Knut war ein Eroberer, ein Däne, ein Wikinger. Und seit 1016 war dieser Barbar nun also auch König von England. Gekommen aus einem Land, das erst dabei war, zum rechten Glauben zu finden. Gekommen, um die Angelsachsen für ihr sündiges Treiben zu bestrafen, tönte es von den Kanzeln herab.
Es war freilich nicht das erste Mal, dass die Insel von Wikingern überfallen wurde. Bereits im Jahre 865 fegte das Grosse Heidnische Heer über das Land und riss in den folgenden Jahren einen Grossteil der angelsächsischen Königreiche an sich. Nur Wessex hielt sich tapfer gegen das Danelag, eroberte es gar zurück unter Alfred dem Grossen, der 886 zum ersten König aller Angelsachsen wurde und seinem Sohn ein weitgehend geeintes Reich hinterliess.
Bis Knut 1013 kam. Vorerst nur als Befehlshaber der Flotte seines Vaters, des dänischen Königs Sven Gabelbart. Die Zeit war reif, die vereinzelten Raubzüge gegen England in einer gross angelegten Strafinvasion zu vereinen. Denn der angelsächsische König Æthelred the Unready zahlte nicht nur das Danegeld – Tribute, um sich von den Plünderungen und Verwüstungen der Wikinger freizukaufen – nicht mehr, sondern hatte am St.Brice’s-Day auch alle in England lebenden Dänen umbringen lassen. Sie hätten sich heimlich zusammengerauft und ihm nach dem Leben getrachtet!
Sven eroberte daraufhin ganz England, vertrieb Æthelred und dessen normannische Ehefrau Emma in deren Heimat und regierte die Insel fortan. Doch schon zwei Jahre später verstarb er, sodass Knut noch einmal um sein Erbe kämpfen musste – gegen den in London neu ausgerufenen König Edmund Ironside, dem Sohn des ebenfalls verschiedenen Æthelreds. Und er gewann.
Seinem Gegner aber überliess er Wessex, über das dieser für die ihm verbleibenden 48 Tage Lebenszeit noch herrschen durfte. Dann ging alles an Knut, der 1016 Englands einziger König wurde. Und einige Jahre später auch der von Dänemark und Norwegen.
Knuts Reich wurde riesig, ebenso sein Name, doch nicht sein Selbstbild.
Er schien sich ganz unverstellt als das zu betrachten, was die Inselbewohner in ihm sahen: einen Eroberer, einen Dänen, einen Wikinger. Für sie war er nicht nur ein Fremdling, sondern obendrein ein gottloser Barbar. Nur wollte sich Knut nicht in dieses Bild einrahmen lassen. Er malte lieber ein Neues, ohne Blut und ohne jene gewaltvollen Striche, die wie Schwerthiebe die Leinwand zerfurcht hatten. Ein schmuckloses Haupt, allein von sanftem Sonnenlicht umstrahlt, und ein Gesicht, das kein grausames mehr war. Fast vertraut musste es erscheinen, wie es sich so vor dem heimatlich grünhügeligem Hintergrunde dem Betrachter darbot. Es war das Selbstporträt eines gerechten und rechtgläubigen Herrschers. Das Bildnis eines wahren Christen.
Ob dabei reines, politisches Kalkül oder doch auch ein aufrecht frommes Herz den Pinsel geführt hatte, mag allein der Herr selbst wissen.
Dessen ungeachtet bemühte sich Knut, seine neuen Untertanen nicht mit allzu vielen Veränderungen und fremdartigen Bestimmungen zu erschrecken. Er versuchte da anzuknüpfen, wo er das Band zerrissen hatte:
Er teilte sein Herrschaftsgebiet nach dem Muster der angelsächsischen Königreiche Wessex, Mercia, Northumbria und East Anglia in Grafschaften auf und erhob 1018 das letzte Danegeld.
Er übernahm nicht nur die Gesetze seines toten Rivalen Æthelred, er ehelichte auch dessen Witwe Emma, obwohl er bereits mit Ælfgifu von Northampton verheiratet war. Æthelreds Söhne wiederum mussten das Land fliehen oder wurden auf Befehl des Königs hin getötet. Schliesslich konnten sie ihm gefährlich werden.
Die Vielweiberei und der erbarmungslose Umgang mit der gestürzten Dynastie aber besudelten Knuts fein säuberlich gestaltetes Selbstbildnis so sehr, dass nicht nur der Erzbischof von York ihn als einen vom Herrn ausgesandten Vergeltungsdämon verschrie. Bevor also Knuts Sonnenkrone ihren heiligen Glanz gänzlich verlor und sein gütiges Gesicht sich in die Fratze eines heidnischen Höllenfürsten verwandelte, trat er stracks als überschwänglicher Förderer der Kirche in Erscheinung.
Er baute alle Gotteshäuser, die plündernden Wikingerhorden zum Opfer gefallen waren, wieder auf. Er füllte leere Klosterkassen, beschenkte Priester, Bischöfe und Äbte mit Gebeinen von Märtyrern, Steuerfreiheiten und Waldstücken.
Fürderhin pilgerte Knut nach Rom, seine Reumütigkeit mit allerlei laut geweinten Tränen und unerschrockenen Schlägen auf den Busen unterstreichend. Seine Sünden wogen schwer, schienen seine Füsse zuweilen gar zu Stein zu machen. Doch der fromme Wunsch, der Pontifex möge in seiner grenzenlosen Güte Knuts wallfahrenden Untertanen einen sicheren Frieden sowie Zollfreiheit auf der Strasse nach Rom gewähren, liessen ihn alle Mühsal überwinden.
Knut, so schien es, war nicht nur dem Kaiser lieb und Petrus nahe, sondern wollte es auch allen Menschen seines Reiches sein, ob Däne oder Angelsachse.
Und ungeachtet der vielen Triumphe, die er feierte, war er kein König, der sein Zepter für einen Zauberstab hielt. Aller Macht zum Trotze erlag er niemals der Illusion, über allen Dingen zu stehen, sie kontrollieren und beherrschen zu können.
Um dies auch seinem ihm unaufhörlich schmeichelndem Gefolge zu beweisen, gab er ihm eines schönen Tages die Weisung, sie möchten seinen Thron bei eintretender Flut am Meeresufer aufstellen. Sodann setzte er sich darauf, streckte seine Hände über die immer forscher ans Gestade züngelnden Wellen und sprach:
«Ihr und das Land, auf dem mein Thron steht, seid mir untertan. Noch nie hat sich jemand meinen königlichen Befehlen widersetzt und ist ungestraft davongekommen. Ich befehle euch also, euch nicht auf mein Land zu erheben und es nicht zu wagen, Gliedmassen oder Gewänder eures Herrn zu bespritzen!»
Das Meer hörte nicht. Unbeirrt stieg es weiter und bespritzte die Füsse des Königs.
Dann wich er zurück und sagte:
«Alle Welt soll wissen, dass die Macht der Könige eine eitle und unbedeutende Sache ist. Kein König ist dieses Titels würdig ausser jenem König, dessen Befehle Himmel, Erde und Meer nach ewigen Gesetzen gehorchen.»
Danach, so erzählt man sich, habe Knut seine Krone nie wieder getragen. Er setzte sie einem Standbild des gekreuzigten Heilands auf, um Gott, den einzig wahren König, zu preisen.