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Darf man Kindern Gesundheit aufzwingen? Oder muss man sogar?

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Rund um Gsund

Darf man Kindern Gesundheit aufzwingen? Oder muss man sogar?

Kürzlich ist mir das Buch «Gesund genug» der Schweizer Autorin Ursula Fricker in die Hände gekommen. Sie beschreibt darin ihre Kindheit mit ihrem gesundheitsbesessenen Vater. Beim Lesen stellte sich wohl nicht nur mir die Frage: Wie weit darf man seine eigenen Gesundheits-Mantras seinen Kindern aufdrücken?
24.02.2023, 08:5024.02.2023, 13:24
Sandra Casalini
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Ironischerweise starb Ursula Frickers Vater ausgerechnet an Darmkrebs. An seinem Sterbebett blickt sie auf ihre Kindheit in einer Familie zurück, die sie als eine Art «Vier-Personen-Sekte» beschreibt. Abgesehen vom krankhaft gesunden Essen war den Kindern zum Beispiel der Schwimmunterricht verboten, wegen des Chlors im Wasser.

Wochenlang Spaghetti ohne Sauce?

Total übertrieben, keine Frage. Aber als Eltern ist man für die Gesundheit seiner Kinder verantwortlich – und die Frage danach, ob es richtig ist, total konsequent die eigenen Massstäbe anzuwenden, finde ich eine sehr schwierige. Ganz am Anfang gibts ja noch sowas wie Leitlinien, zumindest, was das Essen angeht: Vier Monate lang ausschliesslich Muttermilch, Kuhmilch nicht vor dem ersten Geburtstag, Gemüse- vor Früchtebrei, möglichst wenig Zucker.

Danach wirds kompliziert. Als meine Kinder jünger waren, hatte ich total gängige Eltern-Vorstellungen im Kopf, die ich gar nie hinterfragt habe. Zum Beispiel, dass Kinder möglichst viel Gemüse und möglichst wenig Zucker essen sollten. So gabs bei uns die Regel, dass Dessert nur bekommt, wer das Gemüse aufisst. Im Nachhinein bin ich kein grosser Fan mehr von dieser – weil so das Gemüse einen negativen Touch bekam. Aber man kann das Kind ja auch nicht einfach wochenlang Spaghetti ohne Sauce essen lassen. Oder doch?

«Im Primarschulalter haute mein Sohn sein gesamtes Taschengeld für Süssigkeiten raus. Sollte ich ihm das verbieten? Durfte ich ihm das verbieten? Musste ich ihm das verbieten?»

Ein befreundetes Paar von mir mit zwei Kindern im Primarschulalter ernährt sich vegan. Dass zu Hause keine tierischen Produkte konsumiert werden, ist sowohl für sie als auch für ihre Kinder normal. Einmal pro Woche essen die beiden Kids im Hort, wo sie auch Fleisch bekommen. Und wenn auswärts gegessen wird, darfs für sie auch mal ein Burger sein. Dies scheint mir recht vernünftig – im Gegenteil zu der mir unbekannten Mutter, die ich mal an einer Geburtstagsparty beobachtet habe, wie sie ihrem Sohn hastig eine Handvoll Gummibärchen reinstopfte und flüsterte «Aber nichts dem Papi sagen» (ob er die Dinger wegen des Zuckergehalts oder der tierischen Fette nicht essen durfte, und letztere aus gesundheitstechnischen, ideologischen oder religiösen Gründen, weiss ich nicht).

Je älter die Kinder werden, desto komplizierter wirds. Im Primarschulalter haute mein Sohn sein gesamtes Taschengeld für Süssigkeiten raus. Sollte ich ihm das verbieten? Durfte ich ihm das verbieten? Musste ich ihm das verbieten? Ich habe bis heute keine Antwort drauf – ausser, dass ihm dieser Zuckerkonsum im Nachhinein gesehen nicht geschadet hat.

Was taugt die Vorbildfunktion?

Das Wichtigste, da sind sich Expertinnen und Experten einig, ist ja eh die Vorbildfunktion. Wobei ich auch daran meine Zweifel habe. Mein Vater war starker Raucher, meine Mutter Gelegenheitsraucherin. Ich habe nie eine Zigarette angefasst, weil ich dieses Gequalme als Kind so unfassbar gruusig fand. Mein Bruder raucht, seit er 15 ist. Wir hatten beide die gleichen Vorbilder.

