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Die Pille für die Panne ist leichter zugänglich: Pfeifen wir jetzt alle aufs Kondom?

Auch die Notfallpille «ellaOne», die bis 5 Tage nach dem Sex wirkt, sollte man so schnell wie möglich einnehmen. Das Risiko steigt, je länger man wartet.
Auch die Notfallpille «ellaOne», die bis 5 Tage nach dem Sex wirkt, sollte man so schnell wie möglich einnehmen. Das Risiko steigt, je länger man wartet.
Bild: shutterstock

Die Pille für die Panne ist leichter zugänglich: Pfeifen wir jetzt alle aufs Kondom?

In der Schweiz gibt es zwei «Pillen danach». Das Präparat, das länger wirkt, ist neu auch rezeptfrei erhältlich. Werden Frauen nun leichtsinniger beim Thema Verhütung?
17.02.2016, 05:5517.02.2016, 09:02
Alexandra Fitz / aargauer zeitung
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Es ist ziemlich unangenehm, wenn die Verhütung in die Hose geht. Man rechnet, man zweifelt, man schämt sich. Viele Frauen standen schon vor diesem Problem. Früher gingen sie zum Arzt und liessen sich ein Rezept für die «Pille danach», wie die Notfallverhütung umgangssprachlich genannt wird, verschreiben. Seit 2002 erhalten sie in der Schweiz das Präparat «NorLevo» (enthält Levonorgestrel) rezeptfrei. Das heisst direkt in der Apotheke. Seit 2009 hat der Westschweizer Hersteller HRA Pharma ein zweites Präparat auf dem Markt. «ellaOne» soll noch effektiver sein und wird immer mehr zum Standard.

Neu ist auch diese Pille danach ohne Rezept in Schweizer Apotheken, Spitälern und bei sexuellen Beratungsstellen erhältlich. Swissmedic, das Schweizerische Heilmittelinstitut, folgte einem Urteil der Europäischen Kommission. Diese stützt sich auf einen Bericht der Europäischen Arznei-Mittel Agentur (EMA). Die Begründung: Der unkomplizierte und schnelle Zugang zur Pille danach habe oberste Priorität. Am besten wirke sie wenn sie während der ersten 24 Stunden eingenommen werde und dies problemlos auch ohne ärztliche Verordnung. In der EU gilt diese Regel für «ellaOne» schon seit Anfang letzten Jahres. Swissmedic folgt nun ein Jahr später. Doch für Deutschland etwa ist dies eine weitreichendere Änderung: Dort mussten sich Frauen bis vor einem Jahr die Notfallverhütung noch von einem Arzt verschreiben lassen. Die Bundesregierung hat sich lange gegen die Deregulierung gesträubt. Nun gilt die Freigabe EU-weit.

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Zwei Pillen in der Schweiz

Die Pille danach verzögert oder stoppt die Reifung der Eizelle und verschiebt den Eisprung. Die Spermien sterben unverrichteter Dinge ab. Die Pille danach sollte so schnell wie möglich nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Beide Präparate wirken nach dem Eisprung nicht mehr, es sind also keine Mittel für einen Schwangerschaftsabbruch. Der Unterschied besteht in ihrer Wirkungsdauer. «ellaOne», die 2009 eingeführt wurde, ist bis fünf Tage nach dem Sex wirksam. Die Wirksamkeit nimmt im Verlauf dieser 5 Tage nicht ab. «NorLevo» wirkt bis 3 Tage nach dem Sex. Hier gilt: Je schneller, desto besser, die Wirksamkeit nimmt nach 24 Stunden immer mehr ab. Heute wird vermehrt «ellaOne» verschrieben, doch für Frauen, die stillen oder schweres Asthma haben, eignet sich «die alte» besser.

«Die Pille danach kann eine mögliche Schwangerschaft verhindern, aber Frauen sollten die Geschlechtskrankheiten nicht vergessen»
Brigitte Frey, Frauenklinik Kantonsspital Baselland

Doch welche sich eignet, weiss nun der Apotheker. Christine Sieber von Sexuelle Gesundheit Schweiz hebt vor allem die gute Beratung in der Apotheke hervor, die es so etwa in Deutschland nicht gibt. Hierzulande wird die Frau in einem separaten Raum vom Apotheker beraten. Die Apotheker werden geschult und befragen die Frauen. Empfohlen wird gar, dass die Pille vor den Augen des Apothekers eingenommen wird. Hinzu kommt ein weiterer Punkt. «Die Pille danach kann eine mögliche Schwangerschaft verhindern, aber Frauen sollten die Geschlechtskrankheiten nicht vergessen», sagt Brigitte Frey von der Frauenklinik Kantonsspital Baselland. Und auf diese Problematik machen die Apotheker in den verpflichtenden Gesprächen aufmerksam. Sieber und Frey finden es beide gut, dass «ellaOne» nun barrierefrei in der EU und in der Schweiz erhältlich ist.

Kein Missbrauch zu erwarten

Seit 2009 haben fünf Millionen Frauen in 70 Ländern diese Notfallverhütungspille eingenommen. Diverse Studien bestätigen, dass es regelmässig zu Problemen oder Pannen bei Verhütungsmethoden kommt. Eine Studie des Guttmacher Instituts besagt, dass 44 Prozent aller Schwangerschaften in Europa nach wie vor ungeplant sind. 30 Prozent der Frauen, die 2014 an einer grossen europäischen Umfrage mit über 7000 sexuell aktiven Frauen teilnahmen, gaben an, dass sie in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal ungeschützten Sex hatten, obwohl sie nicht schwanger werden wollten.

«Welche Frau kann es sich leisten, jeden zweiten Tag die Pille danach für rund 40 Franken zu holen?»
Florian John, HRA Pharma

Werden Frauen leichtsinniger, wenn sie wissen, dass sie schnell und einfach an die Notfallpille herankommen? Konkret: Verzichten sie auf die reguläre Verhütung? Florian John von HRA Pharma weist diese Kritik zurück. «Wir verkaufen 100'000 Pillen pro Jahr. Diese Zahl ist in den letzten Jahren konstant und hat sich nach der Aufhebung der Rezeptpflicht von 2002 nicht verändert. »Es gebe Studien, die bestätigen, dass sich das Sexualverhalten durch einen leichteren Zugang zur Notfallpille nicht verändere. John merkt an: «Ausserdem, welche Frau kann es sich leisten, jeden zweiten Tag die Pille danach für rund 40 Franken zu holen?» Sieber von Sexuelle Gesundheit Schweiz appelliert aber vor allem an das Bewusstsein in der Gesellschaft. Frauen sollten die Lage richtig einschätzen, ihre Optionen kennen und nicht lange warten.

Jetzt auf

Laut der Gynäkologin Frey glauben gewisse Leute, dass es eine Tendenz zur Ausnutzung gibt. Beweisen könne man dies bisher nicht. Sie untersuchte nach der Rezeptaufhebung von «NorLevo» ob die Liberalisierung eine Auswirkung hat. Ihr Fazit: Es wurden nicht mehr Pillen abgegeben als die Jahre davor und die neue Regelung sei nicht missbraucht worden.

Frey und auch Sieber verlangen, dass der Preis von «ellaOne» gesenkt wird. Sie ist deutlicher teurer als ihre Vorgängerin (etwa 40 versus 30 Franken, hängt von Apotheke ab). Frey hat Bedenken, dass vor allem junge Frauen, die aufs Geld achten müssen, sich lediglich aus Kostengründen für eine Variante entscheiden.  

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