffentlichte. Heute gibt es dazu ganze Websites. Wir gingen übrigens auch dem Gerücht nach, dass Walt Disney nach seinem Tod eingefroren wurde (lacht).»
«Früher war es einfach, wir erhielten E-Mails und gingen der Sache nach. Heute ist es schwieriger. Wir orientieren uns primär an dem, was die Menschen am meisten interessiert. Es spielt keine Rolle, ob wir es lächerlich finden oder unwichtig. Seiten wie FactCheck.org behandeln nur Politik, wir gehen allem nach, auch bizarren Dingen. In gewisser Weise sind wir populistisch, wir richten uns nach dem, was die Leute wissen wollen.»
Politische Themen spielten in den Anfangsjahren von Snopes kaum eine Rolle. Heute umfassen sie rund 90 Prozent aller Beiträge. In den letzten beiden Jahren habe sich daraus eine eigentliche Industrie entwickelt, sagt Mikkelson. Man habe entdeckt, dass man mit politischen Fake News Geld verdienen könne. Ein bekanntes Beispiel sind die Teenager aus Mazedonien, die sich mit ihren Falschmeldungen in den US-Wahlkampf eingeschaltet hatten. Sie verfolgten keine politischen Ziele, sondern wollten nur Profit machen.
«Grundsätzlich arbeiten wir beim Factchecking nicht viel anders als Journalisten. Wenn eine Story von einer bekannten Fake-News-Website stammt, die nie wahre Geschichten veröffentlicht, muss man nicht viel unternehmen. In anderen Fällen muss man mehr investieren und etwa Datenbanken durchsuchen. Wenn jemandem ein Zitat in den Mund gelegt wird, fragt man am besten die besagte Person, aber das ist nicht immer möglich.»
«Wir finanzieren uns mit Werbung. Aber das Geschäft wird für uns wie für die Medien schwieriger. Wir werden möglicherweise neue Einnahmequellen suchen müssen, etwa Abonnements oder Spenden von gemeinnützigen Organisationen. Allerdings gerät man in einem solchen Fall schnell in den Verdacht der Parteilichkeit. Die Seite FactCheck.org wurde von der Annenberg-Stiftung unterstützt, die entfernt mit Barack Obama verbandelt war. Es war keine grosse Sache, dennoch wurde FactCheck.org jahrelang vorgeworfen, Obama zu unterstützen.»
Ähnliche Vorwürfe wurden nach den Wahlen 2008 auch gegen snopes.com erhoben. Worauf ausgerechnet FactCheck.org die Konkurrenz einem Faktencheck unterzog. Und ihr bescheinigte, korrekt zu arbeiten.
«1835 veröffentlichte die ‹New York Sun› eine sechsteilige Serie über Menschen, die auf dem Mond leben. Fake News sind also kein neues Phänomen. Aber erst seit kurzem sind sie zu einem Geschäftsmodell geworden. Natürlich gab es früher Tabloids wie die ‹Weekly World News›, die voller erfundener Meldungen waren. Doch die waren so offensichtlich, dass niemand sie geglaubt hat. Fake News war ein Synonym für Absurdes. Seit den Wahlen im letzten Herbst aber stehen sie für Propaganda oder schlechten Journalismus. Und im Fall von Präsident Trump ist alles Fake News, womit er nicht übereinstimmt, auch die ‹New York Times› oder CNN.»
«Nach den Wahlen im November hiess es, Fake News hätten das Ergebnis beeinflusst. Heute stehen andere Dinge im Vordergrund, etwa die fehlerhaften Umfragen oder Hillary Clintons schlechter Wahlkampf. Hinzu kommen die Filterblasen oder Echokammern, in denen die Menschen nur zu sehen bekommen, womit sie übereinstimmen, etwa auf Facebook. Ich denke, dass Fake News die Wähler nicht wirklich beeinflusst haben. Ihre Meinungen waren überwiegend gemacht. Das eigentliche Problem ist die politische Polarisierung. Es gibt kein Zentrum mehr, keine gemeinsame Basis. Es gibt nur noch die Extreme, die sich im Internet in ihrer Meinung bestärken lassen. Fake News ist in diesem Kontext nur ein Symptom und nicht die Krankheit.»
«Aus Russland stammen viele Fake News. Aber ich bin skeptisch, wenn es heisst, man habe damit Donald Trump zur Präsidentschaft verhelfen wollen. Häufig geht es nur darum, Geld zu verdienen. Oder die USA in ein schlechtes Licht zu rücken. Damit sollen ehemalige Sowjetrepubliken davon abgehalten werden, sich der NATO anzunähern. Ich schliesse nicht aus, dass die Wahlen beeinflusst werden sollten. Bislang aber gibt es nur viel Rauch und kein Feuer.»
«Früher kamen rund 99 Prozent aller Fake News von rechts. Diese Dominanz hing möglicherweise mit Fox News und rechten Radio-Talkshows zusammen. Heute ist das Verhältnis ausgeglichen. Wir bei Snopes betrachten uns als neutral. Trotzdem heisst es, wir würden von George Soros finanziert und seien eine Tarnorganisation der CIA (lacht). Meistens wirft man uns Linkslastigkeit vor, aber wir werden von beiden Seiten kritisiert. Und in einem solchen Fall muss man etwas richtig machen.»
