Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
Das Phänomen kennen wir auch bei uns: Milliardäre wie Christoph Blocher, Tito Tettamanti und Walter Frey finanzieren die Kampagnen der SVP, unterstützen rechtskonservative Medien wie die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung». Neoliberale Denkfabriken wie das Liberale Institut können auf grosszügige Zuwendungen von Gönnern zählen, Avenir suisse wird von der Wirtschaft finanziert.
So weit, so schlecht. Nur: Im Vergleich zu den USA sind das Peanuts. Dort haben Charles und David Koch eine wohl einzigartige neoliberale Propagandamaschine gebaut, den Kochtopus. Zusammen mit Gleichgesinnten kontrollieren sie heute die wichtigsten US-Denkfabriken, die einflussreichsten Lobby-Organisationen und de facto die Republikanische Partei.
Das zeigt Jane Mayer in ihrem Buch «Dark Money» auf. Aber der Reihe nach:
Der Vater Fred Koch legte nach dem Ersten Weltkrieg die Basis für das Koch-Imperium. Er baute Ölraffinerien und wurde damit sehr reich. Nach seinem Tod entbrannte ein hässlicher Erbstreit, bis schliesslich Charles und David ihre beiden Brüder auszahlten. In der Folge haben die beiden das Werk ihres Vaters systematisch ausgebaut. Heute sind die Koch Industries das zweitgrösste Privatunternehmen der USA, das Vermögen der Brüder wird auf rund 50 Milliarden Dollar geschätzt.
Obwohl Fred Koch in den Dreissigerjahren sowohl mit Hitler als auch mit Stalin lukrative Geschäfte getätigt hatte, war er ein glühender Anti-Kommunist. Er gehörte zu den elf Gründungsmitgliedern der John Birch Society, einer im Kalten Krieg einflussreichen, erzreaktionären Vereinigung.
Heute hat Charles Koch das Sagen. Er begann schon in seiner Jugend, sich für das libertäre Gedankengut zu begeistern. In den Siebzigerjahren gründete er die Freedom School, ein Art Privatschule, an der die Theorien der beiden Österreicher Ludwig von Mises und Friedrich Hayek gelehrt wurden. Hayek stattete der Schule einst sogar einen Besuch ab.
Die Freedom School war jedoch eine weitgehend unbedeutende und exotische Pflanze in der damaligen Bildungslandschaft der USA. Der Mainstream wurde beherrscht von linksliberalen und sozialistischen Denkern. Diese Vorherrschaft zu brechen setzte sich Charles Koch zum Ziel. Zusammen mit gleichgesinnten und schwerreichen Unternehmern machte er sich daran, eine intellektuelle Gegenwelt aufzubauen.
So entstand etwa die Denkfabrik Heritage Foundation, die heute die Agenda der Republikaner zu einem guten Teil mitbestimmt; oder das Cato-Institute, welches das Gedankengut der Österreicher weiterpflegt; oder das American Enterprise Institute, eine Art Avenir suisse der USA.
Nicht nur Denkfabriken wurden gegründet und mit Millionenbeiträgen ausgestattet. Auch an den bestehenden Universitäten wurden Programme, die freien Markt und Deregulierung auf ihre Fahnen geschrieben hatten, grosszügig unterstützt. An der kleinen, aber feinen George Mason University in Virginia wurde gar das Mercatus Center gegründet, das sich mit Haut und Haar dem Gedankengut der Österreicher verschrieben hat.
Die Kochs haben ganze Arbeit geleistet. Ryan Stowers, Geschäftsleitungsmitglied der Charles Koch Foundation, erklärt stolz, in den Achtzigerjahren habe Charles kaum genügend Gelehrte zusammenkratzen können, um eine Konferenz auf die Beine zu stellen. Heute hätten sie «ein robustes, die Freiheit förderndes Netzwerk» geschaffen, das mehr als 5000 Professoren in rund 400 Hochschulen im ganzen Land umfasst.
Der Aufwand hat sich gelohnt. Das zeigt sich etwa daran, wie sich die Wahrnehmung des Klimawandels bei den Amerikanern verändert hat. An diesem Bewusstseinswandel haben die Kochs nicht nur ein philosophisches, sondern auch ein materielles Interesse.
Noch im Jahr 2010 gehörten die Koch-Industries zu den zehn schlimmsten Luftverschmutzern der USA. «2012 zeigten die Daten der Enviromental Protection Agency (der US-Umweltbehörde, Anm. der. Red.), dass die Koch Industries der grösste Erzeuger von toxischem Abfall waren», schreibt Jane Mayer.
Umweltschutz und Klimaerwärmung waren zunächst kein von Umweltschützern und Linken dominiertes Thema. Noch 2003 setzten sich drei Viertel der Republikaner für strikte Umweltgesetze ein. Ende 2011 gaben nur 20 von von 60 befragten republikanischen Abgeordneten an, dass die Klimaerwärmung existiert. Tim Philipps, der die Anti-Klimaerwärmungs-Kampagne im Dienste der Koch-Brüder orchestrierte, jubelte deshalb:
Die meisten republikanischen Politiker hatten auch erkannt, dass man die Hand, die einen füttert, nicht beissen sollte. Wer sich dem Kochtopus unterwirft, kann mit beidem rechnen: mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung. Die Tea Party beispielsweise wird gemeinhin als eine spontane Bürgerbewegung gefeiert. In Wirklichkeit wird sie via verschlungene Umwege finanziert von der von den Kochs beherrschten Organisation «Americans for Prosperity».
