Frau Glauser, weder die SVP noch die Westschweiz kann sich damit rühmen, viele Frauen in die Politik zu schicken. Sie sind die Ausnahme. Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Alice Glauser: Wenn man sich für die Rechte der Frauen einsetzt, ist man wohl eine Feministin.
SVP und Feminismus, wie passt das zusammen?
Da ich selbst Landwirtin bin, ging es mir zu Beginn meiner Karriere in erster Linie um die Anliegen der Landwirtschaft. Später dann spezifisch um die der Bäuerinnen. Die SVP ist nicht antifeministisch. Aber der Feminismus interessiert sie nicht besonders.
Im Juni 2018 war Ihre Enthaltung ausschlaggebend für die Annahme der Frauenquote im Nationalrat. Sie ernteten dafür viel Kritik aus den eigenen Reihen ...
Die Reaktionen direkt nach der Abstimmung waren sehr stark. Einen Tag später hatten sich die Wogen aber bereits geglättet. Meine Parteikollegen haben gemerkt, dass ihre Reaktionen politisch nicht wirklich korrekt waren.
Hatten Sie nie das Gefühl, die falsche Partei gewählt zu haben?
Natürlich ist es manchmal hart, für etwas zu kämpfen, das für die SVP wenig Priorität hat. Ich habe auch immer wieder versucht, Klimafragen und eine nachhaltigere Lebensweise mehr ins Zentrum zu rücken. Das entsprach ebenfalls nicht immer streng der SVP-Linie. Auch deshalb habe ich mich öffentlich nie viel dazu geäussert. Die Aufmerksamkeit innerhalb der Partei hat mir gereicht. Aber ich habe es nie bereut, der SVP beigetreten zu sein. Ich bin Landwirtin und stolz darauf. Mit meinen Parteikollegen habe ich mich auch immer gut verstanden, ausser in den Momenten, wo ich sie ein bisschen genervt habe (lacht).
Sie werden bei den Wahlen im Herbst nicht mehr antreten. Die SVP verliert damit, wenn man so will, ihr feministisches Aushängeschild. Wo sind Ihre jungen Kolleginnen?
Ich glaube, dass viele den Eindruck haben, dass der Feminismus obsolet geworden ist. Es sind häufig junge, unverheiratete und kinderlose Frauen. Sie können oft ohne Einschränkungen in einem 100-Prozent Pensum arbeiten und verdienen auch nicht weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Mit der harten Realität wird man als Frau aber erst etwas später im Leben konfrontiert. Dann nämlich, wenn es an die Familienplanung geht.
Wie war das bei Ihnen?
Ich habe lange gedacht, wenn ich meinen Mann heirate und mit ihm zusammen den Hof führe, handle es sich dabei um unseren Betrieb. Erst mit der Zeit habe ich realisiert, das dem nicht so ist. Die Frauen übernehmen eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft. Aber diese Rolle wird nicht anerkannt. Es fehlen die sozialen Versicherungen. Viele Bäuerinnen arbeiten gratis oder schwarz. Für die gleiche Arbeit erhalten Frauen nicht den gleichen Lohn. Das konnte und kann ich bis heute nicht akzeptieren. Es liegt in der Verantwortung des Gesetzgebers, sich darum zu kümmern.
Die SVP gehört zu den Parteien mit den tiefsten Frauenanteil überhaupt. 17 Prozent sind es im Nationalrat, 0 im Ständerat. Ist es schwierig, Frauen für eine bürgerliche Politik zu begeistern?
Es ist einfacher geworden. Als ich mit der Politik angefangen habe, war es schwieriger, Frauen zu finden. Damals dachten viele, die Herren werden das schon richten. Heute sehen auch viele bürgerliche Frauen, dass nicht alles so rund läuft. Sie wollen eine Familie, den Job behalten, Karriere machen – und merken: Halt, ich werde nicht gleich behandelt wie mein Mann. Die Männer verteidigen ihre Plätze aber vehement. Am Ende des Tages kämpft jeder für sich – oder man setzt sich für jüngere, männliche Kollegen ein.
Sie sagen also, dass männliche SVP-Politiker eher junge Männer anstatt junge Frauen fördern?
Ja, diesen Eindruck habe ich. Das sah man auch bei den letzten Parteiwahlen. Nicht viele Frauen konnten einen Platz ergattern.
Sie engagieren sich derzeit bei der überparteilichen Bewegung «Helvetia ruft», um mehr Frauen zu motivieren, für die Wahlen im Herbst zu kandidieren. Wie viele Frauen werden bei der SVP auf der Liste stehen?
Für die Nationalratswahlen haben wir bis jetzt vier Kandidatinnen auf der Liste für den Kanton Waadt. Das ist natürlich noch lange kein ausgewogenes Verhältnis, aber besser als im Vergleich zu den Vorjahren.
Was erhoffen Sie sich von den Wahlen im Herbst?
Ich wünsche mir mehr Frauen in der SVP und im National- und Ständerat. Und die eine oder andere Bäuerin darunter.
Wird Ihr Wunsch in Erfüllung gehen?
Ich bin zuversichtlich. Ich hoffe, dass den Frauen aller politischen Couleur klar ist, dass es in unser aller Interesse ist, Frauen zu wählen!