Am 19. November 1979 erproben 32'000 österreichische Soldaten an der engsten Stelle zwischen den Alpen und der Donau mit 480 Ketten- und 4200 Radfahrzeugen ihre Verteidigungsstrategie für den Ernstfall; den eines sowjetischen Angriffs. Es ist das grösste Manöver seit dem Ende der Monarchie.
Um halb drei Uhr nachts erspäht ein Wachmann ein verdächtiges Fahrzeug, das an einem Strassenrand in St.Pölten parkt. Wahrscheinlich ein Pärchen, das sich im Schutze der Dunkelheit hierher gestohlen hat, um seiner jungen Liebe zu frönen. Doch der Soldat findet hinter den verdunkelten Scheiben bloss einen einsamen dicklichen Mann mit wenig, dafür wohl gescheiteltem Haar. Ausgerüstet ist er mit Notizblock, Feldstecher, Fotoapparat und Landkarte. Sofort macht der Wachhabende Meldung vom sonderbaren Herren.
Unter den Argusaugen des österreichischen Bundesheers begann dieser nun unbeirrt durch die Sperrgebiete zu ziehen, wo er die Gefechtsstände besuchte. Eifrig machte er sich Notizen über Truppenstärken und Munitionsbestände, verriet dem einen die Stellung des Gegners und fragte den anderen, wie es denn so um die Gefechtslage stehe.
Und während die vollends entkräfteten Soldaten zum Abschluss der dreitägigen «Raumverteidigungsübung 79» durch die Hauptstrasse von Amstetten defilierten, stürmten 14 Beamte der militärischen Abwehr gemeinsam mit der Staatspolizei das Hotel Weissenberger. Dort, im Zimmer 6 nämlich, hatte sich der verdächtige Mann für die Dauer des Manövers einquartiert.
Der Hotelbesitzer hielt seinen Gast für einen «ruhigen und angenehmen Touristen». In Wahrheit aber war Kurt Schilling etwas ganz anderes, etwas für die Soldaten doch eher unschwer Erkennbares: ein ausnehmend untalentierter Spion. Hergeschickt aus der Schweiz, um in Erfahrung zu bringen, wie lange die Österreicher einem Angriff aus dem Osten standzuhalten vermögen.
Informationen darüber hatte Kurt Schilling indes reichlich gesammelt, nur ging er dabei bedauerlicherweise nicht allzu klandestin vor – wie ein Verrückter habe er fotografiert, hielt die österreichische Spionageabwehr fest.
Schon hörte man diverse helvetische Knie schlottern, sie bangten wegen des unliebsamen Vorfalls um das freundschaftliche Verhältnis zu ihrem neutralen Nachbarstaat.
Doch Kurt Schillings originelles Spitzelverständnis verhütete auch in dieser Situation Schlimmeres: Statt eisern zu schweigen, habe er sich «überaus kooperativ, ja geradezu geschwätzig» gezeigt, loben die Österreicher die allzu selten gelebte Offenheit ihres Gefangenen.
Kurt Schilling schnüffelte nicht im Auftrag der Schweiz, sondern hatte seinen professionellen Manöverbesuch einzig auf den eigensinnigen Befehl von Oberst Albert Bachmann angetreten, seines Zeichens Chef des geheimen Nachrichten- und Abwehrdienstes (UNA).
Es dauerte nicht lange, bis der Bundesrat sich des «militärischen Hohlkopfes» («Weltwoche») entledigte. «Berti, der irrlichternde Oberst» («Blick»), so stellte sich heraus, hatte an zahlreichen Fäden gezupft – und einige davon waren halb oder eben ganz inoffiziell.
Eine wirkliche Gefahr für die Staatsgeheimnisse der Donaurepublik war Kurt Schilling nicht. Im Wiener Verteidigungsministerium lachte man über den «Tollpatsch aus Bern», die «Weltwoche» schrieb erheitert über den «Un-Spion», den dümmlichen «Zauberlehrling des Obersten Bachmann», während der Landesregierung nichts anderes übrig blieb, als das Ausmass ihrer Scham über dieses dilettantische Gastspiel offenzulegen:
Dem diplomatischen Frieden zuliebe liess das Geschworenengericht in St.Pölten grösste Milde walten: Kurt Schilling wurde für seine kümmerlichen Ausspähungsversuche zu fünf Monaten Gefängnis auf Bewährung verknackt.
Dann schiebt man den 57-Jährigen umgehend in die Heimat ab. Auf seinem Rückflug in die Schweiz verdrückt der «Möchtegern-James-Bond» («Schweizer Illustrierte») seinen kalten Swissair-Snack (Pastete und Birne mit Schoggicreme) und raucht danach eine Marlboro nach der anderen. Nur reden mag er jetzt mit niemandem mehr.
Er scheint Angst zu haben.
Noch auf dem Rollfeld am Flughafen Kloten wird er von drei Kantonspolizisten in schwarzen Mänteln abgeführt und in ein Auto verfrachtet. An dieser Verhaftungsaktion mitbeteiligt gewesen sei laut der «Schweizer Illustrierten» auch eine Polizeibeamtin mit einer «ganz speziellen Aufgabe»: Sie habe dem «Mini-Spion» dessen schwere Koffer hinterhertragen müssen.
An Weihnachten des Jahres 1979 wird er also abermals festgenommen, der Betriebsberater Kurt Schilling aus Zug. Seine Schnuppertage als Spion werden nun vom Divisionsgericht 9A beurteilt. Das Verfahren ist hochgeheim, schliesslich wird darin Kurt Schillings «landesverräterische Verletzung militärischer Geheimnisse» verhandelt.
Er wird auch zuhause zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt – weil er die Strukturen des Schweizer Nachrichtendienstes teilweise offen gelegt habe.