Um den Vierfachmord von Rupperswil aufzuklären, stand das grösste Ermittlerteam in der Kriminalgeschichte des Kantons Aargau im Einsatz. Neben eigenen Spezialisten hatte die Kantonspolizei auch Profiler aus Deutschland und der Schweiz beigezogen. Die Nordwestschweiz weiss: Rasch kamen die Profiler aufgrund der am Tatort gewonnenen Erkenntnisse zu folgenden Schlüssen: Der Täter ist ein Mann, er ist zwischen 15 und 35 Jahre alt, stammt aus dem nahen oder näheren Umfeld der Opfer, er ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Einzeltäter – und Geld war nicht das Tatmotiv.
Bereits im Februar, als die Behörden an einer Medienkonferenz einen grossen Fahndungsaufruf lancierten und eine Belohnung von 100 000 Franken für Hinweise aussetzten, wussten Polizei und Staatsanwaltschaft dies alles. Aber weil es bei der Erstellung der Täterprofile nur Wahrscheinlichkeit und keine Sicherheit gibt, wurde weiter in allen Richtungen ermittelt; Schwerpunkt aber blieb das obige Profil. Fiona Strebel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, sagt auf Anfrage: «Dazu geben wir aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft.» Auch die Frage, weshalb die Polizei in Rupperswil keinen Massen-DNA-Test durchführte, wie dies nach einer Vergewaltigung in Emmen im Dezember 2015 passierte, lässt Strebel unbeantwortet.
So führte erst die «aufwendige, langwierige Kleinarbeit» des Ermittlerteams zur Verhaftung von Thomas N., wie Kriminalpolizei-Chef Markus Gisin am vergangenen Freitag an der Medienkonferenz sagte. Die fallführende Staatsanwältin Barbara Loppacher sagte, dass Thomas N. nach 72-stündiger Vorbereitung bei einer gross angelegten Polizeiaktion in der Region Aarau verhaftet worden sei. Die Festnahme sei «im öffentlichen Raum» erfolgt, sagte Kripo-Chef Gisin vor den Medien. Auf Nachfrage sagte der Kripo-Chef, der Mörder habe sich nicht gegen seine Verhaftung gewehrt – Details des Zugriffs waren bisher nicht bekannt.
Nun verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Verhaftung bei der Starbucks-Filiale in Aarau erfolgte. Ein Zeuge erzählte dem «Blick», dass dort acht Polizisten in Zivil am Donnerstag einen Mann festgenommen hätten. Die «Nordwestschweiz» weiss von einer Augenzeugin, die Thomas N. dort erkannt hat. Der 33-jährige Student und Fussballjuniorentrainer trank in der Starbucks-Filiale, wo er Stammgast war, einen Kaffee. Die Polizisten sassen minutenlang neben ihm. Nachdem er ausgetrunken hatte, legten sie Thomas N. die Handschellen an. Die Staatsanwaltschaft will die neuen Details zur Verhaftung des Vierfachmörders nicht bestätigen. Sprecherin Fiona Strebel: «Wir haben an der Medienkonferenz gesagt, dass der Beschuldigte im öffentlichen Raum festgenommen wurde, mehr sagen wir dazu nicht.»
Inzwischen sitzt Thomas N. in einer Einzelzelle im Zentralgefängnis Lenzburg. Mit der Verhaftung hat die Polizei einen weiteren Mord verhindert. «Wir müssen davon ausgehen, dass der Täter weitere, gleich gelagerte Delikte konkret geplant hatte und diese auch ausgeführt hätte», erklärte Kripo-Chef Markus Gisin an der Medienkonferenz vom Freitag. Zu diesem Schluss kamen die Ermittler, nachdem sie bei einer Hausdurchsuchung einen gepackten Rucksack mit Waffen, Fesselmaterial und Brandbeschleunigern sicherstellten.
Ob Thomas N. die Namen der potenziellen nächsten Opfer der Polizei gestanden hat, ist nicht bekannt. «Aus ermittlungstaktischen Gründen nehmen wir zu dieser Frage keine Stellung», sagt Strebel. Würde die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die betroffenen Personen über die schrecklichen Absichten des Mörders aufklären oder würde sie dies wegen der Gefahr einer Traumatisierung unterlassen? «Sie würden sie auf jeden Fall informieren», erklärt der ehemalige Kriminalkommissar Markus Melzl.
Auch wenn man den Betroffenen mit dieser schrecklichen Nachricht schlaflose Nächte bereiten würde, sei diese Massnahme wichtig für die Urteilsfindung. «Im Gespräch mit diesen Personen könnten die Ermittler herausfinden, wieso der Mörder genau auf sie gekommen ist.» Solche Informationen würden auch in die Erstellung des psychiatrischen Gutachtens fliessen, mit dem schliesslich die Frage geklärt wird, ob der Mörder lebenslänglich verwahrt wird.
Was heisst eine weitere geplante Mordtat für das Strafmass? «Die Vorbereitung strafbarer Handlungen ist gesetzlich verboten und wird sich klar zu Ungunsten des Täters auswirken», sagt Daniel Jositsch, Rechtswissenschafter und SP-Ständerat. Trotzdem ist der Strafrechts-Experte überzeugt, dass die Planung weiterer Taten im vorliegenden Fall nicht entscheidend sei. «Alleine für die vierfache Tötung dürfte der Täter im allerhöchsten Masse bestraft werden – ihm blüht unter Umständen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe mit anschliessender Sicherheitsverwahrung.»