Am 23. Oktober 1943 traf ein Zug mit 1700 polnischen Juden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ein. Es war ein Sonnabend. Auch die schöne Franciszka Mann sass darin. Zuhause in Warschau war sie eine kleine Berühmtheit, sie hatte Tanz studiert und trat dort in Theater und Nachtklubs auf. Mit ihren 26 Jahren war sie eine der verheissungsvollsten Ballerinen ihrer Generation.
Nun begrüsste sie Josef Schillinger an der Rampe, ein kleiner, untersetzter Mann mit feistem Gesicht, das flachsblonde Haar glatt an den Schädel gekämmt. Alles an ihm schien unter Druck zu stehen, seine dünnen Lippen presste er fest aufeinander, die blauen Augen hielt er zusammengekniffen und seine Wangenknochen mahlten wie zwei eifrige Mühlen unaufhörlich seinen fädigen Speichel.
Die Ankömmlinge merkten schnell, dass das hier mehr als nur ein harmloser Zwischenstopp war. Denn schon bald begannen die Lager-Aufseher damit, die Männer mit Stöcken und Gewehrkolben von den Frauen und Kindern zu trennen.
Franciszka stieg mit den anderen auf den Lastwagen, der sie zum Krematorium III brachte. SS-Obersturmführer Franz Hössler erwartete sie schon, er war der Schutzhaftlagerführer des Frauenlagers. Sie müssten vor dem Grenzübertritt in die Schweiz noch kurz desinfiziert werden, sagte er. Wieder so eine Lüge.
Franciszka wusste, dass sie nicht mehr weiterreisen würden. Dass sie nicht wie versprochen gegen deutsche Kriegsgefangene eingetauscht werden würden. Und ihr Visum, von dem sie sich die Freiheit versprach, war nichts weiter als ihr Ticket in den Tod.
Man brachte die Frauen in den Umkleideraum und befahl ihnen, sich auszuziehen. Diejenigen, die gehorchten, wurden danach sofort in die Gaskammer getrieben – sie befand sich gleich nebenan. Die anderen wehrten sich, bis die Aufseher mit Knüppeln und Peitschen auch sie davon überzeugten, sich ihrer Kleider zu entledigen.
Nun sah auch SS-Oberscharführer Walter Quakernack Franciszka – und näherte sich ihr. Unter seinem begierigen Blick zog sie einen ihrer Schuhe aus. Dann ging alles blitzschnell. Plötzlich stand sie vor dem Oberscharführer und schlug den Absatz ihres Schuhs mit voller Wucht in sein Gesicht.
Dieser versuchte noch, sein Gesicht mit den Händen zu schützen, als Franciszka ihm schon den Revolver entriss, schoss und ihn nur knapp verfehlte. Die Kugel zerfetzte dafür Schillingers Bauch, er stand direkt neben Quakernack. Der nächste Schuss drang ins Bein des SS-Unterscharführers Wilhelm Emmerich.
Dann stürzten sich die Frauen mit blossen Händen auf den Rest der Wachleute. Überwältigt von dieser unaufhaltsamen Kraft rannten die SS-Männer aus dem Raum.
Aufgescheucht durch den Lärm kam Lagerkommandant Rudolf Höss dazu und liess draussen zwei Maschinengewehre aufstellen. Als die Gefangenen herauskamen, wurde auf sie geschossen. Franciszka überlebte den Kugelhagel nicht. Und wer es tat, starb dafür im Gas.
SS-Oberscharführer Josef Schillinger verblutete auf dem Weg ins Krankenhaus. SS-Unterscharführer Wilhelm Emmerich konnte mit seinem halbsteifen Bein nie wieder richtig gehen. Er starb am 22. Mai 1945 in einem Lazarett an Typhus. Schutzhaftlagerführer Franz Hössler wurde am 13. Dezember 1945 im Zuchthaus Hameln für seine Kriegsverbrechen gehängt. SS-Oberscharführer Walter Quakernack folgte ihm ein knappes Jahr später nach. SS-Obersturmbannführer Rudolf Höss wurde am 16. April 1947 am Ort des ehemaligen Stammlagers hingerichtet, in dem unter seinem Kommando laut seinen eigenen Aussagen 1,5 Millionen Menschen vergast worden waren.