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Review

Review Mother!: Aronofskys Film mit Jennifer Lawrence lässt uns alle durchdrehen

Ich war «Mother!» gucken und nach zwei Stunden mit den Nerven am Ende

bild: paramount pictures
Schöpfung und Niedergang wird in «Mother!» in einen Mantel aus Horror gepackt und in einer alten spukhaften Villa erzählt. Das macht den Film aber nicht zu einem klassischen Horror-Film, sondern verordnet ihn mehr in die Kategorie «Was zum Teufel habe ich da eigentlich geschaut?».
13.09.2017, 17:3314.11.2017, 13:46

Als wäre das Wort nicht schon genug bedeutungsschwanger, setzt Regisseur Aronofsky noch ein Ausrufezeichen dahinter. Wir verstehen: «Mother!» – mit Ausrufezeichen – soll also melodramatisch werden. Mother mit Ausrufezeichen kann man nämlich auch auf ganz viele verschiedene Arten aussprechen. Oder schreien: Verzweifelt, verärgert, reuig. Sie ist schliesslich Ursprung des Lebens und deshalb verantwortlich für beides: Freude und Leid.

Das tönt jetzt alles ein bisschen geschwollen und hochgekocht. Für Aronofsky-Filme ist das aber nicht unpassend. Er bemüht sich schliesslich Kino mit Ausrufezeichen zu machen. Und weil ein Ausrufezeichen heutzutage schnell mal als Übertreibungen wahrgenommen wird, muss der 48-Jährige New Yorker dick auftragen. Das merkte man schon bei seinem Kassenschlager «Black Swan», bei dem er durch geschickte Symbolik die zerrissene Psyche einer Balletttänzerin skizzierte. In «Mother!» solle es laut ihm aber nicht um das kleine Einzelleid, sondern um die grossen Probleme gehen. Namentlich um Armut, Hunger, Ungerechtigkeit, Gier und so weiter – was meiner Meinung nach auch wieder eine ungemeine Übertreibung ist.    

Doch das macht den Film nicht schlecht, sondern zu dem was er ist: Eine sich langsam aufbauende Allegorie, die sich bis zum geht nicht mehr verzettelt und am Schluss zu einer pervers-absurden Sintflut mutiert, in die man grundsätzlich alles hinein interpretieren kann. Also Horror – im wahrsten Sinne des Wortes. 

Gedreht wurde fast ausschliesslich auf 16-Millimeter-Film, was den Bildern eine rohe Körnigkeit und somit einen naturalistischen Touch verleiht. bild: paramount pictures

Doch anfangen tut das alles noch ganz harmlos. Mit einem kinderlosen Ehepaar, das sehr abgelegen auf dem Land wohnt. 

Er (Javier Bardem) viel älter als sie, Sugar-Daddy-Flair, Schriftsteller mit Schreibblockade, Egozentriker. Und sie (Jennifer Lawrence), fast noch ein Kind, bildschön und total damit beschäftigt, ihm seinen Freiraum zu lassen, unterwürfig zu sein, das Haus zu renovieren. Sein Haus zu renovieren. Eine abgelegene, niedergebrannte Villa im viktorianischen Stil. Ohne Zufahrtsstrasse und ohne Aussenwelt, könnte man fast meinen. Bis eines Abends aus heiterem Himmel ein kauziger Mann (Ed Harris) an die Tür klopft: «Huch, ich dachte das sei ein ‹Bed & Breakfast›! Kann ich trotzdem bleiben?» – «Klar!», sagt der Schriftsteller gegen den protestierenden Gesichtsausdruck seiner Frau. Namen gibt es im Film keine.

Der Schriftsteller lässt seinen neuen Gast in der frisch und aufwändig restaurierten Villa rauchen und säuft mit ihm, bis der Alte kotzt. Am nächsten Morgen steht die Ehefrau des Fremden (Michelle Pfeiffer) vor der Tür. Der Alte hat sie eingeladen. Und bald stellt sich heraus, dass die neuen Gäste gewaltige Fans des Literaten sind. Sie dürfen deshalb bleiben, solange sie wollen. Ihm gefällt es schliesslich, bewundert zu werden.

Die Gattin des Schriftstellers, also Jennifer Lawrences Charakter, fühlt sich indes hintergangen. Denn die neuen Mitbewohner sind alles andere als subtil. Sie sind flegelhaft. Stören sie bei ihrer wichtigsten Tätigkeit: dem Instandsetzen der einst verbrannten Villa ihres Mannes. Dieser hingegen freut sich über den neuen Schwung im Leben, der ihn davon ablenkt, dass er momentan eigentlich zu nichts fähig ist.

