Nach einer halben Stunde verliert SRF-Moderator Jonas Projer kurz die Fassung. Gerade hat sein Studiogast OIivier Kessler behauptet, selbstverständlich dürften Fernsehsender auch nach der Abschaffung der Billag weiterhin Gebühren erheben. «Ist das gerade aus dem Mund jenes Mannes gekommen, der als Mitinitiant der No-Billag-Initiative in der Verfassung festhalten will, dass der Bund keine Empfangsgebühren vergeben darf?», müssen sich Projer und wohl auch manch ein Zuschauer gefragt haben.
Projer will das klären. Eilig stellt er sich neben Kessler. «Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie wissen, was in der Verfassung stehen wird, wenn die No Billag durchkommt», sagt er ihm. Er zitiert aus dem Initiativtext: «Der Bund darf keine Empfangsgebühren erheben.» Etwas beleidigt sagt Kessler, er wisse natürlich, was in der Verfassung stehen würde. Aber es gebe eben einen Unterschied zwischen dem Begriff «Gebühren» und «Zwangsgebühren».
In der No-Billag-«Arena» rauchen am Freitagabend die Köpfe. Schützenhilfe erhält Kessler von SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Auch er ist für die Abschaffung der «Zwangsgebühren». Auf der Gegenseite stehen Doris Leuthard und FDP-Ständerat Joachim Eder.
Er mag irritieren, doch eines muss man ihm lassen, dem Kessler; an Selbstvertrauen mangelt es ihm nicht. An Bundesrätin Leuthard gerichtet, fragt er: «Was haben Sie für ein Menschenbild?» Ob sie die Schweizer als mündige Bürger oder als zu erziehende Kinder sehe, will er von ihr wissen. Denn Kessler findet es nicht richtig, dass er gezwungen wird, Rundfunkgebühren für Sendungen zu bezahlen, die er weder im Radio hören noch im Fernsehen schauen will.
Die Provokation misslingt. Leuthard hat keine Lust, sich auf sein Spiel einzulassen. Wie eine geduldige Lehrerin zum trotzigen Schüler erklärt sie ihm, dass eine Demokratie nach solchen Vorstellungen nicht funktioniere.
FDP-Ständerat Joachim Eder mischt sich ein. «Herr Kessler, Sie sind es, der ein seltsames Menschenbild hat.» Bezahlte jeder nur das, was er konsumiere, würde sich die Menschheit gesellschaftspolitisch in eine sehr schwierige Lage manövrieren. «Es gibt Alleinstehende ohne Kinder, die Schulen mitfinanzieren. Es gibt Gesunde, die Kranke subventionieren», so Eder.
Doch Kessler sieht nicht ein, warum er für etwas bezahlen soll, das er nicht bestellt hat. Schliesslich gehe er auch nicht in ein Restaurant, bestelle das beste Stück Fleisch und den teuersten Wein und fordere dann seinen Tischnachbarn auf, etwas an seine Rechnung zu bezahlen.
Für Bundesrätin Leuthard ist die Streichung der Gebühren das eine. Das andere ist, dass mit der No-Billag-Initiative zudem der Artikel 93 aus der Verfassung gestrichen würde. Dieser sichert die Unabhängigkeit, die Neutralität und die Ausgewogenheit der Medien. «Das ist in einer Demokratie enorm wichtig», sagt Leuthard. Dass dieser Artikel gestrichen werden soll, findet sie bedenklich.
Zu Kessler gerichtet, sagt Projer, er habe zuletzt dementiert, dass die Initiative vorsehe, den Artikel aus der Verfassung zu streichen. «Stimmt nicht», sagt Kessler. Das habe er nie gesagt. Doch Projer scheint sich seiner Sache sicher. Kessler habe in der No-Billag-«Arena» vom letzten November zuerst gesagt, dass der Artikel 93 abgeschafft werde, danach habe er relativiert und zuletzt habe er gesagt, der Artikel werde nicht gestrichen.
Wer hat Recht?
Nach ein paar Klicks im Netz ist die entsprechende Sequenz von November gefunden. Mehrmals hakt dort Projer bei Kessler nach und fragt, ob der Verfassungsartikel nun gestrichen würde. Und tatsächlich: Zuletzt, die Kamera schwenkt schon weg, hört man Kessler kurz und knapp antworten: «Nein.»
Ein drittes Mal geraten sich Projer und Kessler in die Haare, als Letzterer in den Prüfstand geholt wird. Dort wird ihm vorgeworfen, er habe seine eigene Initiative verraten. Denn in dem Plan B, den sein Team präsentiert habe, werde in einem Szenario vorgesehen, dass die SRG weiterhin zwischen 50 und 300 Millionen Franken von Kanton und Bund erhalten soll. Das widerspreche dem eigenen Initiativtext.
Es sind harte Bandagen, gegen die Kessler an diesem Abend kämpfen muss. Doch einen vermeintlichen Trumpf hat er noch im Ärmel. Und den will er jetzt ausspielen. Bedeutungsvoll wedelt er mit zwei Zehnernoten in der Luft. «1,3 Milliarden Zwangsgebühren erhält die SRG heute», sagt er. «Wissen Sie, wie hoch der Stapel wäre, wenn man 1,3 Milliarden in Zehnernoten aufeinanderlegen würde?»
Leuthard winkt ab, Eder lacht und selbst Rutz sieht aus, als wünschte er sich, die Sendung möge bald enden. Die Kamera schwenkt weg, doch Kessler will seinen Punkt fertig ausführen. «Der Stapel wäre 13 Kilometer hoch. 13 Kilometer!» Doch irgendwie mag ihm niemand mehr richtig zuhören.