Acciaroli liegt im Süden von Italien am Tyrrhenischen Meer. Der kleine Ort – es leben nicht einmal 650 Menschen dort – würde nicht weiter auffallen, wenn da nicht diese Alten wären. Jeder Zehnte im Ort ist über 90 Jahre alt. Mehrere sind über 100.
Und die Alten sind in der Regel fit; sie leiden kaum unter Gefässkrankheiten oder Alzheimer. Bluthochdruck ist zwar verbreitet, doch fast alle Leute, die untersucht wurden, haben ein gesundes Herz, wie der US-Sender CBS News berichtet.
Die ungewöhnliche Konzentration von gesunden Alten hat Wissenschaftler auf den Plan gerufen, die dem Geheimnis der Langlebigkeit auf die Spur zu kommen hoffen. Auffallend ist die niedrige Dosis des Hormons Adrenomedullin im Blut der Einwohner. Ein hoher Pegel des Hormons behindert die Blutzirkulation und führt zu gravierenden Gesundheitsschäden.
Die Forscher von der Römer La-Sapienza-Universität und der University of San Diego vermuten, dass neben genetischen Ursachen vor allem die mediterrane Kost eine Rolle spielt: frischer Fisch, Früchte und Gemüse aus dem eigenen Garten, selbstgezüchtete Kaninchen und Geflügel, dazu Olivenöl.
Nun ist Acciaroli nicht der einzige Ort, in dem die Leute eine mediterrane Küche pflegen. Und es ist nicht der einzige Ort, wo rüstige Alte in ungewöhnlich hoher Konzentration leben. Dasselbe trifft auch – in grösserem Massstab – auf die Provinz Nuoro auf Sardinien zu.
Die Gegend auf der italienischen Insel ist einer der weltweit fünf Hot Spots der Langlebigkeit, die der Journalist und Autor Dan Buettner «blaue Zonen» nennt. In seinem 2008 erschienenen Buch «The Blue Zones: Lessons for Living Longer from the People Who've Lived the Longest» identifiziert Buettner, der für die «National Geographic Society» und die «New York Times» tätig ist, folgende Hot Spots:
Im Bergland von Sardinien, besonders in der Provinz Nuoro im Osten, erreicht eine erstaunliche Zahl von Männern das Alter von 100 Jahren und mehr. Zum Beispiel Antonio Todde, der 2002 knapp vor seinem 113. Geburtstag starb – als offiziell ältester Mann der Welt. Im Ort Ovodda, der nur gerade 1700 Einwohner hat, lebten 2008 fünf Personen, die 100 Jahre oder mehr zählten.
Hier findet sich die höchste Dichte an verbürgten Hundertjährigen: 740 in einer Bevölkerung von 1,3 Millionen. Die Alten auf dieser japanischen Inselgruppe erfreuen sich nicht nur an ihrer ausserordentlich hohen Lebenserwartung, sondern auch an ihrer guten Gesundheit. Altersbedingte Krankheiten sind bei ihnen selten. «Der Kalender sagt vielleicht, sie sind 70, aber der Körper sagt, sie sind 50», so beschrieb der Forscher Bradley Willcox das Phänomen.
Das östlich der kalifornischen Metropole Los Angeles gelegene Loma Linda ist die einzige «blaue Zone» Nordamerikas. In der Stadt, die rund 23'000 Einwohner hat, leben etwa 9000 Siebenten-Tags-Adventisten, eine der grössten Gemeinden dieser evangelischen Freikirche. Die Adventisten, die sich oft vegetarisch ernähren und Alkohol und Rauchen ablehnen, sind deutlich gesünder als der US-Durchschnitt.
Die Halbinsel an der pazifischen Küste von Costa Rica weist eine Bevölkerung auf, deren Mortalität im mittleren Alter sehr tief liegt: Ein Mann mit 60 Jahren hat ungefähr eine doppelt so grosse Chance wie ein US-Amerikaner, 90 Jahre alt zu werden. Zudem ist die Krebsrate unter den rund 132'000 Einwohnern am niedrigsten in Costa Rica.
Die griechische Insel liegt knapp 60 Kilometer vor der türkischen Küste und weist die weltweit höchste Dichte an Über-90-Jährigen auf: Fast einer von drei Einwohnern wird 90. Die Menschen leiden auch im hohen Alter kaum an chronischen Krankheiten, die Krebsrate liegt um 20 Prozent tiefer als im restlichen Land, Gefäss- und Herzkrankheiten kommen nur halb so oft vor, Demenz gibt es kaum.
Die Gründe für die besondere Langlebigkeit sind nicht in allen «blauen Zonen» identisch. Die Gene dürften zwar überall eine Rolle spielen, aber Faktoren wie Ernährung und Bewegung sind laut Buettner wichtiger. Der Speiseplan ist in den verschiedenen Hot Spots durchaus sehr unterschiedlich; gemeinsam ist aber allen, dass viel pflanzliche Nahrung, dafür wenig rotes Fleisch und raffinierter Zucker auf den Tisch kommt.
Nicht Sport oder Fitnessübungen halten die Menschen dort gesund, sondern die Bewegung, die bei alltäglichen Tätigkeiten anfällt. Arbeiten im Garten zum Beispiel oder der regelmässige Gang ins Dorf zum Einkaufen. Weitere positive Faktoren sind wenig Stress und Mittagsschlaf.
Neben physiologischen Dingen fördern aber auch psychische Faktoren die Langlebigkeit: Intensive soziale Kontakte, besonders in der Familie, halten die Leute offenbar ebenfalls jung. Enge Beziehungen über die Generationen hinweg und das Gefühl, gebraucht zu werden, wirken sich positiv auf Wohlbefinden und Gesundheit der Alten aus. Auch Religiosität kann eine Rolle spielen; dies ist besonders in Loma Linda der Fall – der religiös geprägte Lifestyle der Adventisten hält sie von gesundheitsschädlichen Genussmitteln fern.
Religiöse Regeln können zudem den Einbruch des modernen Lifestyles mit seinen Nachteilen bremsen. Denn die «blauen Zonen» sind zwar – mit Ausnahme von Loma Linda – allesamt eher isolierte Gegenden, aber gleichwohl nicht völlig von der Aussenwelt abgeschottet. Die Moderne dringt auch dort vor – mit all ihren Nachteilen. So ist in Okinawa die Rate der übergewichtigen Jugendlichen bereits im Steigen begriffen. Ob die Inselgruppe in Zukunft immer noch ein Hot Spot der Langlebigkeit sein wird, steht in den Sternen.