Es mag stimmen, dass wir heute in schwierigen Zeiten leben. Aber wenigstens müssen wir nicht mehr mit Serien wie «Gossip Girl» auskommen. Als ich elf Jahre nach der Premiere der ersten Staffel für drei Folgen einschalte, bin ich negativ überrascht. Galt die Serie in den Nullerjahren doch als the thing unter meinen Schulfreundinnen.
Für diejenigen, die den wertvollen Inhalt verdrängt haben: Die Serie rund um die Frenemies Serena van der Woodsen (Blake Lively) und Blair Waldorf (Leighton Meester) punktet mit salonfähigem Frauenhass, Freundinnenneid, Slutshaming und schulterzuckend hingenommenen Vergewaltigungsversuchen im Freundeskreis. Verhaltensweisen und Abwertungen, die in meiner Teenager-Zeit erschreckend normaler Bestandteil des Alltags waren.
Höchste Zeit für einen kritischen Blick in die Vergangenheit.
Kann mir bitte jemand verraten, was zur Hölle die Beziehung zwischen Blair und Serena mit Freundschaft zu tun hat? Während Serena bemüht ist, ihre «beste Freundin» zurückzugewinnen, lässt Blair keine Gelegenheit aus, sie vor anderen schlecht zu machen. Serena sei eine Schlampe, eine untreue Seele, jemand, der anderen Frauen den Freund stiehlt – als ob man Menschen besitzen könnte. Statt konstruktiv über Probleme zu sprechen, wird hinterlistig bestraft.
Zum Glück gab es damals noch kein flächendeckendes High-Speed-Internet, sonst wäre eine ganz neue Art des Cyber-Bullyings ausgebrochen, das kann ich euch versprechen.
Paranoia gepaart mit einer leichten Nuance Hass führen dann auch dazu, dass Blair Serena vor versammelter Frauenclique vermittelt, dass sie nicht zur Party des Monats eingeladen sei («You are kinda not invited»), zu der die ganze Schule kommen würde. Blair zieht die Fäden im Hintergrund und isoliert ihr Opfer, während sie sich selbst als die bemitleidenswerte Zurückgelassene inszeniert.
2008 war ein tolles Jahr. «Valerie» von Amy Winehouse lief gerade in den Charts, genauso wie «Mercy» von Duffy oder «Bleeding Love» von Leona Lewis. Beyoncé und Jay Z haben geheiratet. Ashlee Simpson und Pete Wentz. Aber auch Carla Bruni und Nicolas Sarkozy gaben sich das Jawort und niemand konnte ahnen, dass Scarlett Johansson sich schon bald wieder von Ryan Reynolds scheiden lassen würde, der – Funfact – später Serena, äh Blake Lively, zur Frau nahm.
Das Spiel funktionierte so: Frau möchte nicht als Schlampe gelten, also ziert sie sich, um dem Mann zu zeigen, dass sie «ja eigentlich nicht so sei». Der Mann ist dadurch verwirrt und erregt zugleich (Jäger und so!), wodurch er nicht mehr weiss, was die Frau jetzt eigentlich will, denn schliesslich sagt sie «Nein», obwohl sie «Ja» sagen möchte, also zumindest manchmal.
Den Unterschied zwischen einem geheuchelten «Nein» und einem ernst gemeinten «Nein» scheint zumindest Chuck nicht zu kennen, als er mehrmals versucht, die traurig an der Bar sitzende Serena zu küssen und später sogar zum Sex in der Küche zu zwingen. Szenen, bei denen es sich empfiehlt einen Mülleimer für spontane Brechanfälle neben sich zu platzieren.
Man möchte schreien:
Serena entkommt, aber Thema wird die versuchte Vergewaltigung nicht.
Auch als Chuck später bei der «Party des Monats» versucht, die Schwester von Serenas neuem Date auf dem Dach zu vergewaltigen (!) und die beiden gerade noch rechtzeitig dazwischenkommen, findet darüber keine weitere Diskussion statt. Vielmehr ist die Szene etwas völlig Normales, ein ärgerlicher Zwischenfall, den es so gut es geht zu verhindern gilt – wenn man dabei ist –, der abseits von der Handlung selbst aber nicht geächtet oder bekämpft wird.