Zum Haus fühlt die Gattin des Schriftstellers eine Verbindung. Sie hört seinen Herzschlag, bekommt aber auch regelmässig Panikattacken deswegen. bild: Paramount Pictures

Sobald dann auch noch die Söhne der unverhofften Gäste in Lawrences Zauberhaus aufkreuzen und sich übel an die Gurgel gehen, wird klar: Hier geht's um mehr als eine unausgewogene Beziehung. Hier geht's um Brudermord, um Religion und deren Folge. Um Fanatismus und den Irrsinn der Menschheit. Um Schöpfung und Niedergang. 

Und all dies wird auf den Schultern von Jennifer Lawrence ausgetragen, der Mutter des Hauses. Diese bricht zusammen, nachdem ein gewaltiger Mob (alles Gäste ihres Mannes) das Haus verwüstet, trotz ihrer Warnung alles, was ihr lieb ist, mit Füssen tritt und eine Polizei-Schlacht anzettelt. Sie dreht völlig durch.

«WHAT THE FUCK!» 
Das hab ich mir auch gedacht. Ständig

«Mother!» ist ein Film, der permanent abgöttisch nervt. Aronofsky packt jegliche Emotionen, die negativ verstanden werden können in sein Werk hinein. An manchen Stellen gehört der Film zur Sorte «Verdammt-nochmal-geh-doch-nicht-schon-wieder-in-den-Keller-du-dumme-Kuh». Aber diesen Charakter verliert er schnell, denn er verarscht sein Publikum hundert mal auf die selbe Art: Baut Spannung auf, lässt den Zuschauer fallen und entsendet dann eine Szene nach der anderen in die Nebensächlichkeit. Bis sich all diese verdrängten Geschehnisse zu einer Schlusssequenz aufbauschen, die an einen apokalyptischen Mini-Epos mit einer tief verborgenen spirituellen Botschaft erinnert. Ein bisschen wie ein in Bewegung gesetztes Bild von Hieronymus Bosch.

Hieronymus Bosch, Christus im Limbus. bild: wiki commons

Eine Liste von Vergleichen und Vermutungen, worauf nun in diesem überladenen Spielfilm auf welche Weise angespielt wird, könnte ewig lang werden. Ist es eine Kritik am Patriarchat? Soll der durchaus geniale, intellektuelle Schriftsteller, die Männerwelt charakterisieren, während die Kamera, die konsequent Jennifer Lawrences Blicken folgt, die weibliche Sicht der Schöpfungsgeschichte erzählen will? Oder verkörpert «Mother!» einfach nur Mutter Natur, unsere aller Mutter? Das Haus die Erde und der Schriftsteller Gott? Steht der Mob für die Flüchtlingswelle? Oder doch für den dekadenten Westen?

Man kann es nicht genau sagen. Was aber klar ist: «Mother!» ist Horror, aber kein typischer Horror-Film. Versteht man ihn als solchen, wirkt er lächerlich. Schaut man «Mother!» hingegen als Komödie, verputzt man schier ab seiner brutal grotesken Art. Und wenn man ihn als das hinnimmt, was er eigentlich auch ist – ein krankes Gefühlschaos, das dich zum Ausflippen bringen soll – tut der Film genau dies in vorbildlichster Manier.

Hier kannst du den Trailer gucken:

Video: paramount pictures

«Mother!» läuft ab Donnerstag, dem 14. September in den Schweizer Kinos.

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Picker
13.09.2017 19:39registriert Januar 2016
Werde mir den Film eher nicht anschauen, aber Kompliment an die Rezension, sehr gut be/geschrieben!
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Nausicaä
13.09.2017 18:10registriert Juli 2016
Mein Lieblingsgenre (komplexer Horror) Lawrence und Bardem und dann noch mit Aronofsky einer meiner Lieblingsregisseure. Kann es eigentlich noch besser werden?
Auf jeden Fall bin ich nach dieser Rezension noch gespannter...
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Liebi. Sooo viel Liebi in Werbungen der Siebzigerjahre
Eine Frau, ein Mann – und beide schauen sich liebevoll an. Das reimt sich nicht nur, sondern ist auch noch die perfekte grafische Formel, die schon unzählige Male in der Werbung verwendet wurde. Und nie mehr als in der Bildsprache der Siebzigerjahre: The Look of Love – der Blick der Liebe.
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