Er freue sich sehr auf unser Treffen, schreibt mir Michi ein paar Tage, bevor es soweit ist. Mir geht's genau gleich: Michi hat es mir angetan. Michi ist der total heisse Cousin von Sophie. Dass mir meine beste Freundin seine Existenz bis anhin verheimlichte, nehme ich ihr übel.
Zum Glück aber feierte die Gute neulich ihren Geburtstag in der grossen Runde. Familie inklusive. Hier kommt Super-Michi ins Spiel. Wir sind so miteinander beschäftigt (mit reden, Freunde!), dass wir es fast verpassen, Sophie um Mitternacht zu gratulieren.
Weil er nicht gerade um die Ecke wohnt, verabschiedet sich Michi relativ früh. Zehn Minuten nach dem Tschüss erreicht mich seine erste Nachricht: «Wohlwissend, dass man sich nicht am gleichen Abend melden sollte, setze ich ganz auf ‹Fuck the System› und sage: Wunderbare Emma, schön, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Sie sollten sich bald wieder kreuzen. Nächste Woche Donnerstag?»
Ich bin flying high. Bald sind Sophie und ich nicht nur BFFs, nein, wir werden Verwandte sein. Oder so.
Ich freue mich darüber etwas mehr als sie. Warum sie etwas verhalten ist, weiss ich zu dieser Zeit noch nicht.
Ich antworte Michi. Michi antwortet mir. Ich kontere, Michi reagiert. So geht das tage- und nächtelang, bis wir uns eben am Donnerstagabend treffen.
Am Mittwoch vor dem Date sind Michis Nachrichten plötzlich kürzer und die Abstände dazwischen länger. Vielleicht schwindet das Interesse, ist ein Seich, kann aber mal passieren. Ich frage.
Er dementiert im Eiltempo. Die Misere sei eine andere. Er sei attackiert worden. Von Millionen von Bazillen, Bakterien, Viren. Es gehe ihm sehr schlecht. Schnupfen, Halsweh, Dröhnkopf. Ganz ganz ganz schlimm.
Ich rate zu Ingwertee mit Honig und Zitrone und biete an, das Date zu verschieben, falls die angriffslustigen Bazillen morgen immer noch wüten. Das will Michi aber auf keinen Fall. Von mir aus können wir jetzt also wieder zurück in den Flirtmodus wechseln.
Bloss: Mission Impossible. Der Mann leidet. Und leidet. Und leidet.
Der nächste Tag soll unser grosser Tag sein. Das Wiedersehen. Ohne Sophie, Sophies Sippe und sonstige Anhänge. Nur er und ich.
Wo wir uns treffen wollen, fragt er. Ich solle entscheiden. Er sei immer noch sehr angeschlagen und kann nicht nachdenken. Ich biete noch einmal an, das Treffen zu verschieben. Will er nicht. Er weiss ja nicht, wie lange er noch lebt.
Hmmm.
Ich bestelle Michi in eine Bar. Ich bin vor ihm da. Seine zehn Minuten Verspätung schiebt er – logisch – auf seinen Gesundheitszustand. Er musste eben noch zum Arzt. Er hat jetzt Ibuprofen und Hustentröpfli bekommen. Nur Husten tut er quasi fast nicht und auch Michis Nase ist weder rot, noch läuft sie.
Ich bestelle einen Gin Tonic. Er einen Ginger Tea.
Ich packe meine Zigis auf den Tisch, er vier Päckli Taschentücher. Um den Hals hat er einen fetten Schal gewickelt. «Haben die hier was zu essen?», fragt er. Weil: «Ich muss das Ibuprofen nach dem Znacht einwerfen.»
Zum ersten Mal wird mir eventuell ein bisschen klar, warum Sophie in Sachen «Michi und mir» nicht ganz so Feuer und Flamme war wie Michi und ich.
Ich versuch's mit einem Männergrippe-Spruch. Kommt ganz schlecht an. Ich würde ja keine Ahnung haben, wie schlecht es ihm geht und wie viel Kraft es ihn gekostet hat, hierher zu kommen. Er wisse nicht, wann er das letzte Mal so krank war.
Also, Themenwechsel. Job, Serien, letzte Dates und so weiter. Er würde sehr gerne erzählen, mag aber nicht. Ich solle doch reden. Also rede ich. Michi aber kommt nicht zum Zuhören. Zu fest ist er mit Nase putzen und hüsteln beschäftigt.
Noch grösser als Michis Nastüechli-Verschleiss ist das Tempo, mit dem seine ganze Sexyness schwindet.
Wir haben gerade mal den Gin Tonic und Tee getrunken, als er den Kopf auf den Tisch legt. Die Müdigkeit, der Kopf, der Hals, die Ohren, das Elend. Er kann einfach nicht mehr. Es tue ihm sehr leid. Er müsse unbedingt ins Bett, um sich auszukurieren.
Ist mir recht. Sehr recht.
Ich will auch ins Bett. Ich will aber nicht alleine ins Bett. Also lege ich mich in Suff-SMS-Sandros Bett.
Von Michi höre ich nie wieder was. Und hoffe auch jetzt, keine schlafenden Hunde zu wecken.
Oder, um es in Sophies Worten zu sagen: «Schau, wenn ich dir nichts von meinem Cousin erzähle, obwohl ich genau weiss, dass du ihn heiss finden würdest, hat das Gründe. Dass er vor einem Jahr die Ambulanz rief, nachdem er sich den Fuss verknackst hat oder sich bei der kleinsten Erkältung von seinem Mami nach Hause holen lässt, sind nur zwei davon.»
Ok. Wieder was gelernt.
PS: I love you, Sophie.
Adieu,
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch