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Gesundheit: Ich habe Präsentismus. Ihr auch?

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Rund um Gsund

Ich habe Präsentismus. Ihr auch?

Kürzlich war ich krank, so richtig, mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Ich gestehe: Sobald ich wieder halbwegs klar denken konnte, habe ich E-Mails beantwortet. «Präsentismus» nennt sich das Phänomen. Und es macht uns noch kranker, als wir schon sind.
10.02.2023, 08:5510.02.2023, 17:09
Sandra Casalini
Sandra Casalini
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Nur schon die Tatsache, dass ich fiebrig und mit Schmerzen aufwache, verwirrt mich. Ich bin sehr selten krank. Zum Glück. Dass ich trotzdem aufstehe, ist sozusagen eine alte Gewohnheit: Als Mutter liegt Kranksein einfach nicht drin. Klar kannst du dich im Verlauf des Tages um Hilfe bemühen, aber diese ersten paar Stunden müssen irgendwie geschmissen werden, weils ohne dich einfach nicht geht. Heute sind meine Kinder älter und imstande, sich auch morgens selbst zu managen. Trotzdem klebt dieses Mindset irgendwie immer noch an mir. So gehe ich erst wieder ins Bett, nachdem beide aus dem Haus sind.

Jeder und jede Zweite arbeitet trotz Krankheit

Nach ein paar Stunden Schlaf und einem Neocitran gehts mir besser, auch wenn ich immer noch «glühe» und mir alles weh tut. Trotzdem greife ich zum Laptop. Ich kann nicht mal genau sagen, warum. Vielleicht auch aus Gewohnheit. Ich erledige immer alles so schnell wie möglich, weil es die einzige Möglichkeit ist, in einem Meer aus verschiedenen Aufträgen und einer Familie nicht im Chaos zu versinken. Wobei mir schon klar ist, dass ich mir den Druck selbst mache.

Druck ist der Grund, den die meisten Leute für den sogenannten Präsentismus angeben. Eine aktuelle deutsche Studie besagt, dass jede und jeder Zweite trotz Krankheit arbeitet. Gerade mal 17 Prozent hüten immer konsequent das Bett, wenn sie krank sind. Die Gründe reichen vom Druck, alles machen zu müssen, da man keine Vertretung hat, bis hin zur Angst, wegen Abwesenheit den Job zu verlieren. In den USA ist das Phänomen schon lange bekannt. Laut diversen amerikanischen Studien sind die Kosten, die es verursacht, mindestens so hoch wie die Kosten von Fehlzeiten der Arbeitnehmenden wegen Krankheit.

«Dieser ständige Produktivitätsdrang, und nicht mal mehr abschalten können, wenns einem mies geht, kann auf die Dauer nicht gut sein.»

Man muss kein Genie sein, um selbst draufzukommen, warum. Erstens, wer tatsächlich krank an seinem Arbeitsplatz auftaucht, steckt andere an. Zweitens, wer – auch im Homeoffice – hustend und fiebrig arbeitet, kuriert sich nicht richtig aus, verschleppt die Dinge, und ist im besten Fall länger krank, als er oder sie sonst wäre. Und landet im schlimmsten mit einem ausgewachsenen Infekt im Spital, wie kürzlich eine Freundin von mir.

Klar, ein paar Mails beantworten wird mich jetzt nicht kränker als krank machen. Aber dass so viele Menschen das Gefühl haben, arbeiten zu müssen, wenn sie krank sind, sollte einem schon zu denken geben. Dieser ständige Produktivitätsdrang, und nicht mal mehr abschalten können, wenn es einem mies geht, kann auf die Dauer nicht gut sein. Nächstes Mal, wenn ich krank bin, werde ich also schlafen, schlafen und nochmal schlafen. Ich freu mich ja fast ein bisschen drauf.

Was ist mit euch, arbeitet ihr auch, wenn ihr krank seid? Warum? Warum nicht? Teilt eure Meinungen und Erfahrungen in den Kommentarspalten.

Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker
bild: Lucia Hunziker

Über die Autorin:

Sandra Casalini schreibt über mehr oder weniger alle und alles, was ihr über den Weg läuft – immer gnadenlos ehrlich und mit viel Selbstironie. Genau so geht sie auch den Blog «Rund um Gsund» an, der ab sofort alle zwei Wochen auf watson erscheinen wird. Bei dem Thema Gesundheit verhält es sich bei Sandra gleich wie mit der Kindererziehung: Sie ist keine Expertin, aber kommt mit beidem irgendwie klar. Manchmal mit Hilfe, manchmal ohne.

Casalinis Texte erscheinen regelmässig im Elternmagazin «Fritz und Fränzi» und der «Schweizer Illustrierten». Bei der SI gewährt sie zudem wöchentlich Einblick in ihr Leben mit pubertierenden Kids im Blog «Der ganz normale Wahnsinn».

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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MarGo
10.02.2023 09:16registriert Juni 2015
2/2
... als ich ihm geschrieben habe, "Morgen komme ich wieder" meinte er, "dann komm übermorgen und lass dir Zeit"... einfach diese kleinen Dinge. Das Wegfallen dieses unsäglichen Drucks, ist mehr wert, als alles Geld der Welt.
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Zeit_Genosse
10.02.2023 09:47registriert Februar 2014
Als Führungskraft achte ich darauf, dass Krank auch Krank heisst und Rekonvaleszenz die Massnahme ist. Nun ist Präsentismus nich immer erkennbar. Manchmal ist es nicht nur der Druck der Arbeit, sondern man möchte sein Team mit seinem Kranksein nicht im Stich lassen. Über solche Dinge muss man offen sprechen.
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Geralt von Riva
10.02.2023 09:36registriert Mai 2021
Sobald ich aus dem Büro raus bin denke ich fast nie an die Arbeit. Musste das aber auch zuerst lernen. Somit nein wen ich krank bin, bin ich krank und die Arbeit kann mir gestohlen bleiben. Die kommen auch ein paar Tage ohne mich aus.
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