Die Kochs und andere superreiche Spender machen dabei ein gutes Geschäft: Sie können ihre Beiträge von der Steuer absetzen, weil sie vermeintlich wohltätigen Vereinen zufliessen. Eingesammelt werden diese jeweils an Konferenzen, die – streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit – an Luxusressorts abgehalten werden. Die schwerreichen Spender liefern sich dabei einen Wettkampf, wer das höchste Angebot macht.
Für den Kampf ums Weisse Haus im Jahr 2016 haben die Kochs rund eine Milliarde Dollar eingesammelt, eine Rekordsumme. Bis vor kurzem wäre dies unmöglich gewesen. Die Spendebeiträge waren gesetzlich limitiert. 2010 fällte der Oberste Gerichtshof unter dem Titel «Citizens United» einen Entscheid, der die Spendergrenzen für Unternehmen aufhob. Citizens United hatte weitreichende Folgen.
Und weiter schreibt Mayer: «Der juristische Nebel hatte sich gelichtet, das politische Stigma war weg.» Der Gerichtsentscheid war auch der Auftakt zu einer mehr oder weniger freundlichen Übernahme der Grand Old Party (GOP) durch den Kochtopus. Nicht nur die Spenden stammen heute von den Superreichen, sie reissen immer mehr auch das Marketing und die Organisation an sich.
Americans for Prosperity beispielsweise hat heute 550 fest angestellte Mitarbeiter. Auch die im Wahlkampf entscheidende Datenbank wird nicht mehr von der GOP geführt, sondern von einem Koch-Unternehmen. «Sie bauen von aussen eine zweite Partei, es ist wie ein Business-Plan», sagt Lisa Graves vom Center for Media and Democracy. Mark McKinnon, ein gemässigter politischer Berater, nimmt kein Blatt vor den Mund: «Nennen wir das System, das ‹Citizens United› geschaffen hat, doch beim Namen: Es ist eine Oligarchie.»
Der Kochtopus kontrolliert nicht nur die GOP, sondern auch deren Vertreter. Besonders hoch in der Gunst von Charles Koch steht Paul Ryan, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses. Auch der neoliberale Gouverneur von Kansas, Sam Brownback, ist ein Koch-Günstling, genauso wie sein Amtskollege in Wisconsin, Scott Walker, oder Chris Christie aus New Jersey. Christie war auch einer der 17 republikanischen Präsidentschaftsanwärter. Alle waren mehr oder weniger vom Kochtopus abhängig – ausser Donald Trump.
Als sich der Tross der GOP-Anwärter im August 2015 der neuen Macht stellten, twitterte The Donald verächtlich:
I wish good luck to all of the Republican candidates that traveled to California to beg for money etc. from the Koch Brothers. Puppets?
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 2. August 2015
Instinktsicher hatte Trump die Kochs dort getroffen, wo es weh tut. Die superreichen Mäzene sind beim amerikanischen Mittelstand äusserst unbeliebt, auch bei der Arbeiterklasse, und die libertäre Philosophie lässt die meisten Mitglieder der GOP kalt.
Niemand weiss das besser, als die Kochs selbst. Ihre eigene Marktforschung hatte nämlich klar gezeigt, was diese Wählerschaft will: «(...) Sie wollen eine saubere Umwelt, ein funktionierendes Gesundheitswesen, einen möglichst hohen Lebensstandard und gleichzeitig politische und religiöse Freiheit, Frieden und Sicherheit», stellt Mayer fest.
Mit anderen Worten: Mit dem Kochtopus ist zwar die mächtigste neoliberale Propagandamaschine aller Zeiten entstanden, doch sie scheitert daran, dass die Menschen den Neoliberalismus hassen. Das hat Donald Trump instinktsicher erkannt und brutal aufgedeckt.
Parallel zu Trumps Aufstieg verläuft der Bankrott der GOP. Selbst wenn The Donald nicht zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gekürt werden sollte, ist der Totalschaden bereits eingetreten. Der Kochtopus kontrolliert eine Partei, die im Koma liegt.
«Ich denke, wir sehen, wie eine grosse politische Partei vor unseren Augen zerbricht», klagte Peggy Noonan nach dem Super Tuesday im «Wall Street Journal».
Die ehemalige Assistentin von Ronald Reagan ist heute eine führende Politanalystin: «Ich weiss, dass wir am Dienstag etwas Schwerwiegendes erlebt haben, etwas, das bedeutender ist als 1976, die traumatischen Jahre, in denen ein Emporkömmling beinahe einen republikanischen Präsidenten gestürzt hätte. Etwas, das bedeutender ist als 1964, als der Konservatismus von Goldwater die Vorwahlen dominiert und die Wahlen verloren hat. Was heute passiert, ist wichtiger und kaum mehr heilbar.»
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)