Meine Kinder sahen und sehen mich kaum je Süsses konsumieren – aus dem einfachen Grund, dass ich es nicht besonders mag. Deshalb gabs bei uns zu Hause auch höchstens mal ein Glacé oder ein Stück Schoggi, weil wir gar nicht viel anderes im Haus hatten. Süssgetränke gabs nur auswärts (auch dies nur bedingt aus erzieherischen Massnahmen, sondern auch, weil ich sie nicht mag). Manchmal frage ich mich, ob sie heute – sie sind 18 und 16 Jahre alt – nicht ganz so viel Süsskram und Cola in ihren Zimmern horten würden, hätte es früher mehr davon gegeben.

Nur noch gut gemeinte Ratschläge

Jedenfalls hat sich die Frage danach, wie sehr ich ihnen in Gesundheitsfragen noch reinreden darf, in ihrem Alter erledigt. Die Antwort ist: gar nicht. Wenn sie zu Hause essen, wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Ansonsten muss ich mich mit gut gemeinten Ratschlägen begnügen, die meist eh nur ein Augenrollen ernten: «Es würde nicht schaden, wenn du mal vor Mitternacht ins Bett gehst.» – «Man kann ja auch mal zu Fuss irgendwohin.» – «Meinst du nicht, dass ein Glacé zum Dessert reicht?» Und darauf hoffen, dass sie irgendwann kommen und sagen: «Du hattest ja SO recht, Mama!»

Wie seht ihr das? Wie viel gesundes Verhalten darf man Kindern aufzwingen? Oder muss man es sogar? Ich bin gespannt auf eure Meinungen in den Kommentarspalten.

Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker
bild: Lucia Hunziker

Über die Autorin:

Sandra Casalini schreibt über mehr oder weniger alle und alles, was ihr über den Weg läuft – immer gnadenlos ehrlich und mit viel Selbstironie. Genau so geht sie auch den Blog «Rund um Gsund» an, der ab sofort alle zwei Wochen auf watson erscheinen wird. Bei dem Thema Gesundheit verhält es sich bei Sandra gleich wie mit der Kindererziehung: Sie ist keine Expertin, aber kommt mit beidem irgendwie klar. Manchmal mit Hilfe, manchmal ohne.

Casalinis Texte erscheinen regelmässig im Elternmagazin «Fritz und Fränzi» und der «Schweizer Illustrierten». Bei der SI gewährt sie zudem wöchentlich Einblick in ihr Leben mit pubertierenden Kids im Blog «Der ganz normale Wahnsinn».

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69 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mama Jo
24.02.2023 11:56registriert November 2022
Ich habe einen Sohn, der seit Jahren die immerselben Speisen auf dieselbe Art zubereitet isst. Weil ich ihn dazu ermuntern wollte auch anderes zu probieren, gab es immer wieder Stress. Auch mein Umfeld meinte, mein Sohn esse komisch, zuwenig abwechslungsreich, was mich noch mehr stresste. Heute weiss ich, dass er Autist ist. Ich stresse ihn nicht mehr. Schaue, dass er auf die Dauer von allen wichtigen Nährstoffen etwas zu sich nimmt. Wenn er von Früchten nur Äpfel und Trauben mag, dann gibts halt immer Äpfel und Trauben. Und wir haben es nun friedlich und gemütlich am am Esstisch.
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Pi ist genau Drei!
24.02.2023 12:29registriert Februar 2017
Ich folge da ein paar einfachen Grundregeln:
-Ich lass die Kinder beim Kochen mit anpacken wo sie es können
-Es gibt keine Verbote, alles Kindergerechte ist erlaubt aber es gibt ein Mass und eine Zeit dafür
-Ich übertrage mein Essverhalten nicht auf die Kinder (Bin Veggie, Kinder dürfen aber Fleisch essen)

Von Verboten halte ich nichts da ich Glaube, dass sie langfristig eher das Gegenteil und schlimmstenfalls sogar ein gestörtes Verhalten zu gewissen Nahrungsmittelgruppen bewirken.
Disclaimer: Meine Kinder sind jedoch noch in einem unkomplzierten Alter :-)
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SKYEyes
24.02.2023 11:36registriert November 2022
Beste Methode ever: Wenn sich die Eltern ums Gemüse streiten, wer mehr haben darf. Dann wollen die Kinder plötzlich auch davon.
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