«Es gab über beide etwa gleich viele Falschmeldungen, nur dass jene über Trump generell positiv waren und jene über Clinton negativ. Sie werde wegen ihres privaten Mailservers verhaftet, sei schwer krank und habe Uran nach Russland verkauft. Donald Trump profitierte auch davon, dass er nie ein politisches Amt bekleidet hatte. Über ihn gab es nur negative Fake News aus dem privaten Bereich, etwa eine angebliche Klage einer Frau, die er als 13-Jährige vergewaltigt haben soll. Primär aber wurde er als erfolgreicher Geschäftsmann dargestellt.»
«Eine gewichtige Falschmeldung besagte, dass der Papst ihn unterstütze. Wir haben sie mit einem Video widerlegt, das rund 33'000 Mal geteilt wurde. Die ursprüngliche Falschmeldung aber wurde 688'000 Mal geteilt. Korrekturen werden nie so beachtet wie Originalgeschichten. Die britische ‹Daily Mail› veröffentlicht regelmässig unwahre Geschichten, ohne sie zu berichtigen, aber es schadet ihr nicht. Ihre Website zählt die meisten Zugriffe.»
David Mikkelson erwähnte die «Daily Mail» kaum zufällig. Im letzten Dezember geriet er ins Visier des britischen Revolverblattes, das ihn persönlich attackierte, ohne die Qualität seiner Arbeit in Frage stellen zu können. Ohnehin ist Mikkelson mit dem Erfolg seiner Website selber zum Objekt von rechter Seite geworden, über ihn kursieren alle möglichen Fake News im Internet. Es scheint ihn wenig zu kümmern: David Mikkelson ist ein sehr heiterer und gelassener Mensch.
«Vor einigen Wochen kursierte eine Meldung der Zeitung ‹Seattle Tribune›. Es ging um ein Paar, das keine Kinder bekommen konnte und sich deshalb in eine Klinik für künstliche Befruchtung begab. Dort fand man heraus, dass es Zwillinge waren, die bei der Geburt getrennt wurden, sich im College begegneten und geheiratet haben. Die Story war nicht nur komplett erfunden, es gab auch keine Möglichkeit, sie nachzuprüfen. Weder die Klinik noch die Ärzte oder Patienten wurden namentlich genannt. Und eine Zeitung namens ‹Seattle Tribune› existiert nicht. Trotzdem haben mehrere britische Zeitungen die Meldung als News veröffentlicht, darunter die ‹Daily Mail›, der ‹Mirror›, der ‹Independent› und die ‹Sun›. Sie taten es, obwohl sie nichts nachprüfen konnten. Wir haben die Story als Fälschung entlarvt, worauf die gleichen Zeitungen sich gegenseitig beschuldigten, Fake News verbreitet zu haben. Sie gestanden nicht, dass sie es selbst getan hatten. Offenbar ist ihnen das vollkommen egal, sie verlieren deswegen keine Leser.»
Auf Facebook werden viele Fake News gepostet. Das soziale Netzwerk ist deshalb unter heftigen Beschuss geraten. Facebook hat mehrere Faktencheck-Organisationen verpflichtet, die Lügenbeiträge identifizieren sollen, darunter auch Snopes. Das Magazin «The Atlantic» regte eine Übernahme von Snopes durch Facebook an.
«Facebook tut mir irgendwie leid. Das Netzwerk erzeugt keine Fake News, sondern dient als Mittel zu ihrer Verbreitung. Trotzdem macht man Facebook dafür verantwortlich. Die User haben nun die Möglichkeit, Fake News zu melden. Wir vergleichen sie mit unseren Beiträgen. Wenn wir darüber berichtet und sie als falsch entlarvt haben, gibt es eine Markierung auf Facebook. Dafür müssen aber mindestens zwei Faktencheck-Organisationen bestätigt haben, dass es sich um Fake News handelt. Und wenn nur eine sagt, die Story sei wahr, gibt es keine Warnung, auch wenn sieben weitere Faktenchecker sie als falsch bezeichnet haben. Facebook ist sehr vorsichtig. Häufig wird uns auch nur dummes Zeug gemeldet, das mehr unter Clickbaiting fällt als unter Fake News.»
«Journalisten können Fake News vermeiden, indem sie ihr Handwerk richtig machen. Ich bin mir aber bewusst, dass ein grosser Druck besteht, möglichst schnell zu sein, insbesondere in der Online-Welt. Fünf Minuten später zu sein als die Konkurrenz kann einen grossen Unterschied ausmachen. Und mit wahrheitsgetreuer Berichterstattung gewinnt man nicht unbedingt Leser. Ich habe die ‹Daily Mail› erwähnt, die Falschmeldungen publiziert, sie nicht berichtigt und trotzdem Millionen Leser hat. Vielleicht brauchen wir einfach bessere Leser (lacht).»