An diesem garstigen Morgen sind nur ihr Sohn und zwei weitere Kinder dabei. Über dem kleinen Feuer köchelt ein Tee, gesüsst mit Agavendicksaft, vor sich hin, daneben schmort ein Dreikönigskuchen, selbst gemacht, mit Öl statt Eiern. Während sich das eine Kind verköstigen lässt, hüpft das andere vergnügt durch eine Pfütze. Sabina Hirt erklärt den Kindern, weshalb man zwar ein Stück Obst in den Wald werfen kann, die Teebecher aber in den Abfall gehören.
Sabina Hirt leitet die erste vegane Waldspielgruppe im aargauischen Meisterschwanden. Im November gegründet, besuchen die Gruppe nun meist fünf bis sechs Kinder – wenn das Wetter mitspielt. «Wirds garstig, behalten viele Eltern ihre Kinder lieber zu Hause», sagt Sabina Hirt.
Sie kann es gut mit den Kindern, stellt ihnen unablässig Fragen, regt sie zum Nachdenken an, schlägt Spiele vor und hebt die Stimmung bei der heute erst noch nicht so motivierten Truppe. Als ein zweijähriges Mädchen das Interesse an seinem Spielzeug verliert und launisch zu werden droht, lenkt Hirt seine Aufmerksamkeit gekonnt auf die nächste Attraktion – und schon springt die Kleine – eben noch den Tränen nahe – frisch motiviert in ihre Spielwelt zurück.
«Mit Kindern muss man sich arrangieren, wissen, was sie von einem erwarten, und eine gemeinsame Basis finden. Bei den eigenen Kindern ist das meist schwieriger als bei fremden», lacht Sabina Hirt. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie eine 20 Monate alte Tochter, Taulina, und den bald sechsjährigen Sohn Lorenz. Lorenz, der den Kindergarten besucht, hat vom Mami einmal pro Semester einen Jokertag zugute, an dem er sie anstelle des Kindergartens in die Waldspielgruppe begleiten darf. «Im Wald ist es viel besser, im Kindergarten sitzen wir nur herum», bilanziert Lorenz.
Die dreissigjährige Sabina Hirt ist eine Quereinsteigerin, lange hat sie in Zürich im Büro gearbeitet. «Dort, im Büro, habe ich mich einfach nicht so richtig wohlgefühlt», erzählt sie. «Als ich dann auch noch gemerkt habe, dass mein heute fünfjähriger Sohn iPad und Youtube besser beherrscht als ich, merkte ich, dass ich etwas ändern will.»
Und so fing sie an, mit der Familie vermehrt in den Wald zu gehen. «Bald merkte ich, dass wir entspannter sind, je mehr wir in den Wald gehen. Gleichzeitig sank bei uns allen das Bedürfnis nach Youtube und Co.» Und das gefiel ihr. «Wir hatten eine andere Kindheit als unsere Kinder. Diese will ich ihnen wieder etwas näher bringen.» Als sie letztes Jahr aus Zürich nach Meisterschwanden umgezogen sind, entstand die Idee, auch andere Kinder mit in den Wald zu nehmen. Sabina Hirt stellte sich vor die Wahl: «Will ich weiterhin meinen 08/15-Bürojob machen oder kann ich auf das Geld verzichten, um dafür etwas zu machen, das ich als sinnstiftend empfinde?»
Die Antwort hatte sie schnell gefunden, und so kündigte sie ihre Stelle und begann, sich auszubilden: Bei Jugend + Sport machte sie den Leiter für Jugendgruppen, wurde Natur- und Wildnispädagogin für Kinder von drei bis zwölf Jahren und absolvierte ergänzende Kurse von Montessori. So kann sie nun Kinder ab zwei Jahren mit in den Wald nehmen. Bleibt die Frage: Wieso ist die Spielgruppe vegan?
«Ums Vegane an sich geht es mir dabei gar nicht», sagt Hirt. Es sei nur so, dass es bei vielen Kindern zu Hause oft Ghackets mit Hörnli zum Zmittag und zum Znacht dann noch mal Fleisch gebe. «Ich will den Kindern zeigen, dass es auch anderes gibt, und dazu eignet sich der Znüni in der Waldspielgruppe ganz gut. Bei dem kann man super auf Fleisch verzichten», schmunzelt sie. So könne sie den Kindern zeigen, dass etwa Gemüse auch fein und mehr als die obligatorische Beilage sein kann.
Und hie und da gehen die Kinder sogar im Wald auf Nahrungssuche. «Ein Highlight für die Kinder sind Brennnesselchips. Denn vor Brennnesseln fürchten sie sich. Es dennoch zu wagen, frittierte Brennnesseln zu essen und zu merken, wie lecker sie sind, ist ein Erfolgserlebnis für die Kleinen.»
Noch nicht so strukturiert wie im Chindsgi sei es bei ihr in der Waldspielgruppe, erzählt Hirt. Ihr Ziel sei es, die Kleinen auf den Kindergarten vorzubereiten und den Abnabelungsprozess zu begleiten. Während die Wald- und Naturspielgruppe im benachbarten Sarmenstorf oft schnell ausgebucht sei, hat Sabina Hirt noch Kapazität: Ihr Ziel ist es, mit verschiedenen Gruppen an mehreren Tagen in den Wald zu gehen. (aargauerzeitung.ch)