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Roger Federer in Basel: Verehrung ist grösser denn je

epa07119741 Switzerland's Roger Federer returns a ball to Germany's Jan-Lennard Struff during their round of sixteen match at the Swiss Indoors tennis tournament at the St. Jakobshalle in Ba ...
Roger Federers Auftritt in Basel: Bislang mehr Krampf als Glanz.Bild: EPA/KEYSTONE
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Roger Federer in Basel – das ist Leiden mit dem Göttlichen

Gibt es ein faszinierenderes sportliches Drama als ein Spiel von Roger Federer (37) in Basel? Nein. Weil der Göttliche irdische Schwächen zeigt. Er geniesst im Herbst seiner Karriere die höchste Form der Verehrung, die ein Sportler überhaupt bekommen kann.
26.10.2018, 07:4326.10.2018, 14:27
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Zum besseren Verständnis drehen wir die Uhr ein paar Jahre zurück. November 2014. Davis-Cup Finale in Lille. Frankreich gegen die Schweiz.

Die Franzosen sind sportliche Chauvinisten. Alles für Frankreich. Mehr als 20'000 Männer, Frauen und Kinder befeuern den Mut ihres tapferen Helden Richard Gasquet im Spiel der allerletzten Hoffnung.

Severin Lüthi und Stan Wawrinka tragen Roger Federer nach dem Davis-Cup-Sieg auf den Schultern.Bild: KEYSTONE

Roger Federer gelingt der entscheidende Punkt. Sinkt auf die Knie und reckt das Racket triumphierend in den Himmel. Sieg! Die Schweiz hat den Davis Cup gewonnen! In Frankreich. Gegen Frankreich. Für ein paar Sekunden kehrt eine beinahe gespenstische Ruhe ein. Und dann erheben sich mehr als 20'000, die zuvor so leidenschaftlich ihren Landsmann angefeuert hatten, von ihren Sitzen und überschütten Roger Federer mit einer minutenlangen stehenden Ovation.

Federers letztes Game gegen Gasquet.Video: YouTube/Scarlett Li

«La Grande Nation» verneigt sich nur Sekunden nach einer bitteren Niederlage vor Roger Federer. Welch ein Triumph. Einer der ganz grossen Momente in der Geschichte unseres Sportes. Ja, die Reise nach Lille hat sich gelohnt.

Roger Federer, der Göttliche. Kein Star. Diese Bezeichnung wäre zu billig. Sie ist im Sport von heute wohlfeil. Roger Federer ist eine Lichtgestalt. Ich denke oft an diesen Augenblick zurück. Und bis gestern war ich überzeugt: Mehr Anerkennung, mehr Verehrung geht nicht.

Das sind die wichtigsten Rekorde von Roger Federer

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Das sind die wichtigsten Rekorde von Roger Federer
Älteste Weltnummer 1: Mit 36 Jahren und 320 Tagen war Roger Federer im Juni 2018 der älteste Mann, der je auf dem Tennis-Thron gesessen hat.
quelle: epa/anp / koen suyk
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Doch nun weiss ich: Roger Federer hat inzwischen eine neue Stufe erklommen. Die höchste, die es im Sport überhaupt gibt: Verehrung unabhängig von Erfolg oder Misserfolg.

Er ist statistisch nicht mehr der Beste der Besten. Nicht mehr die Nummer 1 der Welt. Sein Spiel, einst so perfekt, so leichtfüssig, so elegant – göttlich eben – ist phasenweise beinahe «gewöhnlich» geworden. Wenn man das überhaupt so sagen darf.

Er spielt am Donnerstagabend gegen Jan-Lennard Struff. Einen Gegner, den er in seinen besten Zeiten einfach vom Platz «weggezaubert» hätte. Und gerät gegen den neun Jahre jüngeren Deutschen gleich am Anfang in Schwierigkeiten. Er leidet.

Eine Partie, die eigentlich eine «Pflichtübung» sein könnte – himmelhoher Favorit gegen Aussenseiter – gerät zu einem fesselnden Drama. Das Publikum leidet mit Roger Federer, wie ich noch kein Publikum habe leiden sehen. Anspannung. Zweifel. Bangen. Hoffen. Und endlich: Begeisterung. Erlösung.

