Am 16. August 1878 machte sich der Bandit Big Nose George gemeinsam mit seiner Räuberbande an den Gleisen nahe der Kleinstadt Medicine Bow in Wyoming zu schaffen. Der kommende Zug sollte entgleisen, auf dass sie ihn danach tüchtig ausrauben könnten.
Doch als die sieben Gesetzlosen in den Büschen versteckt des Zuges harrten, kamen zwei Bahnarbeiter des Weges. Sie kontrollierten die Schienen – und entdeckten die heimtückische Falle. Der eine lief sofort dem herannahenden Lokführer entgegen, um ihm noch rechtzeitig ein Warnzeichen zu geben. Der Zug stand still, bis die gefährliche Strecke wieder befahrbar war. Indes vermochten die Banditen nicht mehr zu tun, als verdriesslich in ihren Büschen zu hocken.
Der Vorfall wurde sofort den zuständigen Gesetzeshütern gemeldet. Dort hatte man die Männer schon geraume Zeit im Visier. Und bald gelang es zweien davon, die ruchlose Bande aufzuspüren. Diese versteckte sich im Rattlesnake Canyon, wo Hilfssheriff Robert Widdowfield und Tip Vincent, ein Beamter der Union-Pacific-Eisenbahngesellschaft, die Halunken aufspürten.
Ihr Lagerfeuer mochten sie zwar vorsorglich ausgestampft haben, doch die sterbenden Flammen hauchten ihre rauchige Seele verräterisch in den klaren Nachthimmel. Es dauerte nicht lange, bis der Hilfssheriff vor der ausgemachten Feuerstelle stand, und als er seine Hand darüber hielt, spürte er die Wärme eben noch glühenden Lebens.
Plötzlich fiel ein Schuss, er kam aus einem der umliegenden Sträucher, und traf Widdowfield mitten ins Gesicht. Vincent rannte noch um sein Leben, bis auch ihn eine Kugel niederstreckte. Dann stoben die Banditen in alle Richtungen davon.
Jetzt wurden 10'000 Dollar auf ihre Köpfe ausgesetzt. Denn die Männer waren keine gewöhnlichen Viehdiebe und Strassenräuber mehr, sie waren zu Mördern geworden.
Dem Gesetzlosen mit der grossen Nase gelang noch ein letzter Überfall auf einen stinkreichen Händler. Doch eines Tages im Jahre 1880 in Milestown (heute Miles City, Montana), berauscht vom Schnaps, der ihm noch mehr als sonst das Gefühl der Unbesiegbarkeit einzuflössen schien, brüstete er sich mit den Morden an den beiden Gesetzeshütern in Wyoming. Schon bald erreichte dieses forsche Selbstlob auch die Ohren des ortsansässigen Sheriffs, der den verbrecherischen Prahlhals daraufhin festnahm.
Man brachte ihn zurück nach Wyoming und steckte ihn in Rawlins ins Gefängnis. Selbstverständlich dachte Big Nose nicht daran, untätig seiner Strafe entgegenzusehen. Er wollte nicht am Galgen enden, und so befreite er sich mit einem Taschenmesser und einem Stück Sandstein aus den schweren Fussschellen. Dann versteckte er sich im Waschraum, bis der Gefängnisdirektor Rankin im Gang auftauchte. Big Nose schlug ihm den Schädel ein, doch dieser wehrte sich tapfer und rief verzweifelt nach seiner Frau Rosa. Sie kam. In der Hand einen Revolver, der den Banditen restlos davon überzeugte, sich stracks wieder in seine Zelle zu begeben.
Die Geschichte seines Fluchtversuchs war schnell in aller Munde. Wann sollte endlich wieder Ruhe und Ordnung in Rawlins einkehren? Die wütendsten der Bewohner beschlossen, diese eigenhändig wiederherzustellen. Sie stürmten das Gefängnis, hielten dem noch immer zertrümmerten Rankin ein Gewehr unter die Nase, nahmen ihm die Schlüssel ab und zerrten Big Nose aus seiner Zelle.
Draussen wartete der Lynchmob, 200 äusserst aufgebrachte Menschen. Vor deren Augen knüpfte man den Banditen an einem Telegraphenmast auf, zwei Mal nicht ordentlich. Erst beim dritten Versuch fuhr er nach ungestümen Herumzappeln endlich in Richtung Hölle. Seine Ohren liess er auf dem Boden, das Seil hatte sie während des langen Todeskampfes von seinem Kopf gescheuert. Ein paar Stunden hing er noch da, der leblose Big Nose, bis sich die Ärzte Tomas Maghee, dessen 15-jährige Assistentin Lillian Heath und John Osborne seiner annahmen.
Sie sägten dem Toten unsanft die Schädeldecke auf, um an das kranke Gehirn zu kommen, in welchem solch kriminelle Kräfte gewaltet hatten. Sie fanden indes keine besonderen Spuren seiner Bösartigkeit.
Dr. Osborne formte eine gipserne Totenmaske von Big Noses ohrenlosem Gesicht und ging dann dazu über, dem Toten die Haut von den Schenkeln und der Brust zu schneiden. Sie ging mitsamt einer Reihe sonderbarer Anweisungen an eine Gerberei in Denver. Zurück kam eine aus der verbrecherischen Haut gefertigte Medizintasche und ein Paar Schuhe.
Zu Osbornes Leidwesen hatten die Gerber Big Noses Nippel nicht wie aufgetragen ins Schuhwerk eingearbeitet. Das hielt ihn indes nicht davon ab, sie mit Stolz geschwellter Brust an seinem Eröffnungsball zu tragen – 1892 wurde der Arzt zum ersten demokratischen Gouverneur von Wyoming gewählt.
Den Rest der Banditenleiche bewahrte er in einem mit Salzlösung gefüllten Whiskeyfass auf. Ein Weilchen noch experimentierte er an Big Noses armen Überresten herum, bis er ihrer überdrüssig wurde und sie der Erde hinter Dr. Maghees Büro übergab.
Die Schädeldecke aber bekam die junge Assistentin Lillian Heath. Und als sie die erste Ärztin des Bundesstaates wurde, diente ihr Big Noses halber Knochenkopf mal als Türstopper, mal als Aschenbecher oder Stifthalter auf ihrem ausladenden Bürotisch.
Erst am 11. Mai 1950 wurde ein mit menschlichen Knochen gefülltes Fass von Bauarbeitern ausgegraben. Den Einheimischen war sofort klar, dass es sich hierbei um die Überreste von Big Nose handeln müsste.
Dr. Lilian Healths Mann brachte die noch immer im Besitze seiner Frau befindlichen Schädeldecke an den Fundort – und siehe da, sie passte perfekt zum unteren Teil, der sich im Whiskeyfass befand. Ein nachfolgender DNS-Test räumte jeden noch verbliebenen Zweifel aus: Bei dem Toten im Fass handelte es sich definitiv um den grossnasigen Banditen George Parrott.
Nur die Medizintasche wurde bis heute nicht gefunden.