Wer Roger Federer in den Viertelfinals der Australian Open beim 7:6, 6:3, 6:4 gegen den Tschechen Tomas Berdych (32, ATP 20) gesehen hat, muss sich zuweilen gefühlt haben, als schaue er Pablo Picasso beim Malen über die Schulter.
Statt eines Pinsels führte der Baselbieter sein Racket und kreierte damit Momente, welche die Zuschauer von den Sitzen rissen. Leichtfüssig und schnell bewegte er sich über den Platz – von links nach rechts, nach vorne ans Netz und zurück – immer in Balance.
Mit 36 Jahren und 173 Tagen ist er der älteste Spieler seit Jimmy Connors bei den US Open 1991, der einen Grand-Slam-Halbfinal erreicht. Wer Federer sieht, wie er sich derzeit über den Platz bewegt, vergisst schnell, mit wie viel harter Arbeit das alles verbunden ist; selbst bei einem wie ihm, der mit derart viel Talent gesegnet ist.
«Der Arbeiter Federer wird total unterschätzt, noch immer», sagte Pierre Paganini, seit fast zwei Jahrzehnten Federers Fitnesstrainer und Vertrauter, vor dem Turnier im Gespräch mit der «NZZ».
In seiner Essenz ist Tennis ein Spiel, und an der Weltspitze doch viel mehr. «Es ist ein Spiel für Athleten geworden, darum lege ich grossen Wert darauf. Darum verdient die Arbeit von Pierre Paganini Anerkennung», sagt Federer. Nur wer perfekt austrainiert sei, könne im modernen Tennis Erfolg haben.
Abseits des Schwenkbereichs der Kameras arbeitet Federer weitaus härter, als manch einer vermuten mag. Dass mit Nadal, Djokovic und Wawrinka jene an Grenzen stossen, die als Prototypen der Tennis-Moderne gelten, mag Zufall sein. Und es ist zweifellos auch mit Glück verbunden, dass Federer bis im Alter von 34 Jahren von gravierenden Verletzungen verschont geblieben ist.
Andererseits ist es nicht nur Zufall und die Folge seriöser Arbeit. Sondern auch der Bereitschaft geschuldet, Opfer zu bringen, die von aussen gesehen vielleicht als Banalitäten betrachtet werden könnten, aber auch zeigen, welch feines Sensorium Federer für seinen Körper, der sein Instrument ist, entwickelt hat. Der Auslöser liegt zehn Jahre zurück. Damals litt er während der Australian Open am Pfeifferschen Drüsenfieber. Das hat alles verändert.
«Seither verzichte ich neben dem Tennis auf Sport», sagte Federer im letzten Herbst. «Es ist anders als vor 15 Jahren. Damals spielte ich an meinen freien Tagen auch einmal Squash oder mit Freunden stundenlang Fussball im Garten.»
Ist er einmal in der Schweiz, zieht sich der Baselbieter gerne in die Berge zurück; nach Valbella, wo er ein Chalet besitzt. Zwischen Rothorn und Stätzerhorn, in Sichtweite zur Skipiste. Doch aus Angst vor einer Verletzung verzichtet Federer seit der Operation am linken Knie auch aufs Skifahren, wie er im letzten Jahr im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» sagte.
Auch in Melbourne übt sich Federer im Verzicht. «Ich spüre, dass ich in meinem Alter die Beine mehr hochlagern, mich mehr erholen und entspannen sollte. Dafür bin ich ja hier – um Tennis zu spielen», sagte er nach der ersten Turnierwoche in Melbourne.
Auch darum verzichtet Federer auf Turniere, die ihm am Herzen liegen – wie im Vorjahr auf die French Open, die er ausliess, um sich auf Wimbledon vorzubereiten. «Ich wünschte, ich wäre noch einmal 24 Jahre alt. Aber leider kann ich nicht mehr alles machen und muss Prioritäten setzen. Für mich als Spieler und für meine Familie», sagte er damals, und es schwang auch ein bisschen Wehmut mit.
«Roger hat offensichtlich viele kluge Entscheidungen getroffen, damit sein Körper das leisten kann, was er tut», sagte Andre Agassi letzte Woche zum TV-Sender «ESPN». Es würde ihn nicht überraschen, wenn Federer auch noch mit 40 spielen würde. Doch er sagte auch: «Wenn das Ende kommt, kommt es schnell.»
Auch Federer weiss das. Vor einem Jahr sagte er in Melbourne: «Meine Karriere geht nicht unendlich weiter. Und sollte ich mich wieder verletzen, weiss ich nicht, was geschieht.»
Doch noch ist seine Geschichte nicht zu Ende geschrieben. Noch immer spielt Federer um die grössten Titel. Deshalb fällt ihm der Verzicht leicht, auch wenn er ihn zuweilen langweilt. «Ich spüre, dass hier etwas möglich ist. Darum muss ich halt leider auf ein paar Dinge verzichten.» Nun steht er «körperlich topfit» in den Halbfinals. «Es ist das beste Gefühl, das du haben kannst. Ich sehe das Ziel schon vor Augen und habe noch Reserven.» Auch, weil er bereit ist, Opfer zu bringen. (aargauerzeitung.ch)