Alle 8 Titel von Roger Federer in Basel

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Alle 10 Titel von Roger Federer in Basel
2006: Finalgegner: Fernando Gonzalez. Ergebnis: 6:3, 6:2, 7:6.
quelle: keystone / georgios kefalas
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Natürlich sind wir hier in Basel. In seiner Stadt. In seiner Arena. Vor seinem Publikum. «Roger's World». Also können wir die bedingungslose Loyalität erwarten.

Aber es ist mehr als einfach die Unterstützung eines Weltsportlers aus der eigenen Stadt. Es ist eine ganz besondere Form der Interaktion zwischen Akteur und Publikum. Ein grandioses Sport-Schauspiel. Als sei jedem in diesem Sporttempel auf einmal bewusst, wie vergänglich Ruhm sein kann. Als denke jeder: Komm, Roger, lass uns weiter träumen. Zeig uns, dass du die Zeit anhalten kannst.

Er gewinnt. Es ist kein grosses Spiel. Es fehlt die Eleganz. Die Leichtigkeit des Seins. Der Rhythmus, der an klassische Musik mahnt. All das, was sein Spiel so einmalig macht, blitzt nur in lichten Momenten kurz auf. Im Fussball würden wir von einem Arbeitssieg reden. Wären wir vorwitzig und respektlos, gar von «Zweck- oder Rumpel-Tennis».

Tatsächlich wird Roger Federer nach dem Spiel über elementare tennistechnische Mängel reden wie Schwächen beim Aufschlag, die er korrigieren müsse. Er sagt es freundlich und ernsthaft. Er kokettiert nicht. Er ist einfach froh, dass er gewonnen hat. Nichts macht einen grossen Sportler so sympathisch wie das Eingestehen der eigenen Schwächen. Keine Ausreden. Einfach ehrliche Selbstkritik. Es ist so, als hätte Wayne Gretzky einst ganz ernsthaft gesagt, er müsse darauf achten, weniger unerlaubte Befreiungsschläge zu machen.

Das Publikum mag es, wenn Titanen stürzen, und feiert die neuen Helden. «Der König ist tot, es lebe der König». Es ist die Lust an der Sensation.

Aber so wird es bei Roger Federer nie sein. Nicht in Basel. Logisch. Aber auch nicht an einem anderen Ort der Welt. Er hat das Nirwana des Sportes erreicht und das Hamsterrad verlassen, das sich nur um Sieg und Niederlage dreht.

Roger Federer fasziniert im goldenen Herbst seiner Karriere noch mehr als zu seinen allerbesten Zeiten. Er zelebriert sein Spiel als «göttliches Drama» jenseits von Triumph und Scheitern. Das Publikum bekommt die einmalige Gelegenheit, hienieden mit dem Göttlichen zu leiden. Das ist ein viel stärkeres Gefühl, als mit dem Göttlichen Siege zu feiern.

Das ist die andere, die neue Dimension des Phänomens Roger Federer: Leiden mit dem Göttlichen.

«Chum jetz, Roger, tritt ändlich zrugg!»

Video: watson

Alle Turniersiege von Roger Federer als Profi

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Alle Turniersiege von Roger Federer als Profi
4. Februar 2001: Turnier: Mailand. Belag: Teppich. Finalgegner: Julien Boutter. Ergebnis: 6:4, 6:7, 6:4.
quelle: epa ansa / dal zennaro
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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Max Dick
26.10.2018 08:22registriert Januar 2017
Einen Gegner, den er in seinen besten Zeiten einfach vom Platz «weggezaubert» hätte. Und gerät gegen den neun Jahre jüngeren Deutschen gleich am Anfang in Schwierigkeiten. Er leidet.

Federer hatte stets - auch in seinen "besten Zeiten" - immer wieder Phasen, wo keine optische Überlegenheit auszumachen war gegen solche Gegner. Dass er diese Spiele dann meist irgendwie doch noch gewinnt, macht ihn aus.
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Snowy
26.10.2018 08:35registriert April 2016
Lang lebe der König! 😎
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Triumvir
26.10.2018 07:59registriert Dezember 2014
Amen🙄
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