Die erste Begegnung mit Jules war nervig. Er sturzbesoffen, ich nüchtern. Ich sprang für eine Freundin ein, die in einem Club an der Kasse arbeitete. Ich hatte schon viele Stunden damit verbracht, Menschen einen Stempel auf ihr Handgelenk zu drücken, als Jules auftauchte.
Er habe keine Kohle, lallte er. Ob ich ihn nicht einfach so reinlassen kann. Der Laden mache sowieso bald dicht. Er sei doch bloss ein armer, harmloser Student. Bla Bla.
Als ich mich auf den Heimweg machen wollte, klemmte mein Veloschloss. Jules, der draussen rumlungerte, eilte mir zur Hilfe. Ob er meine Nummer haben kann. Erst da fiel mir auf, wie gut er aussieht. Ich liess mich auf einen Deal ein: Ich sagte ihm meine Nummer einmal. Kann er sie sich merken, treffe ich mich mit ihm.
Er konnte. Wir verabredeten uns für das nächste Wochenende. Jules kam am Freitag. Und ging Sonntagabend. Ich war verzaubert. Das, obwohl er sechs Jahre jünger ist. Und der Joint sein bester Freund ist. Und er in einer WG mit acht Menschen und zwei Katzen wohnt. Weil er auf dem Weg zum Kindergärtner nie Kohle hat.
Womit wir bei den Dingen sind, die mein Herz höher schlagen lassen. Jules ist heute ausgebildeter Kindergärtner. Er will selber Kinder. Er ist halb Franzose – mon Coeur! – und halb Mexikaner. Jules hat pechschwarzes Haar, fährt Skateboard und setzt auf einen 80er-Porno-Schnauz.
Jules hat diesen jugendlichen Leichtsinn, der ihn so Sachen machen lässt, wie mir nach monatelangem Kontaktunterbruch SMS im Stil von
oder
zu schicken. Auch ist Jules immer für mich da, wenn ich einen Lover oder Freund brauche. Jules ist frei im Kopf. Und Jules lebt losgelöst von jeglichen gesellschaftlichen Normen. Ausserdem ist Jules nicht nur gut im Bett. Er kann auch Vorspiel. Und stundenlang Knutschen.
Letztens frage ich mich mal wieder, warum wir eigentlich kein Paar sind. Also schreibe ich ihm. Er trampt gerade mit dem Zug durch Europa. Hab ich vor 10 Jahren gemacht. Easy. Ich könne ihn übermorgen am HB Zürich abholen. Ich freue mich. Jules und ich haben uns seit rund acht Monaten nicht gesehen.
Am Tag seiner Ankunft stehe ich pünktlich um 21.20 am Treffpunkt. Von weitem höre ich Bob Marley «No woman no cry» singen. In der Menschenmenge erkenne ich Jules. Er hat einen Joint im Mund und einen Ghettoblaster auf der Schulter, aus dem eben Bob singt.
Bevor ich mir überlegen kann, ob ich das lustig oder schrecklich finde, fällt mir Jules um den Hals. Sein Joint brennt mir ein Loch ins Shirt. Wir stolpern über den Ghettoblaster, der Rucksack fällt ihm runter und sorgt für ein Meer aus dreckiger Unterwäsche, Socken, halben Zigaretten, Grips und Tabak.
Während wir rumkriechen, tippt mir jemand auf die Schultern. Es ist mein Ex-Boss. Ein arroganter Tubel. Er will smalltalken. Ich stelle ihm zwangsläufig Jules vor, der den Ex-Boss mit «Alles smooth!?» begrüsst. Ich finde die Situation suboptimal.
Auf dem Weg zu mir denkt Jules nicht daran, den Ghettoblaster auszuschalten. So spazieren wir mit «Three little Birds» die Neugasse runter, biegen zu «I shot the Sheriff» in die Josefstrasse, um dann pünktlich zu unserer eigenen «Punky Reggae Party» meine Wohnung zu erreichen.
Knapp 24 Stunden später ist Jules wieder weg. Es sieht aus, als ob 296 Bomben eingeschlagen hätten. Selbst meine Bettwäsche riecht nach Gras. Mein Parkett ist voll von Tabakkrümeln und mein Brünneli ist mit Zahnpasta vollgeschmiert.
Ich bin sehr happy, als ich die Tür hinter Jules schliesse. Der Ritt war super. Und super anstrengend. Für eine gemeinsame Zukunft ist mir Jules zu viel, denke ich. Und merke jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, dass die einzig Unlockere hier ich bin. Und er eigentlich grandios ist. Ob trotz oder wegen des Ghettoblasters weiss ich gerade nicht. Was ich aber weiss, ist, dass ich Jules jetzt sogleich eine SMS schicke:
Adieu,
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch