Der allmächtige Göttervater Jupiter* wandelte über das vom Feuer versengte Antlitz von Mutter Erde und machte alles wieder heil; Wiesen und Wälder grünten unter seinen Füssen sogleich von Neuem auf, Quellen und Bächlein sprudelten unter seinen Händen voll neuen blauen Lebens hervor. Das Unvermögen Phaetons nämlich hatte ihr fröhliches Gurgeln zum Schweigen, ihre Wasser zum Versiegen gebracht.
Der Sohn des Sonnengottes Sol* hatte den sehnlichen Wunsch gehegt, einmal den väterlichen Sonnenwagen über den Himmel lenken zu dürfen. Einmal die Zügel der vier feuerschnaubenden Hengste zu halten, einmal die Lüfte mit Wiehern flammenden Hauchs zu erfüllen.
Der Vater, bangen Herzens, gewährte es, ahnend schon, dass die Aufgabe allzu schwer würde für den Jüngling. Und tatsächlich begab es sich, dass Phaeton, sich durch das Heer der Gestirne kämpfend, knapp an den weit ausgreifenden Scheren des Skorpions vorbeisauste, dessen schwarzer Giftstachel jedoch dräute ihm gar so böse, dass der Lenker vor Schreck die Zügel fallen liess.
Die Rosse, nun führerlos geworden, sprengten dahin, gehorchten nicht länger der gewohnten Bahn und schossen hoch in die Wildnis des Himmels und hinab zur weichen Erdenhaut. Mit ihren glühenden Hufen schrammten sie diese grausam auf, dürr entfärbte sich das Grün, mit dem Laube verbrannten Bäume, grossmächtige Städte, ja ganze Länder mitsamt ihren Völkern wandelte in fahle Asche der Brand. Damals trat, wie man glaubt, das Blut der Äthiopier bis in die äusserste Haut und brachte ihnen die dunklere Haut. Und Libyen, von der sengenden Hitze ausgezehrt, ward nichts mehr als trockener Sand.
Endlich hob die Erdenmutter halb erstickt schon vom Rauch ihre Stimme gen Himmel, und noch bevor der Qualm ihr den Mund verschloss, sprach sie: «Willst du es, und hab ich's verdient, was, Höchster der Götter, zaudert dein Blitz? Lass mich, wenn ich doch durch Feuer vergehn soll, durch dein Feuer vergehn!»
Auf die oberste Zinne stieg Jupiter sodann hinauf, dorthin, wo er das Gewölk anzuhäufen pflegt, den Donner anrührt und die Blitze formt. Einen solchen dreizackigen Lichtstrahl schleuderte er nun hinab auf den goldenen Sonnenwagen. Räder, Deichsel und Speichen flogen zerstreut durch die Lüfte und auch Phaetons Körper, vom göttlichen Todesblitz verwüstet, stürzte rauchend hinab in die Tiefe, bis die schäumenden Wogen des Eridanus ihn schliesslich aufnahmen, jener mächtige Fluss am Ende der Welt.
Deshalb durchschritt Jupiter nun spähenden Auges die Erdenpfade, besonders jene seines geliebten Arkadiens, und spendete neuen Lebenshauch, wo Phaetons unseliger Ritt ihn geraubt hatte.
Und als er so herumging, ward sein Auge plötzlich von der Schönheit der Nymphe Kallisto gebannt, einer Jägerin aus dem Gefolge der Diana*, und es glomm ihm das Mark vom empfangenen Feuer so sehr, dass er sie augenblicklich zu besitzen begehrte.
Sobald sie also den Köcher von der Schulter nahm, den straffen Bogen zurückspannte und sich von der Jagd ermüdet unter einen Baum legte, näherte er sich ihr listig in Gestalt ihrer Herrin und fragte mit jungfräulich argloser Stimme, in welchen Gefilden sie denn heute unterwegs gewesen.
Und die Schöne gab ihm zur Antwort: «Sei mir gegrüsst, o Gottheit, meines Bedünkens höher, und hört' er es selbst, als Jupiter!»
Lachend vernahm der Himmelsherrscher Kallistos Worte, vergnügt darüber, dass sie ihn über ihn selbst stellte, bedeckte er sie mit unzüchtig lüsternen Küssen, fasste ihren jungfräulichen Leib dort an, wo ihr Gelübde es verbot und schändete ihn mit all seiner göttlichen Manneskraft so sehr, dass er – anfangs kämpfend und ringend gegen die gewaltige Übermacht – schliesslich kraftlos und von unkeuschen Flecken bedeckt darniedersank.
Verwandelt war nun auch Kallistos Innerstes, verhasst war ihr fortan die wissende Waldung und das zum Zeugen ihrer Schande gewordene Geäst, selbst der göttlichen Diana traute sie erst, wenn sie sah, dass auch die anderen Gefährtinnen dieser folgten. Die erste im Zuge wollte sie nicht mehr sein, mundtot gemacht durch die erlittene Schmach huschte sie einem Schatten gleich den Nymphen hintendrein.
Doch erst als sie sich viele Tage später an einem rauschenden Bächlein niederliessen, um dort, fern jeden Auges, zu baden, trat Kallistos Schuld offen zutage. Denn bald nahm man der Zögernden die Hülle und sah selbst hinter ihren schützenden Händen sich hervorwölben den verräterischen Schoss.
Entsetzt gebot ihr die jungfräuliche Göttin zu weichen aus ihrem Gefolge und nicht länger zu entweihen jene heiligen Wasser.
Und als ihr Sohn Arkas den ersten Schrei hinausschickte in die Welt, erbebte Juno*, die Gattin des mächtigen Donners, vor rasendem Zorn. Leben wurde sich da erschlichen aus der Unehre Jupiters! Die Buhle Kallisto hatte ihre Kränkung ruchbar gemacht.
Zur Strafe nahm Juno ihr die Gestalt, in der diese dem Göttervater so gefallen hatte:
«Sieh, da hüllten sich rauh in schwärzliche Zotten die Arme, und krumm wurden die Händ und erwuchsen zu kralligen Tatzen, nun als Füsse gebraucht, und durch weitoffenen Rachen ward entstellt das Gesicht, das Jupiter hatte gepriesen. Dass auch Bitten das Herz nicht rührten und flehende Worte, wird ihr die Sprache geraubt. Ein Laut nur, zornig und drohend und voll Schrecken und Graus, entringt sich der heiseren Kehle. Aber der frühere Sinn bleibt auch, da sie Bärin geworden, und sie bekundet den Schmerz durch unablässiges Stöhnen und hebt so, wie sie sind, zu Himmel und Sternen die Hände und klagt Jupiter an, weil Rede gebricht, in Gedanken.»
Ovid, Metamorphosen
Ängstlich floh nun die Jägerin vor den Jägern, jagte verschreckt durch die Wälder, ihr verwandeltes Selbst vergessend, grauste ihr gar vor dem Geheul der Wölfe und selbst ihre Artgenossen fürchtete sie.
15 lange Jahre irrte Kallisto als Bärin durch Dianas Gefilde, dann endlich schaute sie ihren Jungen, zum schönen Jüngling und Jäger herangereift. Mutterliebe fuhr ihr in alle Glieder, umarmen wollte sie den verlorenen Sohn, zögerte wiederum und starrte hinüber zu ihm, bis sie schliesslich zum freudigen Sprung ansetzte. Arkas aber erkannte sie nicht und hob voll rohem Überlebenswillen seine Waffe, ihr zu durchbohren die haarige Bärinnenbrust.
In jenem Augenblicke aber erschien Jupiter, packte die beiden und schleuderte sie in den Himmel, wo er sie zu nahen Gestirnen machte.
Der Grosse und der Kleine Bär zierten fortan das Himmelszelt, doch erregte dies abermals der Göttermutter Groll. Mit eifersüchtigem Auge sah sie, wie Kallisto unter den Sternen zu leuchten wagte, und so stieg sie hinunter zum greisen Okeanos und seiner ergrauten Thetys. Vor den Meeresgöttern nun schwang sie wilde Reden von jenem anderen Weib, das danach trachte, im Himmel zu herrschen und ihr, der rechtmässigen Königin, nicht nur Thron und Szepter stehlen, sondern sie gar aus ihrem Ehegemach stossen wolle. Welch Schmach, welch Beleidigung für die grosse Juno!
«Das Gestirn, das zum Lohne der Unzucht am Firmament prangt, scheucht, dass nicht in die lautere Flut sich tauche die Buhle», so sprach sie erregten Gemüts zu den Titanen.
Und so kam es, dass die Bären für immer um den Himmelspol zu kreisen verdammt sind und niemals tief genug sinken, um ein Bad im kühlen Nass zu nehmen.
*Wir sind hier den römischen Entsprechungen der griechischen Götternamen gefolgt, da Ovid, der die Geschichte niederschrieb, ein römischer Dichter war:
Jupiter = Zeus, allmächtiger Göttervater und Herr des Olymps; Gott des Himmels, des Blitzes und des Donners
Sol = Helios, der Sonnengott, auch Phoibos (lat. Phoebus, der Leuchtende) genannt, lenkt den Sonnenwagen über den Himmel
Diana = Artemis, Göttin der Jagd und Beschützerin der Frauen und Mädchen
Juno = Hera, Gattin und Schwester des Zeus, Wächterin über die eheliche Sexualität, ihr obliegt der Schutz der Ehe und der Niederkunft.