Georg M. sitzt vornübergebeugt auf dem Stuhl. Er hat den Kopf in seinen Händen vergraben, schluchzt, als die Staatsanwältin den Tatablauf im Detail durchgeht. Neben M. sitzt Susanne Nielen, Leiterin der Opferhilfe Aargau-Solothurn. Sie legt dem Partner der getöteten Carla S. die Hand auf die Schulter, flüstert ihm etwas zu. M. trocknet seine Tränen mit einem Papiertaschentuch.
Später im Gespräch sagt Nielen, es gehe darum, «einfach da zu sein», sich als Gesprächspartnerin anzubieten. «Die Emotionen anzusprechen und auszuhalten.» Es gehe aber auch darum, ein Opfer nicht blosszustellen. «Einige wollen ihre Ruhe haben, andere in den Arm genommen werden.» Die Konfrontation mit dem Täter sei sehr schwierig – besonders hier, wo sich Thomas N. «vollkommen empathielos» zeige.
Opferanwalt Markus Leimbacher macht in seinem Plädoyer klar, wie sich der Vierfachmord ausgewirkt hat. Über die Eltern von Carla S. sagt er: «Auch wenn sie physisch am Leben sind – psychisch sind sie gestorben.» Der Vater sei schwerst depressiv und suizidal. Die Mutter breche in Tränen aus, wenn er, Leimbacher, sie begrüsse. Sie könne den Haushalt nicht mehr ohne Hilfe führen. Die Enkel seien ihr ganzer Stolz gewesen.
Im Wohnwagen zwischen Murten- und Neuenburgersee habe die Familie viel Zeit verbracht. Vor neun Jahren sei Carla bei einem Wintersparziergang zufällig ihrem Jugendfreund begegnet: Georg M.. Es entstand eine Patchworkfamilie, zwei Söhne auf beiden Seiten. «Das musste erst zusammenwachsen.» Auf einer Leinwand sind jetzt Familienfotos eingeblendet.
Diese glückliche Familie sei zerschmettert worden. «Der Beschuldigte hat sie gnadenlos gequält, missbraucht, ohne jegliches Erbarmen. Er hat sie kaltblütig abgeschlachtet.» M. leide immens unter dem Verlust. Darunter, wie die Tat stattgefunden habe, dass er sie nicht habe schützen können. Der Bruder von Carla S., «sie waren ein Herz und eine Seele», sagte: «Der Täter hat nicht nur vier Menschen getötet, sondern das Leben von vielen Menschen genommen. Für immer.»
Opferanwalt Luc Humbel spricht für die Familie F., die ihre Tochter S. verloren hat. «Es fehlt ein Lachen, die aufgestellte Art. Es fehlt, immer das Positive zu sehen. Es fehlen Grimassen auf Fotos», zitiert Humbel. Er beschreibt, wie sich die Mutter atemlos fühle, schlaflos, Druck auf dem Herzen. Der erfahrene Anwalt gerät selber fast aus der Fassung, weint, spricht aber weiter. S.' Schwester sitzt in der ersten Reihe, weint.
Humbel verliest ihre Worte: «Worte reichen nicht aus, um unseren Schmerz zu beschreiben.» Auch der leibliche Vater der beiden Jungen D. und D. S. sowie deren zwei Halbschwestern – sie brachten die Kraft nicht auf, zu kommen – lassen ausrichten, ihre Leben seien «zerstört worden».
Aus prozessualen Gründen dürfen sich Opfervertreter nicht zum Strafmass äussern. Leimbacher sagte stattdessen: «Für die Hinterbliebenen muss mit allen Mitteln sichergestellt werden, dass die Öffentlichkeit vor dem Täter geschützt wird, ein für allemal, für immer.» Auf welchem Weg sei ihnen egal.
Die Angehörigen stellen zwar Schadenersatzforderungen von mehreren zehntausend Franken, doch sie betonen: Viel wichtiger wäre ihnen, zu erfahren, weshalb ihre Liebsten sterben mussten. Kein Geld, kein Brief und keine Strafe könnten die Tat ungeschehen machen, die Getöteten zurückbringen, das Leben wieder lebenswert machen.
In einem Brief schrieb Thomas N. im Sommer 2017: «Die Schuld ist allein in mir zu finden.» Es tue ihm «unendlich leid, was ich Ihrer Familie angetan habe. Ich hoffe, dieser Brief hat Sie nicht zu sehr aufgewühlt.» Opferhelferin Susanne Nielen sagt dazu: «Ein solcher Brief ist immer unerträglich, egal, was drinsteht.» Kein Opfer brauche ein solches Schreiben. Verteidigerin Senn entgegnet, N. hätte «machen können, was er wollte»: Hätte er keinen geschrieben, würde ihm das vorgeworfen.
In seinem letzten Wort sagt N., er bedaure die Tat zutiefst. Es sei ihm schwergefallen, um Entschuldigung zu bitten. Er sei ja nicht in der Position, bitten zu dürfen. «Sie haben aber recht. Es hätte wohl das Wort Entschuldigung vorkommen müssen. Es tut mir leid. Entschuldigung.» Dann zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Das Urteil wird am Freitag um 10 Uhr verkündet.