Als Dans Schwester Jenny sich mit Blair anfreundet und von dem Zwischenfall auf dem Dach erzählt, ist sie mehr darüber besorgt, was Chuck von ihr denkt, als umgekehrt. Chuck hat keine Konsequenzen zu fürchten, im Gegenteil:
Aus heutiger Perspektive mehr als gruselig, dass wir uns sowas als Teenager reingezogen haben.
Alle Protagonisten bis auf die Geschwister Dan und Jenny sind der Inbegriff verzogener Oberschichtskinder, die mit 18 Jahren noch nie einen Finger krumm gemacht haben. Stattdessen gibt es sonntägliche Frühstücksempfänge, mit denen ein ganzes Dorf in Slowenien ernährt werden könnte und Parties, die nur so vor Papas Bankerbudget strotzen. Auch die Eltern sind «very busy» und stecken ihre Kinder deshalb gerne in passende Kliniken – Klischee olé.
Spannend ist auch, wie Dan und Jennys Herkunft gezeichnet wird. Himmelnochmal, die beiden leben in Brooklyn, nicht in Sangerhausen und ja, sie stecken vielleicht nicht in engen Designerkostümen, aber – ganz ehrlich – die will doch ohnehin keiner anziehen? Zumindest nicht mehr heute.
Vieles hat sich verändert, seit der Wirtschaftskrise 2008 und ich würde fast wetten, dass die wenigsten Millennials Bock hätten, sich heute eine Serie über verwöhnte Eliteabsolventen mit dem politischen Impact einer Schildkröte anzusehen.
Vom gedankenlosen Überkonsum und der Abwertung Schlechtergestellter mal abgesehen.
Es ist ein Verhalten, das auch Serien wie «Sex and the City» charakterisierte und wenig später das längst überfällige Ende des schamlosen Protzens auf Kosten anderer einläutete.
Netflix: “let’s get someone who fuckin hates Gossip Girl to write the description of Gossip Girl” pic.twitter.com/BewiyilXmK
— How To Be Alone (by me Lane Moore) is out now (@hellolanemoore) December 11, 2018
Hotpants? Kniehohe Cowboy-Stiefel? Vielleicht noch eine Leggins drunter, dreiviertelhoch? Willkommen im Jahre 2007, in dem alle Frauen lange Haare mit Mittelscheitel tragen mussten, um als «schön» zu gelten, und bei der Wahl der Strähnchen zwischen braun und blond entscheiden konnten. #diversity2007
Und die Männer?
Die trugen zu weite Hosen, weil Skinnyjeans waren 2007 nur für Schwule und Drogenabhängige reserviert – und damit wollte nun wirklich niemand mit in Verbindung gebracht werden.
Täusche ich mich, oder hatte Blair noch nie Sex mit ihrem Freund, während dieser – für seine Liebesbeziehung konsequenzlos – die besoffene Serena vögelte, woraufhin Serena die Schule verlassen musste und ihre beste Freundin verlor? Ja, so ungefähr geht der wahnsinnig progressive Drama-Plot ohne Inhalt, der Serena als die promiskuitive Schlampe zeichnet und Blair als horny Jungfrau. Während die Schauspieler im echten Leben Mitte zwanzig sind, sei dazugesagt.
Ein Fakt, den man besser ausblendet, möchte man so etwas wie ein entfernt entspanntes Serienkonsumverhältnis zu «Gossip Girl» entwickeln. Wenn wir schon dabei sind, vergisst man am besten auch, dass die Charaktere so flach sind wie Salzcracker, keine zwischenmenschliche Nuancen zugelassen werden und die Konflikte so gekünstelt wirken wie Schultheatervorstellungen: Man muss hin und wieder die Augen schliessen.
Liebe Serena, liebe Blair, lieber Dan, Nate, Chuck und Taylor Momson (WAS? DA HAT DIE MITGESPIELT?): ihr seid inzwischen sowas von aus der Zeit gefallen, da hilft leider selbst ein Glas Sekt nichts mehr. Oder fünfzehn.
«Gossip Girl», für mich bist du leider durchgefallen.